Beate Raudies zu TOP 17: Die Rolle der Finanzverwaltung im Nationalsozialismus aufklären
Heimo Zwischenberger Pressesprecher der SPD-Landtagsfraktion Adresse Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel Telefon 0431 988 1305 Telefax 0431 988 1308 E-Mail h.zwischenberger@spd.ltsh.de Webseite www.spd-fraktion-sh.de Es gilt das gesprochene Wort!Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden: http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathekLANDTAGSREDE – 11. Mai 2023Beate Raudies: Die Rolle der Finanzverwaltung im Nationalsozialismus aufklären TOP 17: Rolle der Finanzbehörden bei der Entrechtung, Ausbeutung und Deportation von Jüdinnen und Juden, von Sintize und Sinti sowie Romnja und Roma lückenlos aufklären (Drs. 20/811(neu)) „Ich möchte Ihnen die Geschichte von Albert erzählen. Albert war Zollbeamter. In den 1920er Jahren hatte er beim Hamburger Landesfinanzamt angefangen. Albert arbeitete im Freihafen. Zu seinen Aufgaben gehörte die Abfertigung der Schiffe. Salpeter aus Chile, Kaffee aus Äthiopien, Erz aus Australien – täglich erreichten Güter aus aller Welt den Hamburger Hafen. Von hier starteten Passagierschiffe nach Amerika oder nach Fernost. Auch deren Passagiere mussten vor der Abreise „durch den Zoll“ seit 1933 änderte sich die Arbeit von Albert. Denn viele Auswanderer verließen das Land. Menschen, denen in ihrer Heimat Deutschland Verfolgung und Tod drohte. Wegen ihres jüdischen Glaubens, wegen ihrer politischen Einstellung oder weil ihre Vorfahren dunkle Haut und Haare hatten. Sie durften Deutschland verlassen, um ihr Leben zu retten. Den größten Teil ihres Besitzes mussten sie zurücklassen.Das wichtigste Instrument zur legalen Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung war die Reichsfluchtsteuer. Ein Viertel des gesamten Vermögens musste gezahlt werden. Und Bargeld durfte nur in begrenztem Umfang ausgeführt werden - 2000 RM pro Person.Die Gründe waren einfach: 1. Die Auswanderer durften nur wenig mitnehmen, um ihnen den Neuanfang schwer zu machen. 2. So viel Kapital und Vermögen wie möglich sollte in Deutschland bleiben.Es gibt Schätzungen, dass durch Reichsfluchtsteuer und „Judenvermögensabgabe“ zwischen der Reichspogromnacht im November 1938 und Kriegsbeginn 1939 Einnahmen in Höhe von 2 Mrd. RM erzielt wurden. Ab Mai 1938 durften die Auswanderer nur noch wenig Umzugsgut mitnehmen. 1 Und es war die Aufgabe von Zöllnern wie Albert, das Gepäck dieser Auswanderer auf verbotene Gegenstände und Devisen zu durchsuchen. Als Beamter hielt er sich dabei an Recht und Gesetz. Denn das war das Perfide am Nazi-System: Unterdrückung und Verfolgung geschahen nicht willkürlich, sondern auf gesetzlicher Grundlage.Die meisten Beamten der Finanzverwaltung im Dritten Reich hatten daher keine Bedenken, die Reichsfluchtsteuer und die „Judenvermögensabgabe“ festzusetzen und beizutreiben. Oder das Vermögen der deportierten Juden zu beschlagnahmen, zu inventarisieren und meistbietend zu verkaufen. Manches gute Stück fand auch den Weg in die Büros der leitendenden Beamten. Während meiner Ausbildungszeit Ende der 1980er Jahre habe ich selbst in einigen Mahagonischränken noch das Siegel mit dem Hakenkreuz gesehen. Doch es kam noch schlimmer. Im August 1944 wurde der Zollgrenzschutz, der in HH für die Bewachung des Freihafens zuständig war, dem Reichsführer der SS unterstellt. Und so war es nur eine Frage der Zeit, bis auch Zollbeamte zur Bewachung der Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme abkommandiert wurden. Albert war seit September 1944 als Wachposten eingesetzt. Gegen ihn und zwölf weitere Zollbeamte fand im Sommer 1946 ein Militärgerichtsprozess in Hamburg statt. Er wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Er hatte nur seine Pflicht getan. Ich bin sicher: Beamte wie Albert gab es auch in Schleswig- Holstein. Finanzbeamte haben im Dritten Reich dabei geholfen, die jüdische Bevölkerung zu schikanieren und auszuplündern. Wir können uns heute kaum vorstellen, was im Dritten Reich alles legal war. Wie der Staat und seine Beamten Menschenrechte und Menschenwürde mit Füßen traten. Deswegen müssen wir diese Geschichte erforschen und dokumentieren. Damit wir nicht vergessen. Und damit wir verhindern, dass so etwa in Deutschland noch einmal passiert.Ich danke der FDP für den Antrag. Wir schließen uns gerne an. Schade, dass die Finanzministerin eine Extraeinladung brauchte.“ 2