Jette Waldinger-Thiering: Der Landtag muss jetzt die Istanbul-Konvention umsetzen
PresseinformationKiel, den 23.09.2021Es gilt das gesprochene WortJette Waldinger-ThieringTOP 5 Frauenfacheinrichtungen bedarfsgerecht finanzieren Drs. 19/3290„Wir sollten Sorge dafür tragen, dass keine Frauen mehr durchs Raster fallen,weil Kompetenzen unklar oder die Finanzierungszuständigkeit nicht geklärtist!“Der rechtliche und auch der politische Rahmen in Sachen häuslicher Gewalt sind klar undeindeutig: Der Landtag wird die Istanbul-Konvention umsetzen müssen. Einfach, weil dieBundesrepublik Deutschland sich genau dazu vertraglich verpflichtet hat. Das ist eine guteNachricht. Häusliche Gewalt tritt mit diesem Abkommen endlich aus dem Schatten privaterVerhältnisse heraus und wird eine öffentliche Angelegenheit, die uns alle angeht. Das warüberfällig und ich bin froh, dass wir hinter dieses Abkommen nicht mehr zurückkönnen.Die Istanbul-Konvention macht aus einem unübersichtlichen privaten Konflikt, als der häuslicheGewalt immer noch verstanden wird, ein strukturelles Problem. Ich kann es nicht mehr lesen,wenn von einem Familiendrama berichtet wird oder häusliche Gewalt als quasi nachvollziehbareEifersuchtstat verbrämt wird. Die Istanbul-Konvention macht klar, dass unsere Gesellschaft Frauen ( ( 2in ihrer häuslichen Umgebung zu wenig schützt. Das ist übrigens auch der Grund, warum dieTürkei aus dem Abkommen ausgestiegen ist. Dort gelten Frauenrechte immer weniger.Aber auch in Deutschland werden Frauen in ihrem Zuhause geschlagen, sie werden vergewaltigt,ihre Haut wird verbrannt und die Kiefer werden gebrochen. Das passiert in der Pandemie und derdamit verbundenen Enge noch häufiger als sonst. Aber ich möchte ganz klar sagen: jede verletzteFrau ist eine Frau zu viel.Der Antrag der SPD-Fraktion ist darum richtig, weil er konkrete Finanzierungszusagen derLandesregierung einfordert. Nicht mehr schnacken, sondern machen.Ich gehe aber davon aus, dass eine wirklich bedarfsgerechte Finanzierung weit über das hinausgeht, was der Antrag in Spiegelstrichen fordert. Vor allem der Kernpunkt der Istanbul-Konvention,die Koordinierung der Arbeit, bleibt mal wieder außen vor. Wir sollten Sorge dafür tragen, dasskeine Frauen mehr durchs Raster fallen, weil Kompetenzen unklar oder dieFinanzierungszuständigkeit nicht geklärt ist. Ich möchte das an einem Beispiel zeigen: viele Frauenhaben nach einer Gewalterfahrung Depressionen, Zyklusstörungen oder andere körperlicheSymptome. Offenbaren sie bei ihrem Hausarzt ihre Situation, ist dieser darauf angewiesen, dass erdas Unterstützungsnetz kennt und den Ansprechpartnerinnen vertraut. Was ist aber, wenn keineentsprechende Informationen vorliegen, weil die Beraterinnen bereits in Arbeit ersticken? Wasgeschieht mit dieser Frau? Das ist kein konstruierter Fall. Das gleiche kann im Kindergartengeschehen, wenn eine Mutter mehrmals Verletzungen aufweist. Gerade diese Schnittstellen, wieauch Schule und Hort, profitieren von einem gut koordinierten Netzwerk. Flyer, Infotelefone,Präventionsarbeit in Schulen: alles das muss koordiniert und ständig aktualisiert werden. Bislangpassiert diese Arbeit aber quasi nebenbei. Das ist ein großes Problem. Der Spiegelstrich zurPrävention in Frauenhäuser verkennt dien Umfang des Problems bei weitem.Dänemark hat die Kommunen verpflichtet, jedem gewaltbetroffenen Erwachsenen einekostenlose Beratung zu ermöglichen, die in einen Handlungsplan mündet. Das ist Hilfe aus einerHand. Das ist mit Schleswig-Holstein nicht zu vergleichen. Gerade deshalb zeigt sich südlich derGrenze ein viel größerer Koordinierungsbedarf, der in den Kommunen aufläuft. 3Der Deutsche Städtetag hat seine Mitgliedsstädte nach der Umsetzung der Istanbul-Konventiongefragt. Dabei ist herausgekommen, dass gerade der Aufbau von nachhaltigenVernetzungsstrukturen sowie die kontinuierliche Arbeit mit dem Netzwerk kontinuierlicheHerausforderungen mit sich bringen. Die Kommunen können aber, das ist ein Manko, keinenFörderantrag auf eine Koordinierungsstelle stellen; müssen die Finanzierung also selber stemmen.Wenig überraschend ist bei der Umfrage herausgekommen, dass nur wenige Kommunen inDeutschland bislang eine entsprechende Koordinierungsstelle geschaffen haben, wiebeispielsweise Frankfurt oder Karlsruhe. Dass die finanzschwachen Kommunen in Schleswig-Holstein diesen Beispielen folgen, ist nicht absehbar.Darum ist die Landesregierung gefragt, die Koordinierung mit einem Landesprogramm zuunterstützen. Überflüssig zu erwähnen, dass eine zeitbegrenzte Projektfinanzierung für diesewichtige Aufgabe nicht infrage kommt.Hinweis: Diese Rede kann hier ab dem folgenden Tag als Video abgerufen werden: http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathek/