Tätigkeitsbericht der Bürgerbeauftragten für das Jahr 2022: Bürgerfreundliche Sozialverwaltung durch Entbürokratisierung und Digitalisierung fördern
Nr. 18 / 4. Mai 2023Tätigkeitsbericht der Bürgerbeauftragten für das Jahr 2022: Bürgerfreundliche Sozialverwaltung durch Entbürokratisierung und Digitalisierung fördernDie Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten des Landes, Samiah El Samadoni, stellte heute (Donnerstag) ihren Tätigkeitsbericht für den Berichtszeitraum 2022 in Kiel vor. Im Vergleich zum Vorjahr wurden 138 Petitionen mehr, also insgesamt 3.440 Eingaben, bearbeitet. Somit wurden seit der Einrichtung des Amtes im Jahr 1988 insgesamt 97.576 Petitionen an die Bürgerbeauftragte gerichtet. „Gegenstand der Beschwerden im Jahr 2022 war außergewöhnlich häufig, dass es bei der Bearbeitung der Vorgänge in den Sozialbehörden zu erheblichen Verzögerungen kam. Auch war es für die Bürger*innen teilweise sehr schwierig, bei den Behörden überhaupt zuständige Sachbearbeitende zu erreichen. Selbst Abhilfe zu schaffen, war deshalb für viele Menschen nicht möglich“, so die Bürgerbeauftragte.Im Jahr 2022 waren bei den Petitionen – wie immer – die Themen Grundsicherung für Arbeitsuchende (583), die Gesetzliche Krankenversicherung (399) und die Sozialhilfe (382) am häufigsten vertreten. Allerdings war es eine Besonderheit, dass beim Thema Grundsicherung für Arbeitsuchende und der Gesetzlichen Krankenversicherung eine starke Abnahme bei den Petitionen zu verzeichnen war. In allen anderen Bereichen gab es dagegen fast durchgängig Steigerungen bei den Eingaben, besonders im Bereich der Sozialhilfe. „Wenn der bisherige Trend anhält, dann ist jetzt schon erkennbar, dass im Jahr 2023 die Eingabezahlen weiter deutlich ansteigen werden“, sagte El Samadoni.Zum Thema Erreichbarkeit der Sozialbehörden weist die Bürgerbeauftragte darauf hin, dass es im Berichtszeitraum häufig auch Schwierigkeiten gegeben hat, auf der Fachebene in Kontakt mit den Behörden zu treten. „Häufig mussten diese Einzelfälle über eine Ansprache der Behördenleitung bearbeitet werden. Im Rahmen der Kontakte zu den Leitungen wurde immer deutlicher, was die 2Ursachen für die Schwierigkeiten der Behörden waren: Aufgrund des Fachkräftemangels waren oft viele Stellen gerade in den Sozialämtern nicht besetzt, zudem gab es durch Erkrankungen weitere Ausfälle. Dies führte dann zu einer erheblichen Arbeitsverdichtung bei den verbliebenen Mitarbeitenden und dann in der Folge wiederum zu Erkrankungen“, berichtet die Bürgerbeauftragte. Grund hierfür war, dass die Arbeitsverdichtung zu einem großen Teil erfolgt ist, weil aufgrund von Gesetzesänderungen neue und komplexere Aufgaben für die Behörden hinzugekommen sind und der Kreis der Berechtigten für Sozialleistungen sich durch Inflation und gestiegene Energiekosten deutlich ausgeweitet hat. Zusätzliches Personal wurde bzw. konnte nicht entsprechend der zusätzlichen Belastung aufgebaut werden. „Das ist eine Abwärtsspirale, die für eine einzelne Behörde nur schwer aufzuhalten ist. Denn für die Umstände, die diese bedingen, sind die Behörden nicht selbst verantwortlich und können diese nicht steuern – der generelle Fachkräftemangel führt eben auch dazu, dass dem Staat einfach die Staatsdiener*innen ausgehen“, resümiert die Bürgerbeauftragte.Die Bürgerbeauftragte erklärt ihre Forderung nach effizienterem Verwaltungshandeln: „Insbesondere die Digitalisierung muss für Effizienzsteigerungen genutzt werden, da gibt es noch viel Potential.“ Hier wünscht sich El Samadoni eine bessere Unterstützung der Kommunen durch das Land bei der Lösung von Schnittstellenproblemen, wie z. B. beim Wohngeld. „Auch muss es Ziel des Landes sein, die Aufgaben der Behörden zu Entbürokratisieren, damit die Anträge der Bürger*innen zügiger bearbeitet werden. Wenn es so weitergeht, sind die Aufgaben für die Behörden nicht mehr zu schaffen“, ergänzte die Beauftragte. „Ich möchte ausdrücklich dafür werben, aus dieser Notlage eine Win-win-Situation für alle zu machen.“Ein weiteres zentrales Thema im Jahr 2022 waren die Sorgen der Menschen wegen der gestiegenen Energiepreise und Lebenshaltungskosten. Deutlich wurde, dass viele Menschen deswegen Grundsicherungsleistungen oder auch die Leistungen des Wohngeldes beantragen wollten. „Das Bürgergeld und das Wohngeld Plus haben für 2023 verbesserte Leistungen und eine Ausweitung im Berechtigtenkreis gebracht, aber auch deutlich mehr Arbeit für die Mitarbeitenden in den Behörden“, berichtet die Bürgerbeauftragte. „Viele Menschen, die bisher über die Runden gekommen sind, mussten sich kurzfristig erstmals einer für sie bisher unbekannten Bürokratie bei der Beantragung von Leistungen stellen“. Das nach wie vor existente Problem der unverständlichen Verwaltungssprache zeigte hier wieder seine Aktualität.Darüber hinaus forderte die Bürgerbeauftragte, dass wegen der Folgen des Fach- und Arbeitskräftemangels zukünftig längere Postlaufzeiten berücksichtigt werden sollten. So kam es immer wieder vor, dass Schreiben und Bescheide von Behörden an Bürger*innen ungewöhnlich lange Postlaufzeiten hatten. „Postlaufzeiten von zwei bis drei Wochen sind leider keine Seltenheit mehr. Häufig sind dann die in den Schreiben und Bescheiden genannten Fristen nicht mehr voll auszuschöpfen. Wir haben Fälle, bei denen endet die gesetzte Frist einen Tag, nachdem das 3Schreiben beim Bürger zugegangen ist – in Einzelfällen ist die Frist sogar bereits verstrichen“, so El Samadoni. Die Bürgerbeauftragte regt deshalb an, dass die Behörden den längeren Postlaufzeiten Rechnung tragen, indem sie die behördlich gesetzten Fristen für die Bürger*innen entsprechend verlängern. Zudem sollte die sogenannte Zugangsfiktion für Bescheide im Sozialgesetzbuch an die Realität angepasst werden: D.h., dass ein Bescheid zumindest erst nach sieben Tagen als zugegangen gilt. Weiterhin sollte es für eine fristgerechte Einlegung eines Widerspruchs oder Erhebung einer Klage ausreichen, wenn der Bürger diesen/diese innerhalb der Klage- bzw. Widerspruchsfrist absendet.Als weiteres Themenfeld benennt die Beauftragte die Kindertagesförderung und das Problem, dass es immer wieder dazu kommt, dass Ermäßigungen oder Befreiungen von den Kitabeiträgen nicht unmittelbar, wenn das Kind den Kitabesuch beginnt, beantragt werden. „Die Gründe sind vielfältig – manchmal fehlt überhaupt die Information über diese Möglichkeit, oder es gibt sprachliche oder andere Barrieren, die von der Antragstellung abhalten. Auch wird lediglich ein entsprechender Antrag zur Verlängerung der Ermäßigung vergessen“, erklärt Samiah El Samadoni. „So laufen gerade bei Familien, denen faktisch das Geld für die Kitabeiträge fehlt – die also grundsätzlich einen Anspruch auf Ermäßigung oder Befreiung haben – immer wieder Beitragsrückstände auf. Dann hängt es schlicht vom Wohnort ab, wie mit einem entsprechenden Befreiungsantrag umgegangen wird: eine rückwirkende Bewilligung erfolgt dann vollständig, für drei Monate oder aber auch nur rückwirkend bis zum Monatsersten des Monats, in dem der Antrag gestellt wurde.“ Auch wenn es hierzu noch keine höchstrichterliche Entscheidung gibt, so ist der überwiegende Teil der Rechtsprechung der Auffassung, dass eine vollständige rückwirkende Befreiung möglich ist. Aus Sicht von El Samadoni ist diese auch dringend geboten, wenn eine Familie das Geld faktisch gar nicht hat, um die Beiträge aufzubringen. „Ich erwarte in dieser Situation von den Kreisen und kreisfreien Städten, dass hier entsprechend einkommensschwache Familien eine gerechte und ihnen zustehende Entlastung erhalten“, so die Bürgerbeauftragte.