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25.11.22
11:16 Uhr
SPD

Kai Dolgner zu TOP 10: Weniger Demokratie wagen

Heimo Zwischenberger Pressesprecher der SPD-Landtagsfraktion
Adresse Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel Telefon 0431 988 1305 Telefax 0431 988 1308 E-Mail h.zwischenberger@spd.ltsh.de Webseite www.spd-fraktion-sh.de Es gilt das gesprochene Wort!

Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden: http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathek

LANDTAGSREDE – 25. November 2022
Kai Dolgner Weniger Demokratie wagen TOP 10: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften (Drs. 20/377) „Was wird an Bürgerentscheide nicht alles kritisiert: Sie führen zu Verzögerungen, lösen das Grundproblem nicht, verhindern den Ausbau erneuerbaren Energien, setzen Partikular- und Lobbyinteressen durch und die Bürgerinnen und Bürger sind häufig schlecht informiert, worüber sie entscheiden. So dachte ich auch, als ich mich im Zuge der damaligen Volksinitiative mit den Forderungen nach mehr Bürgerbeteiligung beschäftigen musste. Ich war trotzdem bereit, meine Auffassung in Frage zu stellen und habe später den gemeinsamen Gesetzentwurf aus voller Überzeugung unterzeichnet.
Zwei Fragen trieben mich um. Ist die Kritik gerechtfertigt? Und ist sie spezifisch für Bürgerentscheide? Ja demokratische Entscheidungsprozesse können anstrengend und lang sein. Bei Bürgerbegehren beträgt der Zeitraum wegen der Fristen zwischen Beginn und Entscheidung in der Regel unter einem Jahr. Ratsentscheidungen haben keine Fristen, einige nehme viele Jahre, manche Jahrzehnte in Anspruch. Da wird 50 Jahre wird eine Umgehungsstraße nicht beschlossen, weil alle fünf Gemeinden die Straße wollen, aber hauptsächlich über das Gebiet der jeweils anderen. Das Sankt-Florians-Prinzip ist also auch Gemeinderäten nicht völlig fremd und natürlich gibt es auch dort Partikularinteressen? Kitaneubauten sind auch schon von Räten abgelehnt worden ohne damit das Grundproblem zu lösen.
Die Energiewende ist nicht wirklich durch Bürgerentscheide aufgehalten worden. Und haben sich nicht Gemeinderäte viel häufiger gegen den Ausbau ausgesprochen? Hat etwa ein Volksentscheid die Landesregierung gezwungen, das Moratorium zu verlängern? Hat ein bundesweiter Volksentscheid, Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat gezwungen, beim EEG den Windenergieausbau auszubremsen? Waren diejenigen, die die Entscheidungen zur HSH getroffen haben, wirklich über alle Folgen informiert?
Im Februar hatte ich nicht den Eindruck, dass alle Kolleg*innen die 162 Seiten Digitalisierungsgesetz komplett gelesen hätten.

1 Wir stellen also fest. Für alle Kritikpunkte finden sich Beispiele. Sie sind aber nicht spezifisch für Bürgerentscheide, sondern finden sich auch bei Entscheidungen der repräsentativen Demokratie. Demokratische Entscheidungen können nicht immer fehler- oder interessensfrei sein oder nur von völlig informierten oder gar besseren Menschen getroffen werden. In einer Demokratie kann grundsätzlich jeder wählen oder gewählt werden, ohne weitere Klugheits-, Charakter- oder Qualifikationsanforderungen.
Deshalb kann es ein demokratisches System ohne Fehlentscheidungen nicht geben, sei es direkt oder repräsentativ. Wer etwas anderes wünscht, landet schnell bei der Rechtfertigung elitärer Modelle wie der platonischen Philosophenrepublik und Schlimmeren. Wohin dieser Weg letztlich führt, lehrt uns die Geschichte und hat Karl Popper gut analysiert. Und glauben Sie mir: Sie wollen keine Herrschaft der Besserwisser.
Mein Fazit: Die oben aufgezählten Kritikpunkte sind zwar in der Sache richtig, aber nicht auf Bürgerentscheide beschränkt, sondern in demokratischen Prozessen grundsätzlich nicht komplett vermeidbar. Eine Beschneidung von Bürgerentscheiden ist dadurch also nicht zu rechtfertigen. Legitim sind sie allemal, denn im Gegensatz zum unvollständigen Zitat unserer Innenministerin, nennt das Grundgesetz in Artikel 20 ausdrücklich Wahlen und Abstimmungen.
„Wenn die Mehrheit entscheidet, dass Zeus die Blitze schleudert, dann bauen wir Zeusaltäre und keine Blitzableiter, selbst wenn ich es persönlich für falsch halten würde, denn sonst wäre die Demokratie am Ende“ erkläre ich immer Schülergruppen. Nun gut, vielleicht würde ich in diesem Fall noch für eine Intensivierung des Physikunterrichtes plädieren.
Mir ist schon klar, dass die öffentliche Verkündigung der Formulierungshilfe durch die Innenministerin nach dem Motto „Sabina locuta -causa finita“ kein Zufall war und Sie ihren Kompromiss nicht wegen meiner Rede aufkündigen werden. Aber vielleicht denken Sie noch einmal darüber nach, welches Narrativ eigentlich bedient wird, wenn man Bürgerbegehren Vorhaltungen macht, die andere allen demokratischen Prozessen machen.“



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