Serpil Midyatli: Historische Entscheidung für einen Mentalitätswechsel – die Günther-Regierung muss jetzt liefern
Heimo Zwischenberger Pressesprecher der SPD-Landtagsfraktion Adresse Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel Telefon 0431 988 1305 Telefax 0431 988 1308 E-Mail h.zwischenberger@spd.ltsh.de Webseite www.spd-fraktion-sh.de Es gilt das gesprochene Wort!Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden: http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathekLANDTAGSREDE – 26. März 2025Serpil Midyatli Historische Entscheidung für einen Mentalitätswechsel – die Günther-Regierung muss jetzt liefern TOP 1+16: Gemeinsame Beratung a) Regierungserklärung „Chancen nutzen- Impulse setzen“ b) Finanzpolitik mit Zukunft: Reform der Schuldenbremse umsetzen (Drs. 20/3074, 20/3034)"Es gibt diese historischen Momente, die nach besonderen politischen Antworten verlangen.„Der 24. Februar 2022 markiert eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents.“ (Regierungserklärung des Bundeskanzlers Olaf Scholz am 27. Februar 2022)Und ich bin sehr froh, dass die demokratische Mitte in der Folge - im Juni 2022 – die Kraft hatte, mit einem Sondervermögen Bundeswehr gemeinsam zu antworten. Das war ein Zeichen der Stärke der Demokratie. Bereits 2022 war eigentlich klar: Diesen neuen Herausforderungen können wir nicht mit den alten Finanzregeln begegnen. Jenseits des Sondervermögens gab es darüber aber keinen Konsens.Die Regierungskoalition hat an diesem fehlenden Konsens gelitten. An diesem fehlenden Konsens ist sie zwei Jahre später zerbrochen.Die Grundlage für eine stabile Regierung ist eine gemeinsame Finanz-politik. Deshalb war es so wichtig, dass SPD und Union sich dieser schwierigen Frage unmittelbar nach der Bundestagswahl angenommen haben. Und es ist gut, dass es jetzt – im Konsens mit den Grünen – zu einem historischen Beschluss in Bundestag und Bundesrat gekommen ist. Deutschland hat eine starke Antwort auf die neue Weltlage gegeben. Eine Antwort, die der Größe der Aufgabe gerecht wird. Eine Lösung, die schon fast so groß ist wie das Problem.Der Aufbruch ist möglich. Das ist der Mentalitätswechsel, den wir jetzt brauchen. Dieser Beschluss ist die Voraussetzung dafür, dass wir die äußere, die innere und die soziale Sicherheit eben nicht gegeneinander ausspielen. Und das ist eine wirklich gute Nachricht für alle Bürgerinnen und Bürger. 1 Europas Freiheit muss verteidigt werden. Wir wünschen uns Sicherheit. Wir werden deutlich mehr in die Ausstattung der Bundeswehr investieren. Deshalb ist es richtig, diese Ausgaben künftig in großen Teilen von der Schuldenbremse auszunehmen.Dabei geht es um wichtige zusätzliche Ausgaben für Verteidigung, für den Zivil- und Bevölkerungsschutz, die Cybersicherheit und die zusätzliche militärische Unterstützung für die Ukraine. Gelder, von denen wir eigentlich hoffen, dass wir sie nicht nutzen müssen und die wir doch jetzt investieren werden. Wir dürfen nicht die Augen verschließen vor den globalen Veränderungen.Anne Applebaum hat es in ihrem Buch „Die Achse der Autokraten“ auf den Punkt gebracht, ich zitiere: „Es gibt keine freiheitliche Weltordnung mehr […]. Doch es gibt freiheitliche Gesellschaften und offene und freie Nationen, die ihren Bürgern bessere Aussichten auf ein sinnvolles Leben bieten als geschlossene Diktaturen. Diese freiheitlichen Gesellschaften sind nicht perfekt. Sie haben gravierende Mängel, tiefe Gräben und sind durch historische Wunden geprägt. Umso mehr Grund, sie zu verteidigen und zu schützen.“Eine politische Antwort braucht es aber nicht nur auf die Herausforderungen für Sicherheit und Verteidigung. Unser Land fährt auf Verschleiß. Wir erleben das täglich. Im Auto, in der Bahn, auf dem Fahrrad, in der Schule oder in der Kita. Unsere Infrastruktur ist oft in einem schlechten Zustand.Wir wissen, dass die Transformation zur Klimaneutralität staatlicher Investitionen bedarf. Wir alle kennen den Investitionsbedarf in den Kitas. Wir kennen den maroden Zustand der Schulen. Wir kennen den Investitionsbedarf bei den Krankenhäusern. Wir wissen um den fehlenden Wohnraum.Bei all dem geht es um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Politik. Ich bedauere, dass dies in Ihrer Regierungserklärung ziemlich kurz gekommen ist.Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, Ministerpräsident Günther, ich teile Ihre Auffassung, dass es Sinn macht, unsere grundgesetzlichen Regelungen zu synchronisieren. Dafür erwarten wir Vorschläge von Ihnen. Was wir aber wollen, ist die Reform der Schuldenbremse. Die Schuldenbremse ist mehr und mehr zur Investitionsbremse geworden und wird jetzt endlich reformiert. Dafür haben wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten lange gekämpft. Bis Ende des Jahres 2025 ist es soweit.Deshalb haben wir einen entsprechenden Antrag vorgelegt. Herr Ministerpräsident, wir erwarten, dass Sie bei der weiteren Reform Verantwortung übernehmen. Schleswig- Holstein will und muss sich konstruktiv in diesen Prozess einbringen. 2 Das im Bund beschlossene Sondervermögen Infrastruktur schafft ebenfalls gute Voraussetzungen: Damit die Dinge im täglichen Leben wieder funktionieren. Investitionen in Straßen, in Brücken, die Bahn, in Digitalisierung, Bildung, Betreuung und Energienetze, in die Transformation auf dem Weg zur Klimaneutralität.Wir lösen endlich den Investitionsstau in unserem Land auf. Jetzt kommt es darauf an, konkrete Wege aufzuzeigen anstatt Ängste zu schüren.Ich finde es nicht richtig, dass viele jetzt lediglich die Schulden in den Mittelpunkt stellen. Da ist von einem „Schuldenpaket“ die Rede. Ja, es werden Schulden gemacht werden. Das darf nicht bagatellisiert werden. Das ist eine große Verantwortung. Um es klar zu sagen: Dieses Finanzpaket ist ein Sicherheitspaket – auch für die soziale Sicherheit.Ein Paket, das unsere Wirtschaft stärkt und Arbeitsplätze schafft und sichert. Ein Paket, das die Infrastruktur erneuert. Ein Paket, das Deutschland insgesamt stark macht. Das Zusammenhalt erneuert. Das steht für mich im Mittelpunkt.Ich begreife es ausdrücklich als Stärke unserer Demokratie, dass diese breite Mehrheit im Deutschen Bundestag und im Bundesrat möglich geworden ist. Dieses Ergebnis markiert auch eine Rückkehr zu der Stärke, die wir 2022 hatten. Ich bedauere, dass es danach fast drei Jahre gedauert hat, vergleichbare gemeinsame Antworten zu geben. Dass dafür eine Koalition zerbrechen musste. Und dass die Opposition unter Führung von Friedrich Merz diesen Weg nicht früher gehen wollte.In Schleswig-Holstein wiederum waren es die Regierungsfraktionen, die diesen Weg versperrt haben.Allein 2024 hat die SPD-Fraktion zwei konkrete Initiativen zur Reform der Schuldenbremse ergriffen: • Wir haben im Februar 2024 einen Antrag in den Landtag eingebracht. • Wir haben unseren Vorschlag im März erneuert. Sie haben sich für Notkredite entschieden. Notkredite, die unserer Meinung nach verfassungswidrig genutzt wurden.Sie haben unsere Zweifel und die Forderung nach einer Reform der Schuldenbremse nicht aufgegriffen. Der Ministerpräsident hat von einem „Sturm im Wasserglas“ gesprochen. Noch im Januar diesen Jahres hat die CDU-Fraktion hier im Hause versucht vorzurechnen, dass weitere Schulden das Land ruinieren würden. Was ist daraus geworden? Am Ende kommt nun doch die Reform der Schuldenbremse – und das ist gut so!Ich kann es Ihnen nicht ersparen: Schleswig-Holstein könnte weiter sein. Schleswig-Holstein hätte an der Spitze stehen können. Das wäre schon damals der Situation angemessen gewesen. Das müssen Sie mit sich ausmachen. Aber die Regierungserklärung wäre geeignet gewesen, das anzuerkennen und auszusprechen. 3 Es ist gut, dass diese alte Position offenbar endlich einem Mentalitätswechsel unterzogen wurde.Die Bedarfe Schleswig-Holsteins waren lange absehbar. Ich habe als frisch gewählte Landesvorsitzende deshalb 2019 erste Vorschläge dazu gemacht. Die Debatte hat sich über Corona-Pandemie, den Ukraine-Krieg und die Ostseesturmflut beständig weiterentwickelt. Die Zeitenwende findet vor unseren Küsten statt. Nach 15 Jahren Erfahrungen mit dem Instrument war es uns wichtig, daraus konkrete Schlüsse zu ziehen. 1. Wir müssen mehr in die Zukunft investieren. 2. Krisenmanagement braucht einen langen Atem und besteht eben auch aus Prävention. Und: 3. Ein aktiver Staat braucht Flexibilität, um seinen Aufgaben gerecht zu werden.Und all das, liebe Kolleginnen und Kollegen, schafft Vertrauen in einen handlungsfähigen Staat.Die Forderung nach einer Reform der Schuldenbremse hat die SPD ja nicht aus Selbstzweck vorgetragen. Sondern weil wir die Problemlagen in Schleswig-Holstein gesehen und gespürt haben. Der Bedarf im Land ist riesig. Über 15 Milliarden Euro Investitionsbedarf bis 2040 stehen allein in Ihrem Infrastrukturbericht, Herr Ministerpräsident.Es gibt wichtige Bereiche, die jetzt endlich konkret angepackt werden müssen: • Beispiel Krankenhäuser: 1,7 Milliarden Euro Investitionsbedarf bestehen allein für die Umsetzung der Krankenhausreform. Zusätzliche hohe Bedarfe bestehen unter anderem bei unserem UKSH. • Beispiel Schulen: Die dringend notwendige Sanierung und Modernisierung der Schulen beläuft sich auf 12 bis 16 Milliarden Euro. • Beispiel Kinderbetreuung: 300 Millionen Euro braucht es für die fehlenden Kita-Plätze. • Beispiel Wohnen: In Schleswig-Holstein braucht es in den nächsten Jahren Investitionen von 82 bis 151 Milliarden Euro. • Und schließlich die Transformation zur Klimaneutralität: In unserem TraFo.SH haben wir als SPD-Fraktion Bedarfe in Höhe von 11,6 Mrd. Euro bis 2030 berechnet.Das muss endlich angegangen werden, damit die Kosten am Ende nicht bei den Bürgerinnen und Bürgern hängen bleiben, wenn das Land 2040 klimaneutral sein soll.Ministerpräsident Günther, Sie sprachen gerade davon, wie wir Strukturen ändern müssen und den Menschen auch etwas zumuten müssen! Was meinen Sie damit? Werden Sie doch konkret! Vorschlag: Dann lassen Sie uns doch mit den Reichsten beginnen. Sind Sie dazu bereit? Dann lassen Sie uns die Vermögensteuer endlich wieder einführen. Ich finde, das wäre nicht nur der Lage angemessen, sondern auch gerecht. 4 Es braucht massive Investitionen in unsere Infrastruktur und in unsere Zukunft, also auch in Forschung und Innovationen. Die Milliarden werden noch weitere Investitionen auslösen und der Wirtschaft den Schwung geben, den wir brauchen.Und das sind nur einige wenige Beispiele, die zeigen: Es gibt viel zu tun. Die Günther-Regierung sollte sich vom Mentalitätswechsel im Bund anstecken lassen. Gestalten Sie endlich! Ignorieren Sie diese Probleme nicht, sondern handeln Sie.Die SPD ist bereit, ihrer Verantwortung nachzukommen. Und wir werden die Regierung daran messen.Das Geld muss jetzt so eingesetzt werden, dass es nicht verpulvert:Jedem Kind seinen Kita-Platz, moderne Schulen, ausgezeichnete Krankenhäuser, bezahlbare Wohnungen, Transformation, die Arbeits-plätze sichert und die Kosten für Bürgerinnen und Bürger nicht in die Höhe treibt.Sprechen Sie nicht nur von der Rolle der Wehrtechnik für unseren Standort, sondern tun Sie konkret etwas dafür, dass wir in Schleswig-Holstein deren wachsende Bedeutung sehen. Sie haben nach 8 Jahren keine Bilanz vorzuweisen, Sie stehen aber in der Verantwortung, dass nun diese Mittel auch nach Schleswig-Holstein kommen. Sie müssen in Berlin dafür präsent sein, Klinken putzen – andere Bundesländer werben ebenfalls für ihre Standorte. Es reicht also nicht, allein hier die Chancen zu benennen. Sie müssen diese Chancen ergreifen. Das ist die Erwartung, die wir an Sie haben.Und: Handeln Sie zügig. Gegenüber dem Bund mahnt der Minister-präsident schnelles Handeln an. Keine langen Verhandlungen über Verteilungsmechanismen. Aber gilt das auch für ihn selbst hier im Land? Auch daran werden wir Sie messen.Herr Ministerpräsident, unseren Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker, haben Ihnen gegenüber sicher ebenso eine hohe Erwartung. Also nehmen wir Sie beim Wort: Keine langen Verhandlungen, sondern zügige Umsetzung.Diese neue finanzielle Grundlage ist ein Glücksfall für die Günther-Regierung, aber Ihre Aufgabe, Herr Ministerpräsident, ist kein Stück kleiner geworden. Dieses Paket gibt Ihnen eine neue Chance. Sie sollten sie besser nutzen. Bürgerinnen und Bürger müssen spüren können, das jetzt etwas besser wird. Das ist die Aufgabe einer Landesregierung." 5