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20.09.23
11:04 Uhr
SPD

Thomas Losse-Müller: Wir brauchen einen handlungsfähigen Staat!

Heimo Zwischenberger Pressesprecher der SPD-Landtagsfraktion
Adresse Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel Telefon 0431 988 1305 Telefax 0431 988 1308 E-Mail h.zwischenberger@spd.ltsh.de Webseite www.spd-fraktion-sh.de Es gilt das gesprochene Wort!

Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden: http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathek

LANDTAGSREDE – 20. September 2023
Thomas Losse-Müller: Wir brauchen einen handlungsfähigen Staat! TOP 3+9+28: Nachtragshaushaltsgesetz 2023 sowie Gesetzentwurf über die Einrichtung eines Sondervermögens Energie- und Wärme-wende, Klimaschutz und Bürgerenergie und Antrag „Schleswig- Holstein bleibt in der Krise handlungsfähig – Geflüchteten Schutz bieten, Folgen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine abfedern und den Weg zur Energieunabhängigkeit beschleunigen“ (Drs. 20/1270, 20/1324, 20/1395, 20/1380)
„Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen,
Viele von uns haben im letzten Jahr ihre Reden oder Wortbeiträge mit den Worten „wir leben in Zeiten multipler Krisen“ begonnen oder das Wort „Zeitenwende“ genutzt, um zu verdeutlichen, wie außer-gewöhnlich und wie herausfordernd diese Zeit, in der wir politische Entscheidungen treffen müssen, ist. Wir erleben das jeden Tag - im Großen und im Kleinen. Wenn die Kita morgens nicht aufmacht, weil Erzieherinnen fehlen, dann spüren die Familien die Krise des demographischen Wandels. Wenn Kolleginnen und Kollegen in den Chemiefabriken in Brunsbüttel hören, dass die Konzernzentrale Investitionsentscheidungen für den Standort Schleswig-Holstein verschiebt, weil die USA die Energiewende mit einer aggressiveren Förderung für grünen Wasserstoff schneller vorantreiben, dann spüren sie die Krise der Globalisierung und die neue Konkurrenz im Weltmarkt.
Wenn die Auftragsbücher der Handwerksbetriebe überlaufen, weil diejenigen, die es sich leisten können, sich mit einer Solaranlage und Wärmepumpe mal schnell vom russischen Gas unabhängig wollen, dann spüren sie die beschleunigte Energiekrise.
Wenn ehrenamtliche Bürgermeister*innen nach 2015 schon wieder überlegen müssen, ob sie vielleicht doch eine Turnhalle zur Unterbringung von Geflüchteten bereitstellen sollten, dann spüren sie nicht nur die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine, sondern auch das Auf und Ab der Krisen in Afghanistan, Syrien und vielen anderen Ländern.


1 Wenn der Sicherheitsbeauftragte eines Stadtwerks mit Sorgen auf die steigende Zahl der Cyberangriffe auf seine Systeme schaut, dann spürt er die Auswirkungen des Krieges in Europa auf die Sicherheit unserer kritischen Infrastruktur.
Und alle diese Menschen - Alle! - erwarten, dass das Land seinen Job macht, damit wir gemeinsam durch die Krisen kommen. Und - liebe Kolleginnen und Kollegen - das tun sie zu Recht!
Meine Damen und Herren, Wir brauchen einen handlungsfähigen Staat, der in der Lage ist, das Notwendige zu tun, damit wir die Krisen bewältigen. Und keine Schuldenbremse hindert uns daran.
Worüber stimmen wir heute ab? Ganz nüchtern betrachtet konkretisieren wir Ausgaben im Rahmen des Ukraine-Kredits. Wir wollen es der Landesregierung einfacher machen, die bereitgestellten Mittel zu nutzen, um die vielen Geflüchteten, die in unser Land kommen - und hier zu Recht Schutz suchen! - unterzubringen und zu versorgen. Und weil der Krieg andauert und die ukrainischen Geflüchteten noch nicht zurückkehren, verlängern wir die Laufzeit der Mittel für zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer. Das dürfte unkontrovers sein.
Wir stellen zusätzliche Mittel für die Sicherung kritischer Infrastruktur und den Aufbau von Cybersecurity-Fähigkeiten bereit. Kommen wir zu den kontroverseren Punkten: Den Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf unsere Energiepolitik. 2020 betrug der Anteil russischen Gas an den deutschen Gasimporten etwa 55 Prozent. Dieses Gas steht uns nicht mehr zur Verfügung. Aus gutem Grund. Wir können alle stolz darauf sein, dass wir es geschafft haben, umzusteuern. Aber das hat Geld und Kraft gekostet.
Der Gaspreis ist heute doppelt so hoch wie vor dem Ukrainekrieg. Im letzten Winter hat die Bundesregierung 13 Mrd. Euro in die Hand genommen, um Heizen bezahlbar zu halten. Aber das war ja nicht alles: Wir haben mehr als 100 Mrd. Kreditrisken durch die Stützung von Uniper und Co übernommen, um den Gasmarkt zu stabilisieren.
Es kann doch gar kein Zweifel daran bestehen, dass der Ukraine-Krieg die Notwendigkeit unsere Abhängigkeit von Gas und Öl so schnell wie möglich zu reduzieren beschleunigt hat. Oder etwa nicht? Billiges russisches Gas darf doch keine Brücke mehr sein!


2 Alle Pläne, Schleswig-Holstein langsam - über die nächsten 10-20 Jahre - zu einem grünen Industriestandort zu entwickeln, sind überholt. Das Zeitfenster für diese Entscheidungen ist jetzt und die Investitionen müssen in den nächsten Jahren geschehen. Wir reden nicht über 10- 20 Jahre, wir reden über 3-5 Jahre. Für uns ist klar, dass das Land jetzt in die Transformation unserer Wirtschaft investieren muss. Und es darf nicht bei Northvolt bleiben. Es geht uns ja nicht nur um die Ansiedlung neuer Industrie, sondern vor allem auch um die Sicherung bestehender Arbeitsplätze. Deshalb brauchen wir jetzt auch eine Antwort auf die Frage, wie wir die geplanten Elektrolysekapazitäten aufbauen, die wir brauchen, um hier vor Ort Wasserstoff zu produzieren. Die Entscheidung der globalen Konzernzentralen, ob der Standort Brunsbüttel eine Zukunft hat in der Konkurrenz mit Südafrika, China oder den USA hängt davon ab, ob wir beweisen, dass SH der Wasserstoffstandort Nr. 1 in Deutschland und Europa ist.
Wir wären als SPD bereit gewesen, heute auch schon die Finanzierung von „HyScale“ als dem nächste Großprojekt auf den Weg zu bringen. Wir sind der Überzeugung, dass wir dafür den gleichen Weg gehen müssen wie jetzt mit Northvolt. Und noch eins ist uns wichtig: Wir reden bei der Ansiedlung von Northvolt nicht nur über die direkte Förderung, sondern über die Entwicklung von Infrastruktur vor Ort: Gleise, Anschlüsse an die B5, Gewerbeflächen für Folgeansiedlungen, Wohnungsbau, Schulen, Kitas. Wir müssen uns doch nur den ersten Standort von Northvolt in Nord-Schweden anschauen. Die Ausgangslage war der in der Region ganz ähnlich. Knapp 20.000 Einwohner, ländlicher Raum. Und jetzt erwartet die Region einen Aufwuchs auf 90.000 Einwohner in 2030.
Die Aufgabe des Landes kann sich nicht nur auf die direkte Förderung von Northvolt beschränken. Das Land muss gemeinsam mit den Kommunen in Infrastruktur vor Ort investieren. Deshalb war es uns als SPD wichtig, dass wir den ersten Schritt machen und mit der Entscheidung heute den Einstieg in eine gemeinsame Entwicklungsgesellschaft als Träger dieser Projekte zu schaffen. Wir sehen die gemeinsame Verantwortung des Landes, die begleitenden Infrastrukturinvestitionen vor Ort zusammen mit den Kommunen zu stemmen. Das ist gut so!
Meine Damen und Herren, das darf aber nicht nur für Investitionen in die Wirtschaft gelten. Es ist mindestens genauso wichtig, dass wir jetzt allen Menschen in Schleswig-Holstein ermöglichen, auf Gas und Öl zu verzichten. Deshalb ist das Thema Wärme so zentral. Und ich, glaube, niemand bezweifelt nach den letzten 2 Jahren, dass der Ukrainekrieg die Notwendigkeit, aus Gas für das Heizen aussteigen, dramatisch beschleunigt hat.


3 Es ist richtig, dass wir heute beschließen, dass das Land die Kommunen bei den Kosten der Wärmeplanung noch weiter entlastet. Uns war als SPD aber auch wichtig, dass das Land mehr Verantwortung für die Koordinierung und Steuerung der Wärmeplanung übernimmt. Dafür stellen wir Geld bereit und der Minister und Staatssekretär kennen unsere Erwartungen an das Land an dieser Stelle. Wir müssen die Energiewende effizient gestalten und das wird nicht funktionieren, wenn jede Kommune einzeln für sich plant. Wir müssen Synergien heben und in zusammenhängenden Strukturen denken. Dafür braucht es das Land! Und - liebe Kolleginnen und Kollegen - wir wissen mittlerweile alle, dass die Wärmewende nur gelingt, wenn wir gemeinschaftliche Lösungen voranbringen. Haus & Grund - Wohnungswirtschaft - Stadtwerke - Bürgerinnen und Bürger vor Ort - Klimapolitiker: Alle fordern den Ausbau Wärmenetzen. Allein in Schleswig-Holstein werden die Kosten laut dem Verband der Stadtwerke bei acht Milliarden Euro liegen. Für die Finanzierung brauchen wir zwei Milliarden an Bürgschaften - die stellen wir mit dem Nachtrag bereit - aber eben auch noch zwei Milliarden an Eigenkapital, damit Stadtwerke, Gemeindewerke, Genossenschaften und Kommunen die 8 Mrd überhaupt mobilisieren können. Wenn wir dieses Geld als Land nicht bereitstellen, wird es keine flächendeckenden Wärmenetze geben. Dann müssen sich alle Hausbesitzer doch wieder allein um den Umbau ihrer Heizungen und die Dämmung ihrer Häuser kümmern. Das kostet schnell 100.000 Euro und mehr. Viele haben dieses Geld nicht. Sie müssen sich dann selbst hoch verschulden. Im schlimmsten Fall bekommen sie aber gar keinen Kredit mehr. Das ist die soziale Spaltung, die wir um jeden Preis verhindern müssen. Das gelingt uns nur, wenn wir bereit sind, als Land in gemeinschaftliche Infrastrukturen zu investieren.
Das ist der Grund, warum der heutige Beschluss für meine Fraktion so wichtig ist. Er bekräftigt die gemeinsame Auffassung von CDU, Grünen und SPD: Ja, wir können und wir müssen die Transformationskosten im Rahmen der Schuldenbremse finanzieren.
Der Weg zu dieser gemeinsamen Haltung war für die CDU und Grüne sicher weiter als für die SPD. Wir haben schon immer gesagt, dass das Land die Möglichkeiten der Schuldenbremse für Investitionen in den Klimaschutz nutzen muss.
Das ist vergleichbar mit einem Deichbruch. Natürlich würde niemand in Frage stellen, dass wir innerhalb der Schuldenbremse Kredite aufnehmen, um den Deich nach einem Wassereinbruch wieder aufzubauen, um so neues Unglück zu verhindern. Die Klimakrise wirkt wie ein Deichbruch. Nur dass sie sich nicht



4 plötzlich vollzieht, sondern Jahre braucht, um ihre Wirkung zu entfalten. Die Logik ist aber dieselbe. Wir müssen jetzt investieren, um künftigen Schaden zu verhindern.
Der Ukrainekrieg selbst hat diese Logik jetzt einfach nochmal sehr viel stärker gemacht. Ich will an dieser Stelle dann aber auch sagen, dass der heutige Schritt aus unserer Sicht nicht ausreicht.
Wir haben am Montag unsere Schätzung der Investitionsbedarfe in einer großen Konferenz hier im Landtag vorgestellt und mit vielen Expertinnen und Experten diskutiert. Einige von Ihnen war ja dabei. Wir schätzen, dass wir bis zu 12 Milliarden Euro in Bus und Bahn, Wärme, Transformation der Wirtschaft und Klimaanpassung investieren müssen. Die anwesenden Expertinnen und Experten haben diese Zahl bestätigt.
Deshalb fasse ich zusammen: Wir sind uns einig, dass man Transformationskosten innerhalb der Schuldenbremse finanzieren kann. Wir halten die Schritte, die wir mit dem Beschluss heute gehen, für unerlässlich. Wir müssen aber noch sehr viel größere Schritte gehen.
Als SPD machen wir konstruktive Oppositionsarbeit. Wir wollen das Beste für unser Land. Deshalb werden wir heute zustimmen. Wir lösen einen Teil des Problems. Und wir bieten Ihnen an, gemeinsam die nächsten Schritte zu gehen, damit die Lösung so groß wie das Problem wird.“



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