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16.10.24
17:15 Uhr
B 90/Grüne

Nelly Waldeck zur Umstiegsberatung

Presseinformation

Es gilt das gesprochene Wort! Landtagsfraktion Schleswig-Holstein TOP 15 – Umstiegsberatung in Schleswig-Holstein weiterführen Pressesprecherin Claudia Jacob Die Rede hält in Vertretung die Abgeordnete Landeshaus der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Nelly Waldeck: Zentrale: 0431 / 988 – 1500 Durchwahl: 0431 / 988 - 1503 Mobil: 0172 / 541 83 53
presse@gruene.ltsh.de www.sh-gruene-fraktion.de
Nr. 313.24 / 16.10.2024


Bis wohin ist eine Handlung unter finanzieller Not oder der Sorge vor Obdachlosigkeit noch freiwillig?
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleg*innen,
ich halte diese Rede in Vertretung für Catharina Nies und möchte an dieser Stelle ihr auch sehr für das Engagement danken, welches sie in dieses Thema steckt.
Es ist wichtig, dass wir hier im Landtag marginalisierte Gruppen nicht aus dem Blick verlieren. Sexarbeiter*innen gehören dazu. 620 Sexarbeiter*innen waren Ende 2021 in Schleswig-Holstein angemeldet, Mitte 2022 waren ca. 740, vor der Corona-Pandemie waren etwa 2000 Menschen für den Job angemeldet. 90 Prozent sind Frauen, viele kommen aus dem EU-Ausland.
Die Hintergründe, Sexarbeit zu betreiben, sind sehr unterschiedlich. Für einige Perso- nen ist es schlicht ein Job, der den Lebensunterhalt finanziert, für einige geht es um die offene Auslebung der eigenen Sexualität, die eigene freie Arbeitsgestaltung. Bei einigen geht es aber auch schlicht darum, irgendwie das eigene Überleben zu sichern und nicht auf der Straße leben zu müssen.
Und da stellt sich natürlich die Frage: Bis wohin ist eine Handlung unter finanzieller Not oder der Sorge vor Obdachlosigkeit noch freiwillig? An dieser Stelle sind die Übergänge fließend. Und genau an diesen Stellen ist auch eine Beratungsstruktur so essenziell.
Und dann gibt es natürlich auch die Fälle, in denen Frauen diese Arbeit absolut gar nicht selbstbestimmt tun, sondern hierfür nach Deutschland verschleppt wurden und hier zwangsprostituiert, also vergewaltigt werden. Menschenhandel zum Zwecke der sexu- ellen Ausbeutung ist strafbar gemäß 232 StGB. Hiergegen muss mit aller Härte und Seite 1 von 3 Konsequenz vorgegangen werden.
Selbstbestimmte Prostitution aber ist zu akzeptieren. Wer aus freien Stücken ihren oder seinen Lebensunterhalt mit sexuellen Dienstleistungen verdienen will, soll das auch tun können. Viele Sexarbeiter*innen sind als Selbstständige tätig. Sie müssen nach dem Prostituiertenschutzgesetz verschiedene rechtliche Rahmenbedingungen einhalten und sich eigenständig organisieren. Das ist besonders für Menschen aus dem Ausland ohne Sprachkenntnisse nicht einfach.
Zur Krankenversicherungspflicht in Deutschland bis zur Unterstützung bei der formalen Anmeldung als Sexarbeitende beim Landesamt für soziale Dienste beraten zwei kom- petente Fachstellen in Schleswig-Holstein. Es gibt eine gesetzlich normierte Beratungs- pflicht.
Sexarbeit ist in Deutschland grundsätzlich legal und gilt als eine „normale Erwerbstätig- keit“. Das ist sie aber nur so lange, wie Prostituierte auch aus eigener Entscheidung in der Sexarbeit sind. Die Rahmenbedingungen müssen also sicherstellen, dass die Arbeit freiwillig erfolgen kann, und dass ein Berufswechsel jederzeit möglich ist.
Das heißt, dass diejenigen, die freiwillig tätig sind sich jederzeit auch frei entscheiden können müssen aufzuhören und dafür, gerade wenn es Abhängigkeitsverhältnisse gibt, braucht es eine professionelle Exithilfe - also Umstiegsberatung.
Lebensumfeld und Job sind in der Sexarbeit nicht selten eng miteinander verwoben, man steigt nicht einfach so in der Sexarbeit aus, wie man einen anderen Job kündigt und wechselt. Dafür braucht ein Mensch Kraft, Unterstützung und muss sich finanziell anders absichern können. Es braucht auch einen eigenen Ort zum Schlafen, damit man nicht auf einen Kunden angewiesen ist und in schwierige finanzielle Abhängigkeitsbe- ziehungen gerät. Wir wollen deshalb, dass ein Augenmerk in der künftigen Konzeption auf die Frage von Übergangswohnen gerichtet wird.
Die Mitarbeiter*innen der Umstiegsberatung haben Sexarbeitenden in Schleswig-Hol- stein die letzten drei Jahre zur Seite gestanden und sie kompetent unterstützt. Die Bun- desregierung hat deutschlandweit mit dem Programm AQUA 7 Projekte mit einer An- schubfinanzierung gefördert und eine Evaluation durchführen lassen. Auch Schleswig- Holstein hat von dem Programm profitiert, Cara SH und das Frauennetzwerk zur Ar- beitsmarktsituation erhielten über die Laufzeit 700.000 Euro für den Aufbau dieses spe- zifischen Beratungsangebots.
Planmäßig ist das Bundesprogramm diesen Sommer nun ausgelaufen. Die Träger ha- ben uns bereits vor einiger Zeit darauf hingewiesen und seit da an immer den steigen- den Bedarf bei den Klient*innen deutlich gemacht. Hier besteht Fachexpertise, die wir nicht verlieren wollen. Denn nur wenige Jurist*innen und Berater*innen sind speziali- siert. Uns ist es durch Umschichtung in diesem Jahr gelungen, die Umstiegsberatung an beiden Standorten in Kiel und Neumünster bis Ende des Jahres weiterlaufen zu las- sen.
Unfreiwillige Sexarbeit wie Zwangsprostitution sind unbedingt zu verhindern. Deshalb brauchen wir Anlaufstellen bei dem Wunsch auszusteigen und Übergangswohnungen für Hilfesuchende.

Wir bitten die Landesregierung, nach Möglichkeiten einer Folgefinanzierung ab 2025 zu
2 suchen, und werden uns selbst an dieser Suche intensiv beteiligen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit! ***



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