Aus Verantwortung für die Vergangenheit Verantwortung für die Zukunft übernehmen: Landtag erinnert an die Opfer des Nationalsozialismus
Nr. 149 / 26. Januar 2023Aus Verantwortung für die Vergangenheit Verantwortung für die Zukunft übernehmen: Landtag erinnert an die Opfer des NationalsozialismusMit einer Gedenkstunde hat der Schleswig-Holsteinische Landtag heute (Donnerstag) an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert. Bei der zentralen Gedenkfeier des Landes blickte der Landtag auf die sogenannte Machtergreifung durch die Nationalsozialisten vor 90 Jahren und gedachte der zahllosen Menschen, die in der Folge Opfer von Gewalt, Rassenhass und Krieg wurden.„In wenigen Tagen jährt sich zum neunzigsten Mal das Datum, das zum Ausgangspunkt einer beispiellosen Eskalation von staatlich verübtem Rechtsbruch und Gewalt in Deutschland werden sollte. Einer Eskalation, an deren Ende der Krieg und der Massenmord standen, dessen Opfern wir heute gedenken“, sagte Landtagsvizepräsidentin Eka von Kalben in ihrer Begrüßung vor den rund 120 Gästen im Plenarsaal des Landeshauses.Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler durch den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. Die sogenannte Machtergreifung markierte den Beginn einer Reihe von Maßnahmen, die binnen kürzester Zeit die Demokratie aushebelten, den deutschen Staat in eine Diktatur umwandelten und die systematische Verfolgung und Vernichtung politischer Gegner und ganzer Bevölkerungsgruppen möglich machten.Mit Blick auf diese historische Verantwortung forderte die Vizepräsidentin, Verantwortung für die Gegenwart und Zukunft zu übernehmen: „Es ist auch dieses schwierige Erbe, das uns, die wir heute politische Verantwortung tragen, verpflichtet, unseren freiheitlichen Rechtsstaat wehrhaft zu verteidigen“, so von Kalben. Denn politischer Extremismus, Antisemitismus, Rassismus und andere Formen von Menschenhass seien nicht aus der Welt verschwunden. „Es liegt an uns, diese Angriffe auf die Grundlagen unseres Zusammenlebens auch in Zukunft entschlossen zurückzuweisen“, so Vizepräsidentin von Kalben. Dies gelte insbesondere dann, wenn ein Zivilisationsbruch in Form eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges stattfinde. Nach der Begrüßung durch die Vizepräsidentin des Landtages zeichnete Prof. Dr. Uwe Danker, Direktor der Forschungsstelle für regionale Zeitgeschichte und Public History der Europa- Universität Flensburg, in seiner Gedenkrede die erschütternden Ereignisse des Jahres 1933 und der folgenden Zeit nach. Dabei führte er auch das Ausmaß staatlicher Verstrickung bei dem Prozess der Machtübernahme und den begangenen Verbrechen vor Augen: „Bereits am Beginn der NS-Herrschaft werden Gewaltakte von staatlichen Stellen geduldet, befördert oder selbst durchgeführt. Polizei und Justiz, öffentliche Verwaltungen paktieren, lassen die Opfer im Stich; sie sind bereits Akteure des Unrechts. In Monaten war die NS-Herrschaft errichtet, getragen von angepassten staatlichen Institutionen und auch einer zunehmend euphorisierten, einschwenkenden Bevölkerungsmehrheit.“ In zahlreichen Beispielen erinnerte Danker an Opfer aus Schleswig-Holstein und Verbrechen, die hier im Land begangen wurden – von unseren Vorfahren: „Die meisten unserer Eltern, Großeltern und Urgroßeltern trugen die NS-Herrschaft, sie wollten dieses Deutschland und dieses Zusammenleben, jedenfalls im Großen und Ganzen; und sie widersprachen nicht einmal bei furchtbarster Entgrenzung.“ Sein Fazit: Solch ein Gedenken belaste, denn es habe mit uns zu tun.Im Anschluss an die Gedenkrede sprachen der Landesrabbiner der Jüdischen Gemeinschaft Schleswig-Holstein Dov-Levy Barsilay und der Bischof im Sprengel Schleswig und Holstein Gothart Magaard Gebete und Worte zum Gedenken. Der international tätige Opernsänger Szymon Chojnacki und Stefan Bone, Kapellmeister und Solorepetitor am Theater Kiel, begleiteten die Gedenkstunde musikalisch. Mit Stücken, die von Trauer und Unterdrückung, Verzweiflung, aber auch Hoffnung erzählten, schufen sie einen bewegenden musikalischen Rahmen.Der Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus wurde 1996 auf Initiative des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog eingeführt. Seitdem wird in Deutschland jedes Jahr am 27. Januar an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee im Jahr 1945 erinnert. Aus Rücksicht auf den Schabbat wurde die Veranstaltung auf den Vortag des Jahrestages gelegt.Bereits am Montag (23.01.) hatten die Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente in einer gemeinsamen Erklärung mit den Spitzen der Landtage von Österreich und Südtirol sowie der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens einen verstärkten Kampf gegen den Antisemitismus in Europa gefordert. In ihrer Erklärung drücken sie ihre Sorge über den wachsenden Antisemitismus aus, begrüßen die Strategie der Europäischen Kommission und fordern eine stärkere Beteiligung der Landesparlamente an grenzüberschreitenden Projekten im Kampf gegen den Antisemitismus.Beim Schleswig-Holsteinischen Landtag wird nach einem einstimmigen Beschluss des Parlaments aus dem Jahr 2021 ein Runder Tisch „SHalom&Moin“ eingerichtet, der gemeinsam mit den jüdischen Gemeinden durch die Präsidentin des Schleswig-Holsteinischen Landtages, Kristina Herbst, und den Beauftragten für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, Gerhard Ulrich, Anfang März erstmalig einberufen wird.