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31.08.22
18:48 Uhr
B 90/Grüne

Lasse Petersdotter zur Regierungserklärung zum 100-Tage-Programm

Presseinformation

Landtagsfraktion Schleswig-Holstein Es gilt das gesprochene Wort! Pressesprecherin Claudia Jacob TOP 1 – Regierungserklärung „Zusammen halten – Landeshaus zusammen gestalten“ Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Dazu sagt der Vorsitzende der Zentrale: 0431 / 988 – 1500 Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Durchwahl: 0431 / 988 - 1503 Mobil: 0172 / 541 83 53 Lasse Petersdotter: presse@gruene.ltsh.de www.sh-gruene-fraktion.de
Nr. 160.22 / 31.08.2022

Die Regierung startet fokussiert und entschlossen
Sehr geehrter Frau Präsidentin, sehr geehrte Abgeordnete!
Der Kollege Koch ist gerade mit Glückwünschen vom Pult gegangen, bevor ich das ver- gesse, setze ich das an den Anfang meiner Rede. Selbstverständlich gelten die Glück- wünsche, die ich hier vor acht Wochen ausgesprochen habe, unverändert Herr Minister- präsident. Wir freuen uns sehr auf die Zusammenarbeit der nächsten fünf Jahre und auf die gemeinsamen Projekte.
Und wir wissen alle wie gut diese Ergebnisse, die zu dieser Wahl geführt haben, tatsäch- lich waren. Die CDU hat unbestreitbar diese Wahl gewonnen und ich finde, man sollte vorsichtig sein, dieses Wahlergebnis allzu sehr herunterzureden, 43 Prozent sind doch eine ganze Menge.
Aber zu den Inhalten. In den letzten Wochen ist einiges passiert. Wir haben einen Kita- Gipfel gesehen, wo gerade die Menschen, die den wichtigsten Teil unserer Gesellschaft ausmachen, die Kinder, auch mal selber zu Wort gekommen sind. Und alle Beteiligten von Kita sind zueinandergekommen, um über die Zukunft und die Herausforderungen zu sprechen. Wir haben eine Gesundheitsministerin erlebt, die nahtlos das Coronamanage- ment übernommen hat, Positionen im Bund vertreten hat, eigene Positionen, die wir als Schleswig-Holsteiner*innen hier einnehmen, und uns dort gut vertreten hat.
Dann haben wir einen Schulstart im dritten Corona-Jahr erlebt, der gut koordiniert war und reibungslos nach den Sommerferien erfolgt ist. Vielen Dank, Karin Prien.
Wir haben einen Energiewende-Minister, der quasi in einem Dauergespräch mit seinen Landeskolleg*innen und dem Bundeswirtschaftsminister ist, um die große Herausforde- rung unserer Zeit, die unmittelbare Herausforderung der Energiekrise, gut zu managen und zu bewältigen.
Seite 1 von 5 Und wir haben eine Finanzministerin, die von der Bild-Zeitung als Vorbild zur Umsetzung der Grundsteuer-Reform ausgerufen wird. Also, es ist einiges gut gelaufen in den letzten Wochen.
Und, Herr Losse-Müller, wenn sie kritisieren: „Oh, die machen Urlaub und dann gehen die auch noch joggen.“, dann wundere ich mich, denn Sie sind nicht der freizeitpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, sondern der Fraktionsvorsitzende.
Die genannten Beispiele sind nur wenige von sehr vielen. Diese Regierung startet fokus- siert und geschlossen in eine schwierige Zeit. Die Hitze in diesem Sommer war und ist eine Belastung für Mensch und Natur. Eine Forschungsgruppe der EU-Kommission kommt zu dem Schluss, dass es noch nie in den letzten 500 Jahren in Europa eine Dürre wie diese gab.
Dürren sind immer auch Grundlage für gesellschaftliche Härten. Sie sind Inflationstreiber, sie sind Grund für Hunger und soziale Verwerfungen und Dürren sind schwer zu verhin- dern. Aber noch viel schwerer ist es, eine Dürre zu bekämpfen.
Es gibt keine wirksamen politischen Mittel gegen eine bestehende Dürre, keine kurzfris- tigen Lösungen, nur Schadensbegrenzung und die beste und einzige Prävention heißt Klimaschutz!
Um es noch etwas spürbarer zu machen: Dieser Sommer war einer der kühlsten Som- mer, den wir in unserem Leben noch erleben werden. In den nächsten Jahren wird es immer heißer. Und deswegen braucht es einen wirksamen Klimaschutz. Deswegen braucht ein Land wie Schleswig-Holstein, das das erste klimaneutrale Industrieland in Deutschland werden will und wird.
Und deswegen müssen wir spätestens 2040 klimaneutral sein, deswegen werden wir Klimaschutz in die Landesverfassung schreiben. Um es konkret zu machen: ab 2025 gibt es eine Solarpflichtlicht auf private Neubauten. Bis 2030 wollen wir 50 Prozent der Wär- meversorgung aus erneuerbaren Energien erreichen und die energetische Sanierung deutlich ausbauen.
Alle Ministerien werden Maßnahmenpläne und Klimaschutzprogramme für 2030 auf den Weg bringen, um diese verbindlichen Klimaziele auch erfüllen zu können. Wie wichtig diese Maßnahme ist, sehen wir gerade in der Bundesregierung, wo der ein oder andere Minister Schwierigkeiten damit hat.
Wir werden die Planungen und Genehmigungen für Klimaschutzinvestitionen beschleu- nigen, auch wenn das immer wieder bedeutet, auszutarieren. Auch wenn das immer wie- der bedeutet, Interessen miteinander abzuwägen.
Wir schaffen ein Kompetenzzentrum für die Energiewende, weil das hier der richtige Standort ist. Wir werden uns ähnlich wie bei der Corona Krise auch in der Klimakrise multiprofessionell von der Wissenschaft beraten lassen, Impulse aufnehmen und umset- zen.
Wir werden die Wirtschaft in ihrer Transformation zu grünem Wasserstoff unterstützen und auch hier wieder zeigen, da wo die Energie entsteht, ist es auch sinnvoll, sie zu grünem Wasserstoff zu veredeln und zu nutzen. Und wir werden jeden einzelnen Haus- haltstitel überprüfen, ob er transformierbar ist oder nicht und wie wir strategisch vorgehen.
2 Wir ziehen die großen Linien und bleiben aber auch im Kleinen konkret
Und wenn Sie jetzt sagen, Herr Losse-Müller: „Ja, 50 Mio. Euro für Wärmepumpen spal- ten die Gesellschaft.“ Nein, der Krieg spaltet die Gesellschaft! Der Ausbau von Wärme- pumpen dagegen ist dringend notwendig und sinnvoll!
Diese 50 Mio. Euro sind nicht die einzige Maßnahme. Jetzt sagen Sie, aus diesen Maß- nahmen würden nur Lastenfahrräder finanziert werden. Nein, werden sie nicht. Lasten- fahrräder sind trotzdem sinnvoll und können für einige Lebensbereiche auch eine Alter- native für das Auto sein, die sinnvoll ist. Aber wir brauchen auch Klimaschutz, der selbst- wirksam ist, der nicht immer nur ordnungspolitisch eingreift, der nicht nur die Probleme beschreibt, sondern der unmittelbare Maßnahmen für Bürger*innen ermöglicht und un- terstützt. Und wir wollen nicht nur Unternehmen unterstützen, sondern auch die Men- schen im Land.
Ich fand die Analyse der SPD gerade spannend und viele Punkte davon teilen wir auch. Ich habe aber in der kompletten Rede des SPD-Fraktionsvorsitzenden nicht eine klima- politische Maßnahme gehört, die nicht in unserem Koalitionsvertrag steht. Selbst der Aus- bau und die Förderung von kommunalen Wärmenetzen steht im Koalitionsvertrag. Sie sollten ihre Politik aus dem Feuilleton in den Politik-Teil tragen.
Uns ist es wichtig, dass wir die Pionierregion für Klimaschutz und Energiewende werden, und das bedeutet auch den Ausbau von erneuerbaren Energien. Und hierbei müssen wir sinnvoll abwägen, Interessen ausgleichen, aber vor allen Dingen müssen wir schnell sein. Die Zeit drängt! Die Auswirkungen von Putins Angriffskrieg legen gerade einen Teil der Alternative zur Energiewende offen.
Wenn wir Energiewende vorher angegangen wären, wäre das Problem nicht das, was wir jetzt gerade haben.
Es besteht die Gefahr, dass die Abhängigkeit von fossilen Energien Deutschland in den Ruin treiben. Inflation ging und geht von der Explosion der Energiepreise aus. Es war in den letzten Jahren und Monaten immer der erste Schritt, dass die Energiepreise gestie- gen sind und dann darauf die Preise für Nahrungsmittel, die Preise für viele andere Pro- dukte auch. Es löst eine Kettenreaktion aus, die sich durch alle Bereiche zieht.
Und die Gefahr ist signifikant, dass große Schäden in der Volkswirtschaft entstehen. Durch eine drohende Rezession, durch Inflation durch viele andere Krisen, die gerade gleichzeitig wirken und aktuell wird dann immer gerne von Kaufkraftverlust geredet.
Teilen unserer Gesellschaft geht diese Kaufkraft aus. Das sind große Teile unserer Ge- sellschaft. Wenn 40 Prozent der Menschen in Deutschland keine Ersparnisse haben und 60 Prozent der Menschen in Deutschland keine Ersparnisse machen können, dann hel- fen Appelle wie jetzt, lieber mal ein bisschen Geld zurückzulegen und so Inflation auszu- gleichen, schlichtweg nicht weiter.
Die Zahl der Menschen, die keine angemessenen Ersparnisse anlegen können, ist in den letzten Jahrzenten rasant gestiegen. Das ist eine Entwicklung, die vorhersehbar war. Das ist eine Entwicklung, gegen die man hätte angehen können. Und die Auswirkungen mer- ken wir eben jetzt. Wenn noch vor einigen Monaten eine Packung Nudeln 49 Cent kos- teten, liegt sie jetzt bei 89 Cent. Das ist bei einem Packung vielleicht nicht das große Drama, aber das sind diese berühmten Tropfen, die das Fass zum Überlaufen bringen.

3 Und ja, es ist eine Krise, und es ist richtig, dass wir diese Krise nicht einfach per politi- schem Beschluss unbemerkbar machen können. Aber es ist unsere Aufgabe, darauf zu reagieren. Und wenn es eine Reaktion ist, das Wohngeld auszubauen, dann ist das gut und richtig. Das ist eine der wenigen Möglichkeiten, wo überhaupt der Staat Geld an Menschen auszahlen und das auch einigermaßen zielgerichtet tun kann.
Aber auf der anderen Seite haben wir eben das Problem, dass viele Menschen kein Wohngeld beantragt haben, was nicht nur damit zu tun hat, dass man nicht weiß, dass es das Wohngeld gibt. Das hat sich herumgesprochen. Der Wohngeldantrag ist einfach absurd kompliziert und man überlegt es sich dreimal, ob man ihn stellt. Das sind 11 Sei- ten, die fülle ich aus und danach bekomme ich einen Brief zurück, welche Dokumente fehlen, die aber vorher nie angefragt wurden. Hier wäre es sinnvoll, Bürokratie abzubauen und soziale Leistungen so zu gestalten, dass mehr Menschen davon profitieren.
Andere Mittel gegen die Krise gibt es auch: Energiepreisdeckel, Übergewinnsteuer, es ist ja gerade viel in der Debatte. Aber die Politik wird nicht alles auf einen Schlag lösen können. Was die Bürger*innen aber erwarten und ich finde auch erwarten können, ist eine Politik, auf die man sich verlassen kann.
Wir werden diesen Anspruch auf Verlässlichkeit erfüllen, aber wir erwarten diese Verläss- lichkeit auch von der Bundesregierung. Als Herr Günther hier zunächst gesagt hat „also kritische Worte zu dieser Bundesregierung…“ und dann haben wir da geklatscht, und dann hieß es aus der SPD „Entschuldigung, ihr seid doch Teil dieser Regierung“ ja, aber wir sind nicht der Pressesprecher dieser Regierung, wir verstehen uns hier als Landtags- fraktion in Schleswig-Holstein und wir sind durchaus in der Lage, auch die Bundesregie- rung zu kritisieren.
Und dann muss ich schon in Richtung Bundeskabinett sagen, dass die Zeit für Debatten- beiträge von Mitgliedern des Kabinetts Scholz endlich ein Ende haben muss. Es ist an der Zeit, Entscheidungen zu treffen, und ein Bundeskanzler kann in dieser Zeit nicht „You‘ll Never Walk Alone“ als Hintergrundmusik zum ungeordneten Rückzug spielen.
Ein Satz zu Christian Lindner: Eine gute Finanzpolitik versteht sich in der Kunst des Mög- lichmachens. Von diesem Geist, den wir sogar in unserem Koalitionsvertrag festgehalten haben, spüre ich im Bund zurzeit gar nichts. Stattdessen wird medienwirksam verhindert und blockiert und weniger medienwirksam zieht sich der Bund aus der finanziellen Ver- antwortung und finanziellen Verpflichtungen wichtiger Projekte in den Ländern zurück. Die Sprachkitas sind da nur ein Beispiel von vielen.
Wenn die FDP dann sagt: „Ja, aber das kann doch das Land einfach ausgleichen, wir haben hier doch sprudelnde Steuereinnahmen.“ Sie wissen schon, dass wir uns im glei- chen Land und auch in der gleichen Zeit befinden wie Christian Lindner. Wie erklären Sie denn, dass Christian Lindner alles blockiert und Sie hier Land behaupten, es wäre ganz, ganz viel möglich.
Diese Krise verlangt von uns allen auch über unsere Schatten zu springen. Die SPD exportiert Waffen gegen Russland, die Grünen bauen LNG-Terminals und lassen Koh- letransporten freie Fahrt für die Energiesicherheit. Und die FDP? Wo springt die FDP in dieser Bundesregierung eigentlich über ihren Schatten? Es wäre das mindeste, endlich Superreiche und Krisengewinnler anständig zu besteuern oder zumindest mal ein paar Schulden zu machen. Welche signifikante Krise in der Geschichte Deutschlands wurde eigentlich ohne Schulden bewältigt? Wann hat man da eigentlich schwarze Zahlen ge- schrieben? Nennen Sie mir eine Krise in der Geschichte Deutschlands, die ohne
4 Schulden bewältigt wurde. Ich kenne keine.
Und die 20. Wahlperiode des Schleswig-holsteinischen Landtages wird von einer Zeit multipler Krisen geprägt sein. Wir begegnen diesen mit Fokus und Geschlossenheit, nicht mit Scheuklappen.
Unsere 244 Seiten Koalitionsvertrag zeugen von mehr als nur Krisenmanagement. Sie zeugen von Tatendrang und einem gemeinsamen Projekt. Vor allen Dingen wollen wir auch an frühere Erfolge anknüpfen, beispielsweise die Fortführung der Perspektivschu- len, die ein unbedingter Erfolg war und zum Glück werden diese auch jetzt bundesweit umgesetzt und ausgebaut zu Perspektivkitas.
Der Zukunftsdialog Landwirtschaft, der alle Beteiligten an einen Tisch gebracht hat und zu gemeinsamen Lösungen gekommen ist, war einer der wichtigsten Errungenschaften. Hier knüpfen wir an alte Erfolge an. Ebenso wie die Biodiversitätsstrategie, wo wir die Debatte führen müssen. Die Strategie ist gut, sie wird von vielen mitgetragen, nun müs- sen wir sie mit finanziellen Mitteln unterlegen.
Aber wir wollen auch neue Wege gehen, beispielsweise durch einen Befreiungsschlag für die Kommunen. Mit einer Veränderung der Rücklagen für die Kommunen und auch der andere Umgang mit den Investitionen in den Kommunen. Damit wird den Kommunen wirklich die Möglichkeit gegeben zu handeln und auch über ihre finanziellen Mittel in voller Ausführlichkeit zu verfügen.
Darüber hinaus gehen wir erste Schritte in Richtung Nationalpark Ostsee. Hierbei werden noch viele Gespräche notwendig sein, aber nichts ist so stark wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist und diese Zeit ist da.
Wir werden erneut ein Landesaufnahmeprogramm für Geflüchtete auflegen. 2017 war das ein sehr eigenständiger Schritt. Mittlerweile ist dies ein großer Erfolg geworden und deswegen ist es richtig, dass wir hier diesen Weg fortsetzen.
Wir werden einen Landesaktionsplan, echte Vielfalt 2.0, fortführen, denn wir wollen die Vielfalt in Schleswig-Holstein stärken, sichtbarer machen, fördern, unterstützen und fei- ern.
Und wir werden einen Kulturpakt 2030 schließen und die Soziokultur in Schleswig-Hol- stein stärken, denn die Kulturpolitik in diesem Land darf dabei nicht außer Blick geraten. Wir müssen die Kulturpolitik in den nächsten Jahren weiter unterstützen. Anders als in der Wirtschaft kann man die Kosten und die Verluste, die jetzt entstehen, nicht anderwei- tig weitergeben. Hier entsteht Druck. Und dieser Druck erhöht sich und wir sind da auch in der Verantwortung, diesen Druck abzulassen.
Es zeigt sich also, wir haben einiges zu tun, wir haben uns einiges vorgenommen, all das, was ich beschrieben habe, ist nur ein Ausschnitt. Wir werden eine spannende Zeit vor uns haben. Ja, die Gesamtlage ist herausfordernd, aber nützt ja nix, machen wir das Beste daraus. Vielen Dank!

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