Den Blickwinkel des anderen einnehmen: Landtagspräsidentin Herbst eröffnet neue Ausstellung "Was heißt hier Minderheit?"
Nr. 97 / 21. September 2022Den Blickwinkel des anderen einnehmen: Landtagspräsidentin Herbst eröffnet neue Ausstellung „Was heißt hier Minderheit?“Wie kann man deutsch und gleichzeitig auch Dänin, Sinto, Romni, Sorbe, Friesin oder Plattsprecher sein? Welche Geschichte(n), Sprachen und Lebenswirklichkeiten verbergen sich hinter dem Begriff „Minderheiten“? Und was heißt hier Minderheit? Diese Fragen beantwortet die neue, gleichlautende Schau im Landeshaus, die Parlamentspräsidentin Kristina Herbst am Abend (Mittwoch) vor rund 100 Gästen im Plenarsaal eröffnet hat.„Was heißt hier Minderheit?“ ist eine interaktive Wanderausstellung des Minderheitenrates der vier nationalen Minderheiten und Volksgruppen Deutschlands und des Bundesraat för Nedderdüütsch, die Einblick in Leben, Kultur und Sprache der vier nationalen Minderheiten Deutschlands und der Sprechergruppe Niederdeutsch gibt. „Ich freue mich, dass mit der Ausstellung die scheinbar einfache Frage ‚Was heißt hier Minderheit?‘ beantwortet wird“, sagte Herbst. „Ihr Kernanliegen ist, gegenseitiges Verständnis zwischen Minderheiten und Mehrheitsgesellschaft zu schaffen, die Perspektive zu ändern und den Blickwinkel des jeweils anderen einzunehmen.“ Das eigentlich abstrakte Thema werde in der Ausstellung anschaulich, modern, interaktiv und mit Witz und Spaß umgesetzt, warb die Landtagspräsidentin für den Besuch der Schau. „Die Ausstellung macht Lust auf Begegnung miteinander“, hob Herbst hervor. „Und sie zeigt sowohl, was jede einzelne Minderheit auszeichnet, als auch das Verbindende zwischen ihnen. Die Gesamtschau ergibt ein ebenso stimmiges wie spannendes Gesamtbild – eine perfekte Metapher für unsere Minderheiten und unsere Gesellschaft insgesamt.“Für alle im Landtag vertretenen Parteien bestehe der Konsens, den Artikel 6 der Landesverfassung stetig mit Leben zu erfüllen, betonte die Präsidentin. „Artikel 6 stellt unsere Minderheiten und ihre Kultur unter besonderen Schutz. Die Ausstellung und die heutige Podiumsdiskussion sind lebendiger Ausdruck dieser selbstgestellten Verpflichtung.“ 2Im Vorfeld der Podiumsdiskussion hielt Gitte Hougaard-Werner, Vorsitzende des Minderheitenrates der vier autochthonen nationalen Minderheiten und Volksgruppen Deutschlands ein Grußwort und stellte fest: „Erst, wenn Minderheiten und Sprachminderheiten als natürlicher Teil der Gesellschaft angesehen werden und ihre Interessen und ihre Schutzbedürftigkeit kein blinder Fleck mehr sind, sind wir am Ziel.“ Mit der Ausstellung wolle man zum Nachdenken anregen, so Hougaard-Werner. „Wenn es gelingt, Ihr Interesse für die fünf autochthonen Minderheiten zu wecken, ist viel gewonnen.“Auch auf Niederdeutsch wurde das Publikum begrüßt – Jan Graf sprach für die kurzfristig erkrankte Christiane Ehlers, Leiterin des Niederdeutschsekretariats des Bundesraat för Nedderdüütsch, und richtete in ihrem Namen aus: „Wir Plattdeutsche freuen uns, dass wir zum ersten Mal gemeinsam mit den anderen Minderheiten vertreten sind. Und darüber, dass kein Unterschied gemacht wird – ob wir nun offiziell als Minderheit anerkannt sind oder nicht. Dass kein solcher Unterschied gemacht wird, ist auch unser Wunsch an die Politik.“Neben Hougaard-Werner und Graf nahmen an der von Claas Riecken moderierten Podiumsdiskussion auch Ilse Johanna Christiansen, Vorsitzende Frasche Rädj/Friesenrat Sektion Nord, Jens A. Christiansen, Generalsekretär Sydslesvigsk Forening/ Südschleswigscher Verein, Matthäus Weiß Vorsitzender des Verbands Deutscher Sinti und Roma e.V., Landesverband Schleswig-Holstein und Judith Scholze/Judit Šołćina, Geschäftsführerin Domowina – Bund Lausitzer Sorben e.V. teil.„Unser Leben ist die Sprache, Kultur, Tradition, die Großfamilie“, erklärte Matthäus Weiß. „Damit wollen viele leider nichts zu tun haben. Ich glaube aber, nicht nur die Zeit ändert sich. Auch die Menschen müssen sich ein wenig ändern – und aufeinander zugehen. Es geht nur miteinander und es wird nur besser, wenn man miteinander spricht.“Mit Blick auf die eigene Situation sagte der Generalsekretär des Sydslesvigsk Forening/ Südschleswigscher Verein Jens A. Christiansen, man habe es noch vergleichsweise gut getroffen. „Wir haben eine eigene Partei, die uns jetzt sogar auch in Berlin Gehör verschafft. Aber es fehlt an Bildung mit Blick auf die Minderheiten generell, und an Bekanntheit.“Ilse Johanna Christiansen, Vorsitzende Frasche Rädj/Friesenrat Sektion Nord, ergänzte, dass es nicht nur bei der Mehrheitsgesellschaft an Kenntnis und Bildung über die Minderheiten fehle. „Auch bei den Minderheiten selbst mangelt es zum Teil daran. Ich bin als Friesin aufgewachsen, habe in der Schule aber nichts über friesische Kultur gelernt.“Judith Scholze – oder Judit Šołćina –, Geschäftsführerin Domowina – Bund Lausitzer Sorben e.V., erläuterte zum Abschluss der Runde die allgemeine Situation der Minderheiten. „Wir Minderheiten müssen 24 Stunden präsent sein. Wir müssen uns zu allen Fragen verhalten und auf alles Antworten bereithalten.“ Dafür leisteten die Minderheiten ihren Beitrag, bräuchten aber in allen Bereichen auch die politische Unterstützung. „Wenn wir bereits ein selbstverständlicher, natürlicher Teil der Gesellschaft wären, bräuchte es diese Ausstellung nicht“, stellte Scholze fest und fügte hinzu: „Danke an Schleswig-Holstein, dass wir heute hier sitzen und diskutieren können. Das müssten wir genau so in 16 Bundesländern machen. Erst dann sind wir angekommen.“