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11.07.24
10:40 Uhr
Landtag

Tätigkeitsbericht der Bürgerbeauftragten für das Jahr 2023: Über 100.000 Petitionen in 35 Jahren Bürgerbeauftragte

Nr. 16 / 11. Juli 2024

Tätigkeitsbericht der Bürgerbeauftragten für das Jahr 2023: Über 100.000 Petitionen in 35 Jahren Bürgerbeauftragte

Die Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten des Landes, Samiah El Samadoni, stellte heute (Donnerstag) ihren Tätigkeitsbericht für den Berichtszeitraum 2023 in Kiel vor. Im Berichtsjahr, in dem das Amt der Bürgerbeauftragten auch das 35. Jubiläum feierte, wurden insgesamt 3.641 neue Petitionen bearbeitet. „Uns erreichte im letzten Jahr damit die 100.000ste Petition seit Einführung des Amtes im Jahr 1988. Diese Zahl unterstreicht, wie wichtig es ist, dass Bürger*innen behördliche Entscheidungen kostenlos und unabhängig überprüfen lassen können“, so El Samadoni.
Insgesamt sind zum Ende des Berichtszeitraumes 101.217 Petitionen bei der Bürgerbeauftragten eingereicht worden. Im Jahr 2023 waren bei den Petitionen die Themen Grundsicherung für Arbeitsuchende (673), auch Bürgergeld genannt, die Sozialhilfe (412) und die Gesetzliche Krankenversicherung (397) am häufigsten vertreten; ein Trend, der seit Jahren anhält.
Bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende gab es im Vergleich zum Vorjahr einen deutlichen Zuwachs bei den Eingaben von 583 auf 673 Petitionen. Dies erklärt sich durch den hohen Beratungsbedarf zu den Neuregelungen im Bürgergeld seit dem 1. Januar 2023. Ein Schwerpunkt der Beschwerden bleibt die lange Bearbeitungsdauer bei Anträgen an das Jobcenter. Grund hierfür sind oft Stellenvakanzen infolge des Fachkräftemangels und die erhöhte Arbeitsbelastung in den Jobcentern wegen der Neuregelung des SGB II zum Bürgergeld. „Diese Änderungen wirkten sich aber ganz überwiegend positiv für die Bürger*innen aus, zum Beispiel bei dem Vermögensfreibetrag von 40.000 € oder der Karenzzeit von einem Jahr für die tatsächliche Miete“, so die Bürgerbeauftragte. „Beratungsbedarf ergab sich aber auch, weil den Menschen nach wie vor die Inflation zusetzte und insbesondere die gestiegenen Energiekosten und Preise für Lebensmittel für viele Menschen eine besondere Herausforderung waren.“
Auch bei der Sozialhilfe zeigte sich ein gesteigerter Beratungsbedarf wegen der Änderungen, die mit dem Bürgergeld zugleich in der Sozialhilfe eingeführt wurden. So gab es häufiger Probleme, weil Behörden hier die einjährige Karenzzeit bei der Miete nicht beachteten und zu früh eine Mietsenkung verlangten. Zunehmend bestand und besteht auch Beratungsbedarf bei der Hilfe zur 2

Pflege, wenn z.B. ein*e Ehepartner*in stationär gepflegt wird und das Einkommen der beiden Ehegatt*innen nicht ausreicht. Beim Sozialamt kann dann ein Antrag auf Hilfe zur Pflege in Form von Übernahme der Heimkosten für den Eigenanteil bei der stationären Pflege gestellt werden. „Dass bei einem Anstieg des Eigenanteils im Jahr 2023 um etwa 350 € monatlich auch zunehmender Unterstützungsbedarf gegeben ist, ist nachvollziehbar. Der Eigenanteil liegt jetzt bei etwa 2.700 € im Monat. Es geht dabei nicht um eine Luxusunterbringung, sondern um ein ganz normales Altenpflegeheim“, führte El Samadoni aus. „Ich finde es sehr problematisch, wenn Ehegatt*innen von stationär gepflegten Partner*innen am Ende ihres eigenen Lebens in Armut leben müssen, weil sie alles Einkommen, was den Bedarf der Sozialhilfe übersteigt, in den Eigenanteil stecken müssen. Erst wenn die*der Partner*in stirbt, steht ihnen wieder die volle Rente zu. Ich kann hier weiterhin nur dafür werben, dass wir eine andere Finanzierung für die Pflege brauchen: So gut können unsere Renten nicht sein, dass die Pflege bezahlt werden kann“, führt El Samadoni aus. Sie plädiert deshalb dafür, eine Vollkostenversicherung wie bei der Krankenversicherung einzuführen.
Die Anzahl der Petitionen zur Gesetzlichen Krankenversicherung blieb mit 397 Eingaben fast auf demselben Niveau wie im Vorjahr (399 Eingaben). Auch die Themenschwerpunkte haben sich kaum verändert: Krankengeld, Beitragsschulden und Fragen zum Versicherungsstatus spielten eine wesentliche Rolle. Häufiger gemeldet wurden aber auch Fälle, bei denen die rückwirkende Beendigung der Familienversicherung zu erheblichen Beitragsnachforderungen wegen einer dann erforderlichen freiwilligen Versicherung führte. „So entstehen schnell hohe Beitragsrückstände“, führt Samiah El Samadoni aus. In einem Fall sollte eine Familie für die 13-jährige Tochter mehr als 10.000 € nachbezahlen.
Ein übergreifender Schwerpunkt in allen Bereichen waren die durch den Fachkräftemangel verursachten Stellenvakanzen bei den Behörden und die dadurch bedingten langen Bearbeitungsdauern von Anträgen. „Dabei stelle ich fest, dass die Menschen in den Behörden wirklich viel arbeiten – es ist nur einfach nicht mehr leistbar. Ich sehe, dass uns ein regelrechter „Behörden-Burnout“ droht, wenn wir nicht bald umsteuern“, warnt El Samadoni. Verwaltungsaufgaben müssen nach Auffassung der Beauftragten effizienter und weniger bürokratisch gestaltet werden, um künftig die Handlungsfähigkeit unseres Staates zu erhalten. „Dies ist immens wichtig, wenn – wie in heutigen Zeiten – bei vielen Menschen das Vertrauen in den Staat schwindet“, appelliert die Bürgerbeauftragte. Um zu dieser Entbürokratisierung einen konkreten Impuls zu geben, erarbeitet die Bürgerbeauftragte gemeinsam mit den kommunalen Landesverbänden Vorschläge, wie zunächst die Arbeit der Sozialämter im Land effizienter und weniger bürokratisch ausgestaltet werden kann. „Ich hoffe, dass das Land diesen Impuls aufnimmt und sich vor dem Hintergrund des demographischen Wandels für eine nachhaltige Aufstellung der Sozialverwaltung insgesamt einsetzt“, so die Bürgerbeauftragte.
Konkrete Anregungen finden sich auch im Bericht: So sollte z.B. die Prüfung der Verjährung von Amts wegen im Sozialrecht vorgegeben sein. Nach den sozialrechtlichen Regelungen verjährt eine Erstattungsforderung grundsätzlich nach vier Jahren (§ 50 Abs. 4 Satz 1 SGB X). Eine Prüfung der Verjährung vom Amts wegen führt nach Auffassung der Bürgerbeauftragten deshalb zu einer 3

Entlastung der Verwaltung, weil letztlich nicht durchsetzbare Forderungen erst gar nicht berechnet und festgesetzt werden müssen.
Eine weitere Forderung der Bürgerbeauftragten ist die Einführung einer Bagatellgrenze für Rückforderungen im SGB XII. Im SGB II (Bürgergeld) gibt es seit kurzem bereits eine entsprechende Regelung, nach der die Jobcenter keine Beträge mehr zurückfordern, wenn die Rückforderungssumme unter 50 € liegt. Diese Bagatellgrenze hat zur Folge, dass die Jobcenter deutlich weniger aufwändige Aufhebungs- und Erstattungsbescheide erlassen müssen. „Für die Sozialämter ist dies allerdings nicht mitgeregelt worden; dort gibt es keine Bagatellgrenze. Diese sollte aber unbedingt auch für die Leistungen der Sozialhilfe gelten. Es lohnt sich bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise in der Regel nicht, Forderungen unter 100 € geltend zu machen – deshalb befürworte ich darüber hinaus, in beiden Bereichen die Bagatellgrenze auf 100 € festzusetzen“, so El Samadoni.
Zudem empfiehlt die Bürgerbeauftragte, dass im SGB II (Bürgergeld) eine Widerspruchseinlegung per E-Mail möglich gemacht werden sollte, wenn sich die Betroffenen gegen eine behördliche Entscheidung wehren möchten, mit der sie nicht einverstanden sind. Dies ist nach den gesetzlichen Regelungen nicht möglich. Dabei gibt es in anderen Bereichen durchaus die Möglichkeit, einfach per E-Mail einen Widerspruch einzulegen, zum Beispiel beim Kindergeld. „Dies sollte meines Erachtens in Zeiten der Digitalisierung auch bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende – wenn nicht gar grundsätzlich im Sozialrecht – ermöglicht werden. Ich halte diesen Schritt für bürgerfreundlich und dem Wandel der Zeit angemessen“, erläutert El Samadoni.