Marc Timmer zu den TOP's 27+28: Betreutes Regieren. Eine empathielos angegangene Gerichtsstrukturreform auf dem Rückzug
Heimo Zwischenberger Pressesprecher der SPD-Landtagsfraktion Adresse Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel Telefon 0431 988 1305 Telefax 0431 988 1308 E-Mail h.zwischenberger@spd.ltsh.de Webseite www.spd-fraktion-sh.de Es gilt das gesprochene Wort!Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden: http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathekLANDTAGSREDE – 20. November 2024Marc Timmer Betreutes Regieren. Eine empathielos angegangene Gerichtsstrukturreform auf dem Rückzug TOP 27+28: Fachgerichtsstrukturreform zurücknehmen (20/2670, Dr.Ant 20/2686)"Betreutes Regieren. Eine empathielos angegangene Gerichtsstrukturreform auf dem Rückzug. Was wir in der vorletzten Woche im gemeinsamen Innen- und Rechtsausschuss und im Petitionsausschuss erlebt haben, war ein außergewöhnliches Schauspiel. Die Richterverbände, Sozialverbände, Gewerkschaften haben sich unisono gegen die von der Landesregierung geplanten sogenannten Gerichtsstrukturreform ausgesprochen. Es war ein Sturm der Entrüstung. Ein heftiger Gegenwind. Die Spannung war greifbar.Spätestens da war klar, dass die Abkehr vom eingeschlagenen Weg des Kabinetts alternativlos ist, nicht aber die Gerichtsstrukturreform, wie Sie, Frau Ministerin, allen weismachen wollten. Es war eine Irrfahrt des gesamten Kabinetts und von Herr Günther.Es ist schon merkwürdig sich nun hier hinzustellen und den Eindruck zu vermitteln, alles prima, läuft, wie geplant. Ich wollte immer einen ergebnisoffenen Prozess.Glauben Sie wirklich, dass Ihnen das einer abkauft, der Ihre belehrenden Vorträge auf der Straße hier vor dem Landeshaus oder zuletzt bei der Anhörung vor den Ausschüssen gehört hat? Wie klein machen Sie sich damit eigentlich vor den Angehörigen der Justiz, für die Sie eigentlich ein Vorbild sein sollten und die es alle besser wissen? Statt sich mit dem Eingeständnis eines Fehlers noch einen Rest von Autorität zu bewahren, wollen Sie sich jetzt an die Spitze der Bewegung setzen. Das glaubt Ihnen doch keiner!Die teilweise Umkehr ist geradezu der Beleg dafür, dass der gefasste Kabinettsbeschluss falsch ist. Das kann man dann auch gerne mal sagen. Das ist doch nicht schlimm. Aber da sie es leider nicht tun, werde ich nochmal kurz bei der Begründung helfen.Erstens: Die Art und Weise des Vorgehens war - verletzend. Alles lief ohne Einbeziehung derjenigen, die es betrifft. Es mag sein, dass man bei der Bewertung juristischer Sachverhalte Emotionen zurückhalten sollte. Nicht jedoch bei Vorgängen, die wie diese Gerichtsstrukturreform auf Menschen unmittelbar einwirkt, bei Vorgängen mit dem Ziel Organisationen zu verändern. Change oder Veränderungsmanagement stellt in modernen Zeiten 1 zurecht die Mitarbeitenden in den Mittelpunkt. Es ist eine eigene Disziplin. Es geht darum in einem fairen Prozess, Menschen von Veränderungen zu überzeugen. Hier sind Argumente gefragt, Kommunikationsstrategien, Anreize und Empathie, was ich bei ihnen – und hier beziehen ich Herrn Günther ein - leider nicht erkennen konnte. Sie haben die Gerichtsbeschäftigten außen vorgelassen und als Spielfiguren hin- und hergeschoben.Ich hab’s in meiner ersten Rede bereits gesagt und wiederholt es an dieser Stelle gerne. Wer so vorgeht, verursacht nur eins: eine innerliche Verweigerungshaltung. Und diese bricht sich dann eben Bahn. Und all das nützt der Sache gar nichts.Zweitens: Die Belange der Gerichtsbeschäftigten sind völlig verkannt worden. Lange Anfahrten der Beschäftigten waren ihnen egal. Die Unsicherheiten, die ihr Kabinettsbeschluss für hunderte Menschen inklusive der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter ausgelöst hat, war es ebenso. Dies hätten sie sehen müssen. Durch diese Verunsicherung haben sie bei den Gerichtsbeschäftigen unzweifelhaft an Vertrauen verloren. Ich gehe soweit, dass insgesamt die Funktionsfähigkeit der Justiz in Gefahr war. Wie gewinnt man das Vertrauen zurück? Kleiner Tipp: Indem man Einsicht zeigt und die Fehler aufarbeitet. Aber dies sehe ich nicht. Nicht bei ihnen und nicht bei Herrn Schrödter und Herrn Günther. Das ist enttäuschend.Drittens: Die Rechtssuchenden wurden alleine gelassen. Ihre Pläne waren eine Zumutung für alle Rechtssuchenden, aber insbesondere für die der Sozial- und Arbeitsgerichtsbarkeit. Wenn sich der Staat vom Bürger entfernt, darf man sich nicht wundern, wenn sich die Bürger vom Staat entfernt. Ihre Ausführungen in der Ausschusssitzung vor zwei Wochen zu den äußeren Grenzen des effektiven Rechtsschutzes empfand ich als befremdlich und empathielos. Nicht einmal rechtlich interessant. Wir wollen doch unseren Bürgerinnen und Bürgern staatliche Leistungen nicht im soeben noch rechtlich möglichen Rahmen zukommen lassen, sondern im bestmöglichen. Wir müssen doch unseren Anspruch an eine bürgernahe Gerichtsbarkeit bestimmen. Wir wollen doch eine bürgerfreundliche und den Bürgern dienende Verwaltung haben, die sagt: Was kann ich für Dich tun? Oder etwa nicht? Dazu gehört eine gute Erreichbarkeit als absolute Mindestanforderung. So verstehe ich übrigens auch ihr Versprechen im Koalitionsvertrag, nach dem die Gerichte in der gegenwärtigen Form erhalten bleiben sollen.Viertens, hat mich die mangelhafte Entscheidungsgrundlage des Kabinettsbeschlusses fassungslos zurückgelassen. Da legt die Ministerin eine Berechnung vor, die ein Einsparpotential von 60 Millionen EUR bis 2040 ausweist. Dann machen sich etwa 15 Gerichtsbeschäftigte auf und prüfen die Zahlen. Das Ergebnis: keine Einsparungen, sondern Mehraufwendungen von ca. 20 Mio. EUR. Eine Differenz also von 80 Millionen Euro. Das muss man sich mal vor Augen halten. Und das bei einer Entscheidung des Kabinetts von derart großer Tragweite für Beschäftigte. Da wird mir Angst und Bange, wenn dies die typische Sorgfalt in Vorbereitung wichtiger Entscheidungen ist. 2 Da fragt man sich, was lief da falsch. Welche Zahlen lagen beim Kabinettsbeschluss vor? Wie und durch wen wurden sie überhaupt überprüft? Für den Murks spricht auch, dass sie nach kurzen Gesprächen mit den Richterverbänden auf etwa 40 Millionen Einsparungen kommen.Unterm Strich kann man den Gerichtsbeschäftigten nicht oft genug danke sagen. Sie waren es, die diese krasse Fehlkalkulation korrigiert und einen großen Justizirrtum vermieden haben.Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz dieser großen Versäumnisse der Landesregierung, der überbordenden Unsicherheit und Frustration bei den Gerichtsbeschäftigten und der kostenlosen Nachhilfearbeiten haben sich alle Verbände konstruktiv gezeigt und hielten die Tür für Sie, Frau Ministerin, weit auf.Dieses konstruktive Verhalten hat mich sehr bewegt. Gerade weil die Stimmen der Verbände in einer zunehmend polarisierten Welt, als Stimmen der Vernunft daherkamen. Es sind Stimmen, die auf Ausgleich, auf Miteinander ausgerichtet sind, in dem Bewusstsein, dass man gemeinsam zu besseren Ergebnissen kommt. Im Ausschuss haben die Verbände Ihnen oft zugeflüstert. Hier sind wir. Wir haben gute Ideen. Beziehen Sie uns ein.Hören sie auf ihre Mitarbeiter im Haus, aber auch in den Gerichten und im Justizvollzug. Zeigen Sie sich offen, auch wenn es mal schwerfällt. Aber bitte lassen sie sich nicht von der Staatskanzlei oder wen auch immer an der Nase herumführen.Dies ist wichtig, auch für das, was noch kommt. Denn wir sind noch nicht durch.Die Zentralisierungsbemühungen scheinen aufgehoben, aber nur mit Blick auf die Sozial- und Arbeitsgerichtsbarkeit. Gut, vergessen wir nicht Neumünster. Neumünster steht nun schlechter dar als zuvor. Das ist natürlich sehr bitter für die Menschen dort. Und das Ziel, ein Amtsgericht pro Kreis, besteht fort. Ich denke, es wäre heute ein guter Moment, reinen Tisch zu machen und auch hier die Zielvorgaben zurückzunehmen. Bitte erklären sie es.Wie widersinnig die oberflächliche Zielformulierung für die Kreise ist, zeigt das Beispiel Nordfriesland. Hier gibt es einen Standort in Husum. Ein klassisches Amtsgericht, bis auf den letzten Platz belegt, in einem denkmalgeschützten Gebäude. Es gibt keine Erweiterungsmöglichkeit.Das Amtsgericht in Niebüll leidet unter einem Sanierungsstau, seit Jahren. Aber die Frage der Sanierung ist naturgemäß standortunabhängig. Es gibt kein die Beschäftigten aufnehmendes Gerichtsgebäude. Stattdessen wäre es sinnvoll, da kostengünstig, den Status quo in Niebüll mit kleineren baulichen Maßnahmen zu erhalten. Das spart dieser Tage Geld. Und ich bin davon überzeugt, dass die tollen Mitarbeitenden in Niebüll fein damit wären. 3 Unabhängig hiervon wird Niebüll als Standort gebraucht. 50 % der Grundbuchangelegenheiten haben Bezug zu den nordfriesischen Inseln. Ein Drittel der Familiensachen gehen von Sylt, Amrum oder Föhr aus. Die Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher haben bereits jetzt lange Anfahrtswege, auch wenn es darum geht, eine Gewaltschutzanordnung schnell zuzustellen. Eine Zentralisierung an einem Standort wäre also teuer, nicht funktionell und für die Mitarbeitenden schlecht. Worst, worst, worst Situation.Und ähnlich sieht es bei anderen Amtsgerichten aus. Also, Frau Ministerin, sammeln Sie die noch offene Zielvorgabe mit Blick auf die Amtsgerichte ein. Gehen sie ins Gespräch mit den Beschäftigten und schauen sie sich die konkrete Situation vor Ort an. Bitte legen Sie ihre Hartnäckigkeit zugunsten der Gerichtsbeschäftigten in die Waagschale, nicht zu deren Lasten. Machen Sie also bitte zukünftig alles anders als bisher. Dieser Appell richtet sich übrigens auch an Herrn Günther.Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit." 4