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19.07.24
10:03 Uhr
Landtag

Landtagsvizepräsidentin Eka von Kalben zum 80. Jahrestag des Attentats vom 20. Juli 1944

Nr. 077 / 19. Juli 2024


Landtagsvizepräsidentin Eka von Kalben zum 80. Jahrestag des Attentats vom 20. Juli 1944

Der Schleswig-Holsteinische Landtag hat heute (Freitag) an den 80. Jahrestag des Attentats vom 20. Juli 1944 erinnert. Landtagsvizepräsidentin Eka von Kalben gedachte des Jahrestages mit einer Ansprache im Plenum. Hier die Rede im Wortlaut (es gilt das gesprochene Wort):
„Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
morgen, vor genau 80 Jahren, missglückte ein Attentat auf Adolf Hitler. Die Bombe, die Claus Schenk Graf von Stauffenberg dem Diktator in seinem Hauptquartier unter einem Tisch platziert hatte, verfehlte ihre Wirkung und der zeitgleich in Berlin und anderen Städten begonnene Versuch der Verschwörer, eine neue Regierung einzusetzen, schlug letztlich fehl. Die Männer – und Frauen – des 20. Juli und viele ihrer Verwandten wurden auf Grundlage der sogenannten „Sippenhaft“ verhaftet, eingesperrt und viele von ihnen vom NS-Regime gleich oder nach unmenschlichen Schauprozessen hingerichtet.
Die Verschwörung und das Attentat von vor 80 Jahren gehört zu den bis heute bekanntesten Versuchen des deutschen Widerstandes, durch die Beseitigung Hitlers eine politische Veränderung in Deutschland herbeizuführen.
Diese Veränderungen – darin sind sich die Historikerinnen und Historiker einig – waren nicht auf einen demokratischen Staat nach unseren heutigen Vorstellungen gerichtet. Im Vordergrund unseres Erinnerns und Gedenkens aber steht die eigentliche Tat selbst, der Versuch, auch unter Einsatz des eigenen Lebens, dem verbrecherischen NS-Regime Einhalt zu gebieten. Das ist das Verdienst der Menschen, die wir heute als „Verschwörer des 20. Juli“ kennen.
Wenig – oder gar nicht – bekannt aber sind die vielen Menschen, die im Kleinen Widerstand gegen die Nazis leisteten. Georg Elser etwa, ein Schreiner aus Württemberg, der bereits 1939 ganz allein ein Attentat auf Hitler plante, das ebenfalls scheiterte. Aber Widerstand konnte auch andere Formen annehmen. Ich denke dabei an Menschen, die Verfolgte, vor allem Jüdinnen und Juden, bei sich versteckten.
Andere zeigten ihre Widerständigkeit dadurch, dass Sie das NS-Regime durch kleine Akte der Verweigerung unterliefen oder dass sie sich offen gegen dessen Verbrechen äußerten.
Bekannt geworden ist ein Foto, das eine Menschenmasse anlässlich einer Betriebsversammlung zeigt, in der alle Personen den Hitlergruß zeigen – nur eine Person mit demonstrativ verschränkten Armen verweigert sich.
Wer der Mann ist, ist bis heute nicht abschließend geklärt. Es könnte der 1910 in Moorrege geborene August Landmesser sein, der erst begeisterter Nazi war, aber durch die Liebe zu einer jüdischen Frau zum Widerständigen wurde und schließlich 1942 von den Nazis ermordet wurde.
Meine Damen und Herren,
über die Motive der Verschwörer des 20. Juli ist vieles geschrieben und auch spekuliert worden.
Fest steht, dass diese Männer und Frauen damals etwas gegen ein verbrecherisches Regime unternahmen und zwar im Bewusstsein, dass das Risiko eines Scheiterns und damit des sicheren Todes hoch war.
Angesichts der aktuellen Entwicklung, die – leider – 80 Jahre nach dem gescheiterten Attentat in Deutschland wieder politische Stimmen laut werden lässt, die Ausgrenzung, autoritären Regierungsfantasien und offenem Rassismus das Wort reden, sind wir alle gefordert.
Unser Handeln muss umso entschlossener sein, als wir – anders als die widerständigen Männer und Frauen in der NS-Zeit – eine demokratische Gesellschaft erhalten und verteidigen und diese nicht erst erhoffen und aufbauen müssen. Unser Handeln ist geschützt vom Staat und nicht umgekehrt – selbst dann, wenn wir die Regierung kritisieren.
Diese Freiheit können wir aber verlieren – vielleicht schneller, als wir uns das alle vorstellen können.
Als der junge Leutnant Ewald von Kleist seinen Vater um Rat fragte, ob er sich den Verschwörern um den Grafen Stauffenberg anschließen solle, antwortete dieser: „Du musst es tun! Wenn Du es nicht tust, wirst Du in Deinem Leben keine ruhige Stunde mehr haben.“
Meine Damen und Herren,
ich vertraue auf die große Mehrheit der Menschen in Deutschland, die Freiheit, Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaat verpflichtet sind und diese unverrückbaren Grundlagen unserer Gesellschaft achten und vor allem auch zu schätzen wissen.
Es braucht aber auch den Willen, diese Prinzipien zu verteidigen. Demokratinnen und Demokraten dürfen es nie wieder zulassen, dass sie nur unter Einsatz ihres Lebens und mit Hilfe eines Attentates wieder eine Perspektive für ein Leben in Freiheit, Würde und Demokratie erlangen können. Wehren wir den Anfängen, damit ein 20. Juli 1944 nie wieder notwendig sein wird. Gedenken wir der vielen Frauen und Männer, die als Widerständige gegen das NS-Regime ihr Leben riskierten oder sogar ihr Leben verloren.
Zu diesem Andenken gehört auch der Auftrag, das Vermächtnis der Widerständigen gegen das NS-Regime vor Vereinnahmungen durch Rechtsextremisten zu schützen. Dass am morgigen 20. Juli ein sogenanntes Vernetzungstreffen dieser demokratiefeindlichen Kräfte in unserem Land stattfindet, ist ein bewusster und völlig inakzeptabler Versuch, sich in die Tradition des Widerstandes zu stellen.
Wir Abgeordneten des Schleswig-Holsteinischen Landtages sagen dazu klar und deutlich: die Menschen, die zwischen 1933 und 1945 den Nazis die Stirn boten und sich gegen die menschenverachtende Ideologie stellten, gehören zu unseren besten freiheitlich-demokratischen Traditionen.
Diese lassen wir uns nicht nehmen! Vor allem auch im Namen der Nachkommen der Widerständigen vom 20. Juli 1944 sage ich deshalb ausdrücklich: die Antidemokraten von Rechts stehen nicht für das, was die Männer und Frauen des damaligen Widerstandes erreichen wollten.
Meine Damen und Herren,
auch wenn es letztlich der Befreiung durch die Alliierten am 8. Mai 1945 rund 10 Monate später bedurfte, so bleibt der morgige Tag, der 20. Juli, ein wichtiger Tag im Geschichtsbuch Deutschlands. Ein Tag, der uns dazu mahnt, für Demokratie, Freiheit und Rechtsstaat einzustehen und in unserem Land nie wieder eine Diktatur des Unrechts und eine Herrschaft des Hasses und des Rassismus zuzulassen.
Ich danke Ihnen.“