Marc Timmer zur Gerichtsstrukturreform: Das ist Führung mit dem Holzhammer
Heimo Zwischenberger Pressesprecher der SPD-Landtagsfraktion Adresse Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel Telefon 0431 988 1305 Telefax 0431 988 1308 E-Mail h.zwischenberger@spd.ltsh.de Webseite www.spd-fraktion-sh.de Es gilt das gesprochene Wort!Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden: http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathekLANDTAGSREDE – 27. September 2024Marc Timmer: Gerichtsstrukturreform: Das ist Führung mit dem Holzhammer TOP 37B: Keine Gerichtsstrukturreform nach Gutsherrenart„Kapitel 1: Die Holzhammermethode der JustizministerinEhrlich? Das gibt es nicht? Das kann nicht sein. Ohne Vorwarnung. Ich bin schockiert. Entsetzt. Dies oder ähnliches haben sicherlich viele Beschäftigte der Justiz vorgestern gedacht oder gesagt, als sie Post von der Justizministerin erhalten haben. Da kündigt die Justizministerin tatsächlich mal so eben eine der größten Organisationsveränderung der Nachkriegszeit im Justizbereich an, die gravierende Auswirkungen auf das Leben der Beschäftigten und ihrer Familien haben wird. Hunderte von Richterinnen und Richtern und anderen Justizbediensteten werden vor den Kopf gestoßen. Ihre Lebenswirklichkeit ändert sich von heute auf morgen.Frau Ministerin von der Decken, das ist Führung mit dem Holzhammer. Das kann nicht Ihr Ernst sein! Das ist an Empathielosigkeit und fehlender Menschenkenntnis nicht zu überbieten. Es ist ein Verständnis von Organisationen und Veränderungen aus dem letzten Jahrhundert. Die Menschen, die es betrifft, in keiner Weise einzubeziehen, ist ein Kardinalfehler. In einigen Unternehmen wäre dies der Zeitpunkt, in dem die Verantwortlichen ihren Hut nehmen müssten.Ihr Vorgehen, Frau Ministerin, nützt ihrem eigenen Anliegen in keiner Weise – unabhängig davon das es falsch ist. Denn was löst dieses Vorgehen nach Gutsherrenart aus? Nicht mehr und nicht weniger als eine überbordende Verweigerungshaltung derer, die es betrifft. Und damit die Ablehnung jeglicher Pläne sowie jeglicher Bereitschaft mitzumachen. Warum sollte dies auch anders sein? Signalisieren Sie doch eindeutig durch ihr Verhalten, dass Sie auf ein Mitwirken der Beschäftigten offensichtlich keinen Wert.In welch krasser Form sich diese Verweigerungshaltung völlig zurecht Bahn bricht, wird an den Reaktionen deutlich. Und bitte: Dies habe ich in dieser unmissverständlichen Art noch nicht erlebt.Die Bundesrechtsanwaltskammer schreibt: „Das werden wir Schleswig-Holstein so nicht durchgehen lassen.“ 1 Christiane Schmehl, Vorsitzende des Schleswig-Holsteinischen Richterverbandes sagt: „Diese Vorgehensweise lässt uns fassungslos zurück.“ Und weiter: „Das ist eine Kommunikationsweise, die ins 21. Jahrhundert nicht mehr gehört, das gehört für mich eher in die Kaiserzeit.“Der Präsident der Schleswig-Holsteinischen Rechtsanwaltskammer, Rechtsanwalt und Notar a.D. Jürgen Doege schreibt: „Ich bin völlig überrascht und sehr befremdet.“Laura Poth vom DGB nennt es einen unglaublichen Handstreich.Und die Richterinnen und Richter auf der Galerie sind sicher auch nicht spontan nach Kiel gefahren, um Sie zu Ihrem grandiosen Einfall zu beglückwünschenKapitel 2: Die Situation der Richterinnen und Richter und JustizbedienstetenHunderte Menschen sollen mit einem Federstrich quer durchs Land versetzt werden. Das bedeutet lange Weg. Dies verändert in hunderten von Fällen das tägliche Leben gravierend, nein es verändert es nicht, es verschlechtert sich! Alles ohne Dialog, ohne Einbeziehung. Damit kann man den Beschäftigten nicht gerecht werden.Gleiches gilt für die Amtsgerichte. Pauschal ein Gericht pro Kreis auszurufen, verkennt die Realitäten in unserem Land. In Flächenkreisen macht dies einfach keinen Sinn. Es ist Rasenmäherpolitik ohne Verstand.Kapitel 3: Die Rechtssuchenden und die Bankrotterklärung eines bürgerfreundlichen RechtsstaatesMichael Saitner, Vorstand des PARITÄTISCHEN Schleswig-Holstein, fasst dies gut zusammen.„Niemand kann zum Beispiel von pflegenden Angehörigen oder Menschen mit Behinderung erwarten, dass sie sich einen halben Tag freihalten, um quer durchs Land zum Sozialgericht zu fahren, um dort den Grad einer Schwerbehinderung oder Leistungsansprüche der Pflegeversicherung auszufechten.“Die Bundesrechtsanwaltskammer titelt: „Schleswig-Holstein forciert Bankrott des Rechtsstaates“. Und weiter heißt es: „Gerade im Arbeits- und Sozialgericht, dass so viele Bürgerinnen und Bürger betrifft, muss die räumliche Nähe des zuständigen Gerichts gewährleistet bleiben.“Der deutsche Sozialgerichtstag merkt an: „Die Justiz muss regional verwurzelt bleiben, um nah an der Lebenswirklichkeit der Menschen zu sein.“ 2 Der Präsident der Schleswig-Holsteinischen Rechtsanwaltkammer, Rechtsanwalt Notar a.D. Jürgen Doege hebt hervor: „Der Abbau von Gerichten, die insbesondere für einkommensschwache Bürgerinnen und Bürger von Bedeutung sind, wird dazu führen, dass die Politikverdrossenheit weiter zunimmt.“Und ich füge hinzu: Wenn sich der Staat vom Bürger entfernt, dann darf er sich nicht wundern, wenn sich der Bürger vom Staat entfernt.Kapitel 4: Justizministerin non caclulat und quod erat demonstrandumJeglichen Nachweis der Einsparungen bleiben Sie schuldig. Auf welcher Grundlage kommen sie zu den Einsparpotentialen, Frau Ministerin. Wo sind die Wirtschaftlichkeitsberechnungen für Szenarien, die man bei professioneller Vorgehensweise entwickeln würde, bevor man mit sowas an die Öffentlichkeit geht? Es wäre ihre Verpflichtung gewesen, die Einsparungen und Folgekosten Ihrer Planung gegenüberzustellen und den wirtschaftlichen Nutzen transparent darzustellen und nachzuweisen, statt in einem belehrenden Schreiben Angst und Schrecken zu verbreiten. Haben Sie die weiteren Wege der Gerichtsbeschäftigten berücksichtigt? Was ist mit längeren Wegen von Arbeitnehmern oder Arbeitgebern zu den Gerichten? Wie groß sind die Mehraufwendungen von Polizei und Justizvollzug? Und was ist beispielswiese mit Sanierungen von Gebäuden, die in den letzten Jahren getätigt worden sind, und mit Schließung der Gerichte nutzlos werden. Gleichzeitig aber werden Umbaumaßnahmen im großen Umfang für neue Räumlichkeiten erforderlich.Heiko Siebel-Huffmann, ASJ Vorsitzender und Richter am Landessozialgericht, prophezeit gar, dass die Zusammenlegung mehr kosten als sparen werde.Und um das Chaos perfekt zu machen, kommt gestern Abend die verwirrende Nachricht der Ministerin, dass 2025 kein Geld für die Zusammenlegung der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit vorhanden sei. Also doch nicht? Sie verspielen gerade jedes Vertrauen.Kapitel 5: Was nun, Frau Ministerin?Legen Sie die Reform auf Eis und die Pläne zurück in die Schublade. Halten Sie sich an ihren Koalitionsvertrag. Hier heißt es auf Seite 113: „Davon unberührt werden wir aber alle Standorte der Schleswig-Holsteinischen Justiz erhalten. Hierdurch sichern wir den unkomplizierten Zugang zur Justiz überall in Schleswig-Holstein.“ Wenn Sie tatsächlich Prüfungen zur Qualitätsverbesserungen vornehmen wollen, dann machen Sie das in einem geordneten Prozess unter Einbeziehung der Beschäftigten, der Berufsvertretungen, der Sozialverbände, der Personalvertretungen. Ziehen Sie dazu externen Sachverstand heran. Und - lassen Sie das Ende offen.Und erinnern Sie sich auch mal daran, dass Sie als Dienstherrin gegenüber den vielen Beschäftigen bei den Gerichten eine Fürsorgepflicht haben. Das sind keine Büromöbel, die man 3 nach Belieben verschieben kann! Denn um sie geht es vor allem anderen. Ihre Arbeit für einen effektiven Rechtsschutz im Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger ist für unseren funktionierenden Rechtsstaat unentbehrlich. Dies zu gefährden, gefährdet unser demokratisches Zusammenleben. Sie haben nicht mehr und nicht weniger höchste Wertschätzung verdient für das, was sie tun. Und deshalb möchte ich Ihnen zurufen. Vielen Dank für Ihre Arbeit. Das Vorgehen der Justizministerin tut ihnen unrecht. So einen Umgang, so eine sogenannte Reform haben Sie nicht verdient.“ 4