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18.10.24
12:13 Uhr
Landtag

Podiumsdiskussion im Landeshaus "Engagement für Deutschland - brauchen wir ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr?"

Nr. 106 / 18. Oktober 2024


Podiumsdiskussion im Landeshaus „Engagement für Deutschland – brauchen wir ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr?“

Zunehmende Bedrohungen für die Sicherheit Europas und Deutschlands angesichts von Krieg und Krisen, Personalmangel im Pflege- und Sozialbereich, stark geforderte Rettungskräfte und Hilfsorganisationen, nachlassendes Engagement im ehrenamtlichen Bereich und die Tendenz zur sozialen Individualisierung: Ist es Zeit für mehr Einsatz jedes und jeder Einzelnen zur Verteidigung unseres Landes, zur Sicherung des Gemeinwohls und zur Stärkung des gemeinschaftlichen Zusammenhalts? Braucht Deutschland eine allgemeine Dienstpflicht, ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr – und wenn ja, wie kann dies aussehen? Darüber hat ein hochkarätig besetztes Podium gestern (17.10.) im Kieler Landeshaus diskutiert.
In ihrer Eröffnungsrede wies Landtagspräsidentin Kristina Herbst darauf hin, dass es bei der Diskussion über ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr nicht um die Wiederbelebung des Wehrdienstes oder des sogenannten Ersatzdienstes gehe. „Aus meiner Sicht geht es hier auch um gegenseitige Wertschätzung. Auf der einen Seite um die Wertschätzung der Gesellschaft für das Fundament unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Auf der anderen Seite aber auch um die Wertschätzung gegenüber den jungen Menschen, die den Dienst absolvierten“, so Herbst. „Und wenn das Gesellschaftsjahr darüber hinaus dazu beiträgt, jungen Menschen durch die gewonnenen Einblicke in die Bundeswehr, in Einrichtungen der sozialen Wohlfahrtsverbände oder in viele andere Tätigkeitsfelder die Entscheidung für ihre spätere Berufswahl zu erleichtern, dann haben alle Seiten profitiert“, stellte die Parlamentspräsidentin fest.
Herbst begrüßte in der Diskussionsrunde den Inspekteur der Deutschen Marine, Vizeadmiral Jan Christian Kaack, den Lehrstuhlinhaber für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München, Prof. Dr. Carlo Masala, die Landesvorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtsverbände Schleswig-Holstein und Vorstandsvorsitzende des DRK- Landesverbandes Schleswig-Holstein, Anette Langner, den Vizepräsidenten der Vereinigung der Unternehmensverbände in Hamburg und Schleswig-Holstein e.V. (UV Nord), Reinhold von Eben- Worlée, sowie den Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Medizinrecht an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Prof. Dr. Sebastian Graf von Kielmansegg.
Eingangs der Podiumsdiskussion sprach sich Prof. Dr. Carlo Masala gegen die Einführung einer Dienstpflicht aus. Für die Bundeswehr sei vielmehr eine Musterungspflicht als gutes Beispiel zu nennen, wie sie in Schweden praktiziert werde: „Dort hat jeder nur die Pflicht sich mustern zu lassen. Wer sich für das Militär interessiert, kann sich im Alter von 16 Jahren bewerben, aber es werden pro Jahr nur 10.000 der besten Leute genommen. In Schweden ist es heute eine Ehre, zu den Besten zu gehören“, so Masala. Es gehe im Kern darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Demokratie in Gefahr sei.
Vizeadmiral Jan Christian Kaack sprach sich für die Einführung einer Dienstpflicht aus, um dem Personalmangel bei der Bundeswehr zu begegnen. Junge Menschen würden sich kaum mit der Bundeswehr auseinandersetzen, weil sie im Alltag nicht präsent sei. Auch er sehe Schweden diesbezüglich als mögliches Vorbild. Die Öffnung der Bundeswehr für in Deutschland lebende Menschen ohne deutschen Pass sei aus seiner Sicht „nicht abwegig“. Er denke aber, dass dies politisch derzeit nicht umsetzbar sei. Der Inspekteur der Deutschen Marine betonte zudem, dass der Wiederaufbau der Strukturen Zeit benötige. „Ich hätte mir eine solche Diskussion viel, viel früher gewünscht“, sagte Kaack und ergänzte: „Wir haben keine drei Jahre Zeit für diese Diskussion“, die russische Kriegswirtschaft laufe auf Hochtouren.
Auch Anette Langner sprach sich auf dem Podium für die Einführung einer Dienstpflicht aus. Aus ihrer Sicht sei der soziale Bereich auf junge Menschen angewiesen. „Ein solcher Dienst trägt dazu bei, den sozialen Zusammenhalt zu stärken“, unterstrich Langner. In einem verpflichtenden Dienstjahr liege ferner eine große Chance, junge Menschen auf den sozialen Bereich aufmerksam zu machen. Aus ihrer Sicht sei es allerdings kontraproduktiv, dass im kommenden Jahr Kürzungen von 40 Millionen Euro im Bereich der Freiwilligendienste geplant seien. Außerdem sei es fatal, über die Einführung eines Dienstes zu sprechen, gleichzeitig aber Nichtdeutsche auszuschließen. Das sei eine verpasste Chance zur Förderung der Integration, so die Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtsverbände.
Prof. Dr. Sebastian Graf von Kielmansegg ging in seinen Ausführungen insbesondere auf die rechtlichen Rahmenbedingungen ein. „Die Aussetzung der alten Wehrpflicht wieder zurückzunehmen, wäre rechtlich kein großes Problem“, unterstrich der Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Anders sehe das jedoch bei der Etablierung einer Dienstpflicht aus. „Eine Dienstpflicht neuen Zuschnitts sieht das Grundgesetz nicht vor“, so Graf von Kielmansegg. Dafür brauche es vielmehr den Mut und die Energie, die Verfassung zu ändern.
Reinhold von Eben-Worlée führte aus, dass er eine zwiespältige Meinung zur Einführung einer Dienstpflicht habe. Einerseits erkenne er, dass Wirtschaft, Bundeswehr und der soziale Bereich gleichermaßen unter einem Fachkräftemangel litten und diese Bereiche somit in Konkurrenz zueinander stünden. Andererseits, so betonte der Vizepräsident der UV Nord, sei eine funktionierende Bundeswehr zum Schutz von Gesellschaft und Wirtschaft notwendig. Gleichzeitig warnte von Eben-Worlée: „Wir müssen aufpassen, dass wir keinen Billigarbeitsmarkt etablieren.“ Es dürfe beispielsweise nicht sein, dass eine Krankenschwester durch einen jungen Menschen ersetzt werde, der sein Dienstjahr erfülle.
Moderiert wurde die Diskussion von dem NDR-Journalisten Christopher Scheffelmeier.