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25.11.22
12:54 Uhr
SPD

Birte Pauls zu TOP 38: Die Gesundheitsversorgung muss für alle Barrierefrei sein

Heimo Zwischenberger Pressesprecher der SPD-Landtagsfraktion
Adresse Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel Telefon 0431 988 1305 Telefax 0431 988 1308 E-Mail h.zwischenberger@spd.ltsh.de Webseite www.spd-fraktion-sh.de Es gilt das gesprochene Wort!

Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden: http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathek

LANDTAGSREDE – 25. November 2022
Birte Pauls Die Gesundheitsversorgung muss für alle Barrierefrei sein TOP 38 Gesundheitsversorgung von Menschen mit Behinderungen verbessern (Drs. 20/383 (neu)) „Stellen Sie sich vor, dass Sie vor starken Rückenschmerzen nicht im Bett schlafen, an Arbeit und Freizeit über ein Jahr nicht teilhaben können. Mangelhafte Kommunikation, bestehende Ängste und fehlende Barrierefreiheit für den Rollstuhl erschweren die Diagnostik.
Eine Frau mit geistiger Behinderung kann ihre massiven akuten Bauchschmerzen nicht wirklich in Worte fassen. Der ohnehin gestresste und überforderte Assistenzarzt in der Notaufnahme kann sich gar nicht die Zeit nehmen, um in aller Ruhe das Vertrauen der jungen Frau zu erlangen. Eine 50jährige Frau, die sich aufgrund einer neurologischen Erkrankung und fehlendem Muskeltonus nicht alleine aus dem Rollstuhl bewegen und sich auf einem gynäkologischen Untersuchungsstuhl nicht halten kann, ist in ihrem Leben erst 3x gynäkologisch untersucht worden, obwohl besonders die Vorsorgeuntersuchung 1x jährlich empfohlen wird. Ich könnte die Liste von Mangel- und Fehlbehandlungen bei Menschen mit Behinderungen fortsetzen.
Für Menschen mit Behinderungen gibt es sehr viele Barrieren im Gesundheitssystem - von räumlichen über Barrieren in der Kommunikation bis zu fehlendem Wissen aufseiten der Behandelnden. Und natürlich ist die mangelnde Zeit im gestressten Setting der Klinik – und des Praxisalltages auch nicht hilfreich, um eine adäquate Behandlung zu gewährleisten. Alleine im Bereich der räumlichen Barrierefreiheit gibt es unüberbrückbare Hindernisse. Laut dem Bundesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen, Jürgen Dusel, sind 75 % der Arztpraxen in Deutschland nicht barrierefrei. Die im § 76 SGB V verankerte freie Arztwahl wird allein an dieser Stelle für einen Teil der Menschen mit Behinderungen ausgehebelt. Ich weiß überhaupt nicht, warum man nicht automatisch barrierefrei baut. Denn was für einen Rollstuhl gut ist, ist auch für den Rollator und dem Kinderwagen hilfreich. Aber es geht um die ganzheitliche Betrachtung von Barrierefreiheit. Da hilft ein kleines Landesprogramm für die räumliche Barrierefreiheit in Arztpraxen nicht viel weiter.


1 Im Artikel 25 der UN- Behindertenrechtskonventionen wird der gleiche Zugang zu Behandlung und Prävention gefordert, denn Gesundheit ist ein wesentlicher Aspekt der Teilhabe.
Fakt ist, Menschen mit Behinderungen haben nicht den gleichen Zugang zu medizinscher Behandlung und Prävention wie Menschen ohne Behinderungen. Aus den Antworten auf meine kleine Anfrage (20/350) wissen wir, dass die wissenschaftliche Bestandsaufnahme zur gesundheitlich-ambulanten Versorgung von Menschen mit Behinderung, die im Gesamtzeitraum 30.11.20 - 21.02.22 unter der Leitung von Dr. Michael Niemann durchgeführt wurde, eine Versorgungslücke in Schleswig-Holstein bestätigt. Die Bestandsaufnahme sieht einen Bedarf an medizinischen Behandlungszentren für Erwachsene mit geistiger Behinderungen oder schweren Mehrfachbehinderungen (MZEB) in Schleswig-Holstein. Außerdem braucht es bessere Informationen auch in leichter Sprache.
Weil in Deutschland die gesundheitliche Regelversorgung für Menschen mit Behinderungen an ihre Grenzen stößt, wurde im Jahr 2015 im Rahmen des GKV- Versorgungsstrukturgesetzes die Grundlage für die Einrichtung von Medizinischen Behandlungszentren für Erwachsende ( MZEB) mit geistiger oder schwerer Mehrfachbehinderung geschaffen. Ein MZEB setzt auf individuelle Betrachtung, Beratung und Behandlung. Ihr ganz besonderer Auftrag besteht in der multidisziplinären und multiprofessionellen Versorgung von Menschen mit schwerer und geistiger oder mehrfacher Behinderung. Während die Menschen bis zum 18. Lebensjahr durch spezialisierte Sozial- und Pädiatrische Zentren versorgt werden, verschlechtert sich die medizinische Versorgung im Erwachsenalter, da das Regelsystem dafür nicht ausgelegt ist.
In Deutschland gibt es mittlerweile ca. 40 MZEB, 6 davon alleine in Niedersachsen, Aber in Schleswig-Holstein haben wir eine Versorgungslücke.
Die SPD unterstützt die Forderung unserer Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen, Michaela Pries, nach Einrichtung dieser Zentren in Schleswig-Holstein. Konkrete Zahlen gibt es leider nicht, aber die Landesbeauftragte schätzt die Zahl der Menschen, die für eine Behandlung dort infrage käme, auf mehrere Tausend. Schaffen wir also mehr Gerechtigkeit und Gleichstellung für Menschen mit Behinderungen und ihren ganz besonderen Bedarfen an Gesundheitsversorgung und Prävention. Wir sollten über die wissenschaftliche Bestandsaufnahme und ihre Empfehlungen sowie über unseren Antrag eindringlich im Sozialausschuss mit den Menschen mit Behinderungen diskutieren.
Vielen Dank!“



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