Birte Pauls zu TOP 38: Corona-Langzeitfolgen stellen uns vor neue medizinische und gesellschaftliche Herausforderungen
Heimo Zwischenberger Pressesprecher der SPD-Landtagsfraktion Adresse Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel Telefon 0431 988 1305 Telefax 0431 988 1308 E-Mail h.zwischenberger@spd.ltsh.de Webseite www.spd-fraktion-sh.de Es gilt das gesprochene Wort!Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden: http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathekLANDTAGSREDE – 18. Juli 2024Birte Pauls Corona-Langzeitfolgen stellen uns vor neue medizinische und gesellschaftliche Herausforderungen TOP 38: Bericht zur Situation von Post-Covid und ME/CFS Erkrankten in Schleswig-Holstein (Drs. 20/1980, 20/2094 Bericht)"Vielen Dank an das Ministerium für den Bericht. Anna hat sich während ihrer Ausbildung in der Pflege mit dem Coronavirus Sars-CoV 2 infiziert. Nach der überstandenen Infektion leidet sie an der Myalgischen Enzephalomyelitis und dem chronischen Fatigue Syndrom (ME/CFS). Sie liegt zu Hause in einem abgedunkelten Zimmer. Sämtliche Geräusch- und Lichtreize überfluten ihren Körper, nichts geht mehr. Kontakte zu Freunden sind nicht einmal mehr übers Handy möglich. Die pflegerische und medizinische Versorgung übernimmt ihr Mann. Er kümmert sich um die Bestellung von Medikamenten und Hilfsmitteln und muss zusätzlich oft mit Ärzten, Kassen und Behörden kämpfen. Die Familie ist mit den Kindern auf sich selbst gestellt. In Deutschland nicht vorstellbar? Doch, denn leider ist das Schicksal von Anna kein Einzelfall. Doch diese Menschen sind für die Gesellschaft kaum sichtbar.Corona spielt in der Öffentlichkeit keine Rolle mehr, aber für einige Menschen ist Corona eben nicht vorbei. Sie leiden an Post Covid und ME/CFS und auch an Post Vac, was der Bericht leider komplett ausblendet. Ein großer Anteil der Betroffenen kommt aus den Gesundheits- und Sozialberufen, die in der Pandemie an vorderster Front weitergearbeitet haben und sind Frauen.Erschöpfung, Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme, Schlafstörungen, Husten, Schmerzen, Muskelschwäche und Sprachstörungen lassen eine eindeutige Diagnose oft nicht zu.Das macht die Diagnose so schwierig, zumal nur sehr wenige Ärzte auf Diagnose und Therapien geschult sind. Die Fortbildungsangebote, besonders im hausärztlichen Bereich sind minimal.Und ganz schnell landen, besonders Frauen, mit einer psychosomatischen Diagnose wieder zu Hause und werden alleine gelassen. 1 Ich habe mich gefragt, ob die erhöhten Zahlen der Psychologischen Diagnosen aus unserer Großen Anfrage zur Frauengesundheit damit zusammenhängen.Diese Vermutung spiegelt sich auch im Bericht wider, denn trotz klarer Somatik, werden im Bericht die psychiatrischen Zentren als Grundpfeiler für die wenigen Ambulanzen dargestellt.Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat in seiner Sitzung am 21. Dezember 2023 die Richtlinie über eine berufsgruppenübergreifende, koordinierte und strukturierte Versorgung für Versicherte mit Verdacht auf Long-COVID und Erkrankungen, die eine ähnliche Ursache oder Krankheitsausprägung aufweisen (Long-COVID-Richtlinie/LongCOV-RL) beschlossen.Es ist sehr gut, dass die lang ignorierte Post-Vac Symptomatik ebenfalls Zugang zur beschriebenen Patientengruppe gefunden hat.Die SPD begrüßt die Förderung der neu eingerichteten Ambulanzen am UKSH durch das Land und wir wünschen den Mediziner:innen viel und schnellen Erfolg. Mir ist bewusst, dass die Forschung vor der Therapie stehen muss, aber die Betroffenen vermissen die Therapien.Alleine das Aufsuchen der Ambulanzen kostet den Betroffenen enorme Kraft.Es kommt, wie sie es selber ausdrücken, zum sogenannten Crash (PEM Post-Exertionelle Malaise) eine Verschlechterung des Zustandes schon bei minimaler Belastung.Die Krankenhauszimmer sind für diese Patienten nicht ausgerichtet. Wer Krankenhäuser von drinnen kennt, weiß dass sie kein Ort der Stille und der Dunkelheit sind.Ein weiteres Problem sind die im Bericht aufgeführten Reha- Maßnahmen. Die Erfahrungen zeigen, dass der Zustand der Betroffenen sich nach standardisierter Bewegungstherapie in Reha- Einrichtungen eher verschlechtert. Daher kommt der viel zitierte Satz: „Auf Krücken rein, im Rollstuhl raus“. Auch hier braucht es individuelle Lösungen.Von wie vielen Betroffenen wir überhaupt reden, bleibt fraglich, denn die Erhebungen fallen aufgrund der schwierigen Diagnostik und der häufigen Fehldiagnosen unterschiedlich aus. Wenn man einer Studie aus den USA folgt, wären in Schleswig-Holstein ca. 91.000 Menschen in irgendeiner Form betroffen.Der Patientenorganisation „nicht genesen“, die diese Zahlen veröffentlicht hat, möchte ich an dieser Stelle ein großes Lob und Dank für ihr Engagement aussprechen.Sie kämpfen für Anerkennung, Behandlung und Forschung und machen Politik und Gesellschaft auf die Versorgungslücke in unserem System aufmerksam. 2 Und all das obwohl die Kräfte oft nicht da sind und sie nach jeder Aktion einen Crash befürchten müssen.Wie sich das anfühlt beschreibt der Betroffene Max Götz in seinem Buch „Gedichte mit Long Covid“:„Voller Tatendrang erwacht, schau wie heut das Leben lacht! Aufgerichtet, ausgestiegen, Schmerz zurück, schnell wieder liegen.“ Wir haben den Menschen in der Pandemie sehr, sehr viel zugemutet. Die meisten sind mehr oder weniger unbeschadet aus der Zeit herausgekommen. Obwohl ich daran auch gerade mit Blick auf unsere Kinder und Jugendlichen meine Zweifel habe. Aber diejenigen, die weiter leiden müssen, verdienen unseren Respekt, unsere Aufmerksamkeit und vor allem unsere volle Unterstützung. Deshalb bitte ich um Überweisung in den Sozialausschuss, damit wir uns ausführlich ihrer Situation widmen können." 3