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19.06.24
12:54 Uhr
SPD

Marc Timmer zu TOP 34: In dubio pro Opfer

Heimo Zwischenberger Pressesprecher der SPD-Landtagsfraktion
Adresse Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel Telefon 0431 988 1305 Telefax 0431 988 1308 E-Mail h.zwischenberger@spd.ltsh.de Webseite www.spd-fraktion-sh.de Es gilt das gesprochene Wort!

Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden: http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathek

LANDTAGSREDE – 19. Juni 2024
Marc Timmer In dubio pro Opfer TOP 34: Bericht zum Opferentschädigungsrecht (Drs. 20/1702, 20/2102)
„Das Opferentschädigungsrecht ist novelliert worden. Die Rechte von Opfern bzw. deren Hinterbliebenen richten sich ab dem 1. Januar 2024 nach dem Vierzehnten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB XIV).
In einigen Bereichen wurde das Entschädigungsrecht für Opfer von Gewalttaten, die eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben, erweitert. Beispielsweise sind psychische Folgeschäden besser erfasst. Opfer schwerer psychischer Gewalttaten, wie Opfer schweren Stalkings, sind grundsätzlich anspruchsberechtigt.
Ausländische Staatsangehörige sind deutschen Staatsangehörigen gleichgestellt.
Das Gesetz sieht Fallmanager vor. Opfer sollen im Verfahren von diesen begleitet und unterstützt werden.
Die Entschädigungszahlungen für Geschädigte und Hinterbliebene werden zusammengefasst und deutlich erhöht.
Witwen und Witwer können eine monatliche Entschädigungszahlung von 1.055 Euro erhalten. Auch eine Einmalzahlung ist möglich.
Die Strafanzeige wird nicht mehr als Leistungsvoraussetzung im Gesetz genannt.
Auch bei der Kausalität zwischen Tat und Verletzung sollen geringere Maßstäbe angesetzt werden.
Dies ist richtig. Im Kern geht es um eine staatliche Entschädigungsleistung, weil der Staat seine Schutzpflichten nicht erfüllt hat.
Sehr geehrte Damen und Herren,

1 es ist gut, dass heute Opfer von Gewalttaten – übrigens überwiegend Frauen - in den Mittelpunkt gestellt werden. Dies ist zwingend geboten. Zu oft wird den Tätern zu viel Raum gegeben.
In diesem Sinne begrüße ich den Berichtsantrag vom SSW.
Wie sieht es nun mit den gelebten Strukturen in Schleswig-Holstein aus? Hier möchte ich zunächst dem Landesamt für soziale Dienste sowie den Opferhilfen wie den Trauma-Ambulanzen, dem Weißen Ring, aber auch der Bürgerbeauftragten für soziale Angelegenheiten ein großes Lob aussprechen und mich bedanken. Nach meinem Wissen funktioniert die Zusammenarbeit sehr gut. Das Landesamt ist engagiert. Ein reger und effizienter Austausch zwischen den Vereinen oder Verbänden, der Bürgerbeauftragten und dem Landesamt wird gelebt. Insbesondere diesen handelnden Akteurinnen und Akteuren ist es zu verdanken, dass man in den Strukturen weiterkommt, Prozesse bestimmt, was letztlich den Opfern von Gewalttaten zugutekommt. Es hängt also – wie so oft – an den handelnden Personen.
Aber wo Licht ist, ist leider auch Schatten.
Fallmanager sollen die Opfer unterstützten und dienen als Scharnier zwischen Opfer und Landesamt. Es ist absehbar, dass zwei für ganz Schleswig-Holstein zuständige Fallmanager nicht ausreichen, um dem gesetzlichen Auftrag gerecht zu werden. Damit können gut angelegte Strukturen schlecht gelebt werden. Man denke auch an Urlaubsvertretung oder wenn eine der Beiden krankheitsbedingt ausfällt.
Dies führt zu einem anderen Aspekt der verbesserungsbedürftig ist. Immer noch liegt der Schwerpunkt der Bescheide auf dem Aspekt der Rechtssicherheit. Die Bescheide sind oft schwer zu lesen. Gerade hier ist aber eine den Opfern zugewandte, verständliche Sprache erforderlich. Die Opfer befinden sich in einem Ausnahmezustand.
Die Verfahren müssen im Interesse der Opfer noch deutlich beschleunigt werden.
Außerdem müssen die Kausalitätsanforderungen in der Praxis gelockert werden. In vielen Fällen ist der Nachweis schwierig, dass eine vorliegende Erkrankung auf der Straftat beruht. Dies ist beispielsweise bei einer posttraumatischen Belastungsstörung nach einer Sexualstraftat der Fall. Das Bundessozialgericht verweist in diesem Zusammenhang auf die Beachtung der allgemeinen medizinischen Erkenntnisse. Ist ein Vorgang wie eine Sexualstraftat in „signifikant erhöhtem Maße“ geeignet, eine bestimmte Erkrankung zu verursachen, dann liege die Wahrscheinlichkeit nahe, dass dies auch im konkreten Fall so sei.
Dieser Gedanke muss bei den Bescheiden maßgebend sein. Nicht die reflexartige Abwehr eines grundsätzlich vermuteten Leistungsmissbrauches, sondern die schnelle Hilfe für traumatisierte Opfer muss in solchen Fällen für die Behörde handlungsleitend sein. Plausibilisierung der Anspruchsvoraussetzungen ist den Opfern zuzumuten, die Beibringung wissenschaftlicher



2 Nachweise sicher nicht. In diesem Sinne muss die Grundhaltung bei den Bescheiden ein Stück weit verändert werden. Wir befinden uns eben nicht im Straf- oder Adhäsionsverfahren.
Zusammenfassend kann man festhalten, dass die beteiligten Akteure einen tollen Job machen. Es bedarf jedoch seitens des Ministeriums mehr Mut, auf eine bürgerfreundliche Kommunikation hinzuwirken sowie zu einer für die Opfer wohlwollenden Verwaltungspraxis zu kommen. Im Zweifel muss es heißten. In dubio pro Opfer.“



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