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26.01.24
15:07 Uhr
SPD

Niclas Dürbrook zu TOP 29: Ein Jahr nach Brokstedt bleibt vieles umzusetzen

Heimo Zwischenberger Pressesprecher der SPD-Landtagsfraktion
Adresse Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel Telefon 0431 988 1305 Telefax 0431 988 1308 E-Mail h.zwischenberger@spd.ltsh.de Webseite www.spd-fraktion-sh.de Es gilt das gesprochene Wort!

Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden: http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathek

LANDTAGSREDE – 26. Januar 2024
Niclas Dürbrook Ein Jahr nach Brokstedt bleibt vieles umzusetzen TOP 29: Bericht zur Umsetzung der Brokstedt Beschlüsse (Drs. 20/1794)
"Wir alle wissen vermutlich noch ganz genau, wie wir gestern vor einem Jahr hier im Plenarsaal die Nachricht von der schrecklichen Tat bei Brokstedt bekommen haben. Zwei Todesopfer. Vier teils lebensgefährlich verletzte Menschen, von denen eine Frau ein halbes Jahr später Suizid begangen hat. Familienangehörige, die mit dem plötzlichen und so schrecklich willkürlichen Verlust leben müssen. Zwei bis drei Dutzend Zeugen, die furchtbare Bilder zu verarbeiten haben und von denen einige am Tag der Attacke Heldenmut bewiesen haben. Einsatzkräfte, die am Tattag hochprofessionell mit einer Situation umgegangen sind, die man abstrakt üben kann, aber auf die man vermutlich doch nie vorbereitet ist. Und nicht zuletzt die Mitarbeiter im Opferschutz und in der Nachbetreuung, die Opfer und Angehörige bis heute begleiten und zur Seite stehen.
Heute geht es einmal mehr um die Ableitungen und Folgen aus der Tat. Man kann sich bei fünf Minuten nur einen kleinen Teil von dem raussuchen, was im vergangenen Jahr an Versäumnissen, Schwachstellen, nötigen Folgen und politischen Absichtserklärungen oder Beschlüssen zusammengekommen ist. Ich werde mich auf das fokussieren, was mir besonders wichtig erscheint.
Eine Bemerkung vorab: Nach dem anfänglichen Schwarze-Peter-Spiel zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein, das ich wirklich befremdlich fand, war es umso erfreulicher zu sehen, dass man sich dann nicht nur zusammengerauft, sondern auf Bundesebene konsequent gemeinsame Positionen vertreten und sich bemüht hat Verbesserungen zu erreichen. Das war richtig.
Was ist im vergangenen Jahr passiert? Da ist zum einen der Komplex, bei dem es um die Tat an sich geht und die Frage, wie man andere Taten verhindern, ihre Durchführung erschweren, oder zumindest deren Aufklärung erleichtern kann. Mehr Videoüberwachung ist angestoßen, auch wenn ich mir selbstverständlich mehr Tempo wünschen würde. Viel Geld wird für zusätzliches Sicherheitspersonal in den Zügen im Land ausgegeben. Messerverbotszonen sind in der Vorbereitung, Hamburg hat sie für den Hauptbahnhof umgesetzt. Ein bundesweites Messerverbot in Zügen lässt auf sich warten. Für Polizisten in Zivil soll es in den Nordländern zeitnah kostenfreie Fahrten geben. Ich bin nicht bei jeder der Maßnahmen von der Praktikabilität überzeugt, nach vielen Gesprächen mit Polizeibeamten habe ich insbesondere bei den Messerverboten Fragezeichen. Aber wenn es am

1 Ende dazu beiträgt, dass Menschen ohne mulmiges Gefühl in den Zug steigen, lassen Sie uns diesen Strang gerne und konsequent zu Ende führen. Trotzdem: Züge werden auch dann kein Hochsicherheitsbereich sein. Und selbst wenn sie es wären, würde es solche Taten generell natürlich nicht komplett verhindern. Denn das besonders perfide an dieser Tat ist ja ihre Willkürlichkeit. Nach allem was ich bisher gelesen habe, gab es keinen besonderen Grund für den Tatort Zug. Genauso hätte diese Tat bereits im Supermarkt, aus dem das Messer stammte stattfinden können. Oder irgendwo sonst im öffentlichen Raum.
Darum finde ich den zweiten Komplex nach wie vor wichtiger, bei dem es um die Verhinderung dieser und anderer Taten im Vorfeld gehen muss. Einiges hat sich beim Austausch der Behörden zu ausländischen Mehrfach- und Intensivtätern getan, anderes wie die einheitliche Klassifikation fehlt nach wie vor. Hamburg will aggressive oder drogenabhängige Untersuchungshäftlinge genauer in den Blick nehmen. Schleswig-Holstein verweist auf die bessere Ausstattung der Justiz, die im Vorfeld bereits geplant, aber durch die Tat noch einmal in den Fokus genommen wurde. Die Arbeitsgruppe „Aufenthaltsrechtliche Behandlung straffälliger Ausländer“ tagt jetzt immerhin monatlich, von einem erfolgversprechenderen Ansatz, wie Hamburg ihn mit Geras, der gemeinsamen Ermittlungsgruppe zur Rückführung straffälliger Ausländer hat, ist Schleswig- Holstein nach wie vor weit entfernt. Die Koalition hat den Antrag dazu abgelehnt mit Verweis auf die unterschiedliche Situation in einem Flächenland. Ich glaube nach wie vor, dass hier auch in einem Flächenland mehr möglich sein muss als monatliche Treffen in Kiel. Das überzeugt mich nicht.
Noch wichtiger finde ich den Aspekt rund um den Umgang mit potentiell gewalttätigen Flüchtlingen in den Unterkünften. Als ich dazu im vergangenen Jahr eine Landesstrategie dazu eingefordert habe, gab es im Nachgang etliche Hinweise bei mir von Menschen, die in dem Bereich oder auch der Polizei arbeiten und anonymisiert von ganz ähnlichen Erfahrungen berichteten. Gewalttäter, die nach dem Hausverbot in einer Einrichtung vom Radar verschwanden. Menschen, die bei ihren Betreuern ein extrem mulmiges Gefühl hinterließen und trotzdem durchs Raster fallen. Tatverdächtige, bei denen die Polizei wenig Handhabe hat, die nächste Eskalation aber vielleicht nur eine Frage der Zeit ist.
Eine Landesstrategie dazu gibt es – auch mit Verweis auf die Verantwortung der Kommunen – noch immer nicht. Immerhin ist seit Ende des vergangenen Jahres etwas klarer, welcher Weg mit den Gewaltpräventionsambulanzen gegangen werden soll. Das kann für einige potentielle Täter eine Lösung sein, zumal man sich bei der Konzeption eng am Fall von Ibrahim A. orientiert hat. Aber wie es einer der Verantwortlichen für die Konzeption selber formuliert hat: Von einer aufsuchenden Hilfe, einem Case-Management ist man nach wie vor weit entfernt. 400.000 Euro, die im Haushalt vorgesehen sind, bleiben auf vier Träger verteilt doch ein vergleichsweise kleiner Ansatz.
Schwierig bleibt die Frage nach der Rückführung von Straftätern. Ich bin optimistisch, dass in den kommenden Monaten weitere Abkommen mit Herkunftsländern geschlossen werden können und das ist notwendig. Eine Lösung für Staatenlose wie Ibrahim A. bleibt aber hochkomplex und

2 ist wenn überhaupt nur im Einzelfall möglich. Ich verstehe und teile jeden Frust darüber. Im Fall staatenloser Palästinenser sind im Übrigen von einer Lösung derzeit weiter entfernt denn je.
Ein Jahr nach der Tat ist die juristische Aufarbeitung noch nicht abgeschlossen. Und wie wir heute noch einmal festhalten, dauert auch die politische weiter an. Lassen Sie uns das auch nach diesem Jahrestag auf der Prioritätenliste ganz oben behalten. Das muss der gemeinsame Anspruch bleiben."



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