Serpil Midyatli zur Aktuellen Stunde: Gute Bildung ist eine Frage des politischen Willens
Heimo Zwischenberger Pressesprecher der SPD-Landtagsfraktion Adresse Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel Telefon 0431 988 1305 Telefax 0431 988 1308 E-Mail h.zwischenberger@spd.ltsh.de Webseite www.spd-fraktion-sh.de Es gilt das gesprochene Wort!Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden: http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathekLANDTAGSREDE – 13. Dezember 2023Serpil Midyatli Gute Bildung ist eine Frage des politischen Willens TOP 1: Aktuelle Stunde "Anhaltender Abwärtstrend im Bildungswesen: Konsequenzen aus der Pisa-Studie ziehen“„Im Rheinland sagt man: Einmal ist kein Mal, zwei Mal ist ausprobieren und drei Mal ist Tradition. So eine Tradition habe ich auch mit meinen Geschwistern. Wir sind alle drei in der 1. Klasse sitzen geblieben. Und hatten alle dieselbe Deutschlehrerin. Bei ihr wurden alle Gastarbeiter-Kinder in die letzte Reihe gesetzt und haben Blätter zum Ausmalen bekommen. Sie sagte damals zu mir: Ihr bleibt eh nicht hier. Da müsst ihr auch kein Deutsch lernen. Nun, da hat sie sich geirrt. Und mit dem Deutsch klappt es auch einigermaßen. Aber Schule war für mich oft ein Kampf.Heute werden Kinder mit Migrationsgeschichte nicht mehr in die letzte Reihe gesetzt. Das ist gut! Aber ein Kampf ist es trotzdem. Das deutsche Bildungssystem hat ein riesiges Problem mit sozialer Ungleichheit. Und deshalb ist es für mich schwer zu ertragen, wenn Frau Prien bei schlechter werdenden Ergebnissen im Bildungsvergleichen immer auf uns Menschen mit Migrationsgeschichte zeigt. Das löst nicht das Problem.Damit das klar ist: gute Bildung wollen alle Eltern für ihre Kinder. Egal ob Polen, Russen, Türken, Griechen oder Deutsche. Wir alle sagen unseren Kindern und Enkelkindern: Du kannst alles schaffen. Egal wo du herkommst. Ich habe das zu meinen Söhnen gesagt. Aber ich wusste dabei, dass das nur die halbe Wahrheit ist. Einige Kinder müssen härter arbeiten als andere, um dasselbe zu erreichen. Und das ist falsch!Die PISA-Studie zeigt: Kinder mit Migrationsgeschichte haben in Deutschland im weltweiten Vergleich die größten Nachteile. Das können wir nicht akzeptieren. Die soziale Schere geht nicht erst in der Mittelstufe auseinander, sondern schon in den ersten sechs Lebensjahren. Wenn wir erst in der Schule ansetzen, ist es schon zu spät. Hamburg macht das anders und besser. Jedes Kind wird mit viereinhalb Jahren angeschaut. Zudem gibt es verbindliche und kostenlosen Förderangeboten. Wir wollen dasselbe für unsere Kinder in Schleswig-Holstein. Das muss die erste konkrete Konsequenz aus PISA sein. Sie machen aber das Gegenteil. Im Haushalt für 2024 1 planen Sie zu wenig Geld ein – und dabei werden die DaZ-Klassen größer. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.In Schleswig-Holstein fehlen 15.600 Kita-Plätze. Gerade da wird aber über Chancen entschieden. Das sagt Ihnen jede Expertin und jeder Experte für Bildung. Deshalb muss als zweite Konsequenz aus PISA endlich für alle Kinder ein Kita-Platz geschaffen werden. Man kann nicht einerseits die Sprachprobleme von Grundschulkindern beklagen und ihnen andererseits das wichtigste Angebot zum Sprachlernen – und das sind die Kitas – vorenthalten. Das muss Teil eines Perspektivwechsel sein. Die rund 5 Millionen Kinder in Deutschland mit Migrationsgeschichte sind kein Problem für unser Bildungssystem. Sie sind 5 Millionen Hoffnungsträgerinnen und Hoffnungsträger. Dasselbe gilt für die vielen tausend „Bio-Deutschen“ Kids, die jedes Jahre unsere Schulen ohne Abschluss verlassen. Wir brauchen jedes einzelne von ihnen. Sie könnten später mal Impfstoffe entwickeln, unsere Eltern pflegen, bessere Akkus für Elektro-Autos erfinden, als Polizist*innen für unsere Sicherheit sorgen oder selbst als Lehrkräfte in Schulen unterrichten.Wir müssen diesen Kindern aber die Chance geben, ihre Potenziale zu entwickeln. Wenn wir das nicht tun, fallen wir ihnen in den Rücken. Das darf nicht sein! Was die Leistung angeht, bestätigt PISA die Trends der IGLU-Studie sowie der IQB-Bildungstrends von 21/22. Wann ziehen Sie endlich die Konsequenzen? Stattdessen bewundert die Landesregierung das Problem. Noch schlimmer.Die Unterrichtsversorgung wird schlechter. Es wurden weniger Unterrichtsstunden je Schülerin und Schüler erteilt. Die Klassen wurden größer. Inzwischen ist jede zehnte Lehrkraft an unseren Schulen nicht richtig ausgebildet. An den Grundschulen sind es 16 Prozent. Und das ist der Durchschnitt. Es gibt Schulen im Land, bei denen das die Hälfte des Kollegiums betrifft. Wir sind froh, dass es die Menschen gibt. Wir müssen aber festhalten: Es sind keine fertig ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrer. Das ist dramatisch!Frau Prien, jede zehnte Unterrichtsstunde wird unter Ihrer Verantwortung nicht planmäßig erteilt. Bei 36 Schulwochen im Jahr und 30 Stunden pro Woche sind das über 100 Stunden im Jahr. In der Zeit könnte man alle Staffeln von Game of Thrones sehen und zusätzlich alle Harry Potter Filme. Und es wäre dann noch genug Zeit, um die Herr der Ringe-Trilogie zu schaffen. Nun kann man Lehrkräfte nicht einfach herbeizaubern. Das wissen wir auch. Aber wir haben immer wieder konkrete Vorschläge gemacht, die den Beruf attraktiver machen. Erst im Oktober haben wir gemeinsam mit FDP und SSW einen 12-Punkte-Plan vorgelegt. Davon haben Sie bisher keine einzige Maßnahme umgesetzt. 2 Bessere Arbeitsbedingungen helfen uns im Wettbewerb mit Niedersachsen und Hamburg. Dahin verlieren wir nämlich viele Lehrkräfte. Mit besseren Arbeitsbedingungen würden auch mehr Lehrkräfte in Vollzeit arbeiten. All das würde uns helfen. Es geht schließlich um unsere Kinder. Möglichkeiten zur Entlastung gibt es genug. So haben wir vorgeschlagen, dass wir Klassenlehrkräfte mehr Zeit zu geben, damit sie sich mehr auf Pädagogik konzentrieren können. Das ist gerade mit Blick darauf, wie viele Kinder laut PISA in der Schule unglücklich sind, sehr wichtig.Es gibt aber auch größere Stellschrauben. Schon im Wahlkampf haben wir vorgeschlagen, dass das Land die Digitalisierung der 800 Schulen übernimmt. Das ist nicht nur einfacher, sondern auch günstiger. Kein Unternehmen verlangt von seinen Führungskräften sich selbst um IT zu kümmern. Mit Lehrkräften machen wir das aber. Jeder Schulträger soll eigene Konzepte entwickeln und die Frage beantworten, welche Ausstattung didaktisch sinnvoll ist. Das ergibt keinen Sinn. Ein gutes Argument gegen unseren Vorschlag haben wir bisher noch nicht gehört. Machen Sie das endlich!Auch moderne Schulgebäude für zeitgemäße Didaktik und Pädagogik machen die Arbeit von Lehrkräften einfacher. Wie in Hamburg könnten wir Schulbau auch über eine Landesgesellschaft organisieren. Der Investitionsstau liegt bei mehr als einer Milliarden Euro. Überall im Land brauchen wir gute Schulen! Und schließlich können wir bei Verwaltungsaufgaben entlasten. Lassen Sie uns mehr auf multiprofessionelle Teams setzen. Und warum gibt es nicht einen Ort, um Unterrichtseinheiten und Klassenarbeiten abzurufen. Auch dadurch können wir Lehrkräfte massiv entlasten. All das ist keine Frage des Geldes. Am teuersten wäre, wenn wir den Trend der PISA-Ergebnisse nicht drehen. Unser Wohlstand hängt davon ab, dass wir gute Schule haben. Was wir vorschlagen, würde den Landeshaushalt also langfristig stärken. Das zeigt: Gute Bildung ist eine Frage des politischen Willens. Es braucht dafür eine Regierung, die Verantwortung übernimmt und Probleme dabei praktisch löst. Das wäre dringend notwendig! Die meisten Menschen in unserem Land sind auf ein starkes öffentliches Bildungssystem angewiesen. Sie haben weder Zeit, noch Geld, noch Wissen, um ihren Kindern die bestmöglichen Chancen zu bieten. Wir dürfen auf die Eltern nicht die Probleme abschieben, die wir als Politik nicht gelöst bekommen. Unsere Kinder sind das Wertvollste für uns. Wir wollen für sie die beste Bildung in modernsten Schulen. ´ Herr Günther, Sie wollen gern mit mir zusammenarbeiten. Und Sie sagen zu Recht, die aktuellen Krisen lösen bei vielen Menschen Sorgen und Ängste aus. Aber die größte Sorge von uns Eltern ist: Haben meine Kinder eine gute Zukunft? Das Entscheidende dafür ist gute Bildung. 3 Als SPD haben wir einen Bildungspakt vorgeschlagen. Durch ein Sondervermögen wollen wir die Investitionen in Bildung absichern. Lassen Sie uns gemeinsam nach Berlin fahren und Herrn Merz überzeugen, dass er mitmacht. Ich bin dazu bereit - für unsere Kinder in Schleswig- Holstein!“ 4