Burkhard Peters zum Verfassungsschutzbericht 2020
Presseinformation Landtagsfraktion Rede zu Protokoll gegeben! Schleswig-Holstein TOP 53 – Verfassungsschutzbericht 2020 Pressesprecherin Claudia Jacob Dazu sagt der innenpolitische Sprecher der Landeshaus Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Burkhard Peters: Zentrale: 0431 / 988 – 1500 Durchwahl: 0431 / 988 - 1503 Mobil: 0172 / 541 83 53 presse@gruene.ltsh.de www.sh-gruene-fraktion.de Nr. 272.21 / 27.08.2021Die Autoindustrie ist nicht institutioneller Bestandteil der freiheitlich demokratischen GrundordnungSehr geehrte Frau Ministerin Sütterlin-Waack,vielen Dank für die Erläuterung des Verfassungsschutzberichts. Gestatten Sie mir, dass ich mir nur zwei Punkte herauspicke.Erstens: Wie ist die Querdenkerszene in Schleswig-Holstein einzuschätzen?Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat für die Querdenkerszene und andere Coro- naleugnende einen neuen Phänomenbereich kreiert: „Verfassungsschutzrelevante Dele- gitimierung des Staates“.Das ist deswegen problematisch, weil das Anzweifeln der Legitimität einzelner staatlicher Maßnahmen im Zusammenhang mit der Pandemiebekämpfung, zum Beispiel Ausgeh- verbote, ganz klar von der Meinungsfreiheit gedeckt und für einen offenen politischen Diskurs in einer Demokratie selbstverständlich ist. Ab wann sind solche kritischen Mei- nungsäußerungen eine „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung“? Reichen laut- starke Parolen wie „Impfzwang ist Coronadiktatur“ aus? Oder müssen Aktionen wie die Erstürmung der Treppen des Reichstags dazu kommen?In der Presseerklärung des MILIG vom 04.05.2021 zum Verfassungsschutzbericht wird die Grenze insoweit gezogen, als „die Verächtlichmachung unserer freiheitlich demokra- tischen Grundordnung mit dem Ziel der Zersetzung“ nicht mehr zu dulden sei. Unser Lan- desverfassungsschutzgesetz setzt „eine aktiv kämpferische aggressive Haltung gegen- über der bestehenden Verfassungsordnung voraus“. Der Erstürmungsversuch des Reichstags von Akteur*innen der Querdenkenden ist zweifellos Ausdruck einer „aktiv kämpferischen Haltung“. Derartige Exzesse hat es in Schleswig-Holstein allerdings noch nicht gegeben. Aber wie ist die alleinige verbale oder schriftliche „Verächtlichmachung Seite 1 von 2 mit dem Ziel der Zersetzung“ zu bewerten?Hier kommt meines Erachtens eine der zentralen Denkfiguren der Querdenker- und Coro- naleugnerszene zum Tragen, die sie aus dem ideologischen Arsenal der rechtsextremis- tischen und neurechten Bewegung übernimmt, nämlich die, vor allem antisemitisch auf- geladene, Verschwörungstheorie. Das ist das bereitwillig weit geöffnete ideologische Ein- fallstor, welches führende Protagonist*innen der Querdenkerszene auch in Schleswig- Holstein dem rechtsradikalen Spektrum zum erwünschten Anschluss öffnet.Der Mythos sagt: George Soros und Bill Gates sind Impfteufel, die sich die Welt mit einer übertriebenen Pandemie untertan machen, um Milliarden zu scheffeln. Natürlich sind sie aus Sicht dieser Erzählung nur Teil einer viel größeren Verschwörung, die sich in Form des deep state in geheimen Zirkeln trifft, um sich mit dem Blut entführter Kinder zu ver- jüngen: QAnon heißt dieser Wahnsinn, der sich während der Pandemie noch schneller verbreitete als das Virus.Wichtige Protagonist*innen der Coronaleugner in Schleswig-Holstein sind laut Aussagen auf Demonstrationen in Eckernförde und anderswo stark beeinflusst von derartigen Ver- schwörungsmythen. Mit den neurechten Identitären haben sie gemeinsam, dass sie die staatlichen Maßnahmen der Pandemiebekämpfung geschichtsrelativierend mit der Na- zidiktatur vergleichen. Zum Beispiel, wenn in einer Rede in Eckernförde währen einer Coronademonstration ein Vergleich zur Goebbels-Rede im Berliner Sportpalast gezogen wird mit der rhetorischen Frage an das Publikum: „Wollt ihr den totalen Schutz?“Insofern bewerte ich die Aussage im Verfassungsschutzbericht kritisch, es gebe hierzu- lande „bislang keine Anhaltspunkte, dass die öffentlichen Proteste gegen die Corona- Maßnahmen der Regierung von Rechtsextremisten oder Reichsbürgern maßgeblich be- einflusst werden“. Es sind die bekannten rechtsextremen Verschwörungsmythen, die in den Köpfen wichtiger Protagonist*innen der Bewegung verankert sind. Das ist überall in Deutschland zu beobachten, aber eben auch in Schleswig-Holstein.Dass sich die Szene auch hier massiv radikalisiert, zeigen ganz aktuelle Ereignisse wie beispielsweise Gewalt- und sogar Morddrohungen gegenüber Schulleitungen und Leh- rer*innen in Niebüll und Altenholz im Zusammenhang mit der Impfkampagne an Schulen und der Verlängerung der Maskenpflicht.Zweitens: ist die TKKG Kiel wirklich ein Fall für den Verfassungsschutz?Erstmalig taucht im Bericht die sogenannte TurboKlimaKampfGruppe unter den linksext- remistischen Organisationen auf. Anhaltspunkt dafür ist, dass sich die Organisation zum Beispiel zum Antifaschismus bekennt, sich im Zusammenhang mit der Novellierung des Landespolizeirechts kritisch geäußert hat, und dass sie in Aktionen gegen Straßenbau- vorhaben die „Macht der Autoindustrie“ angegriffen hat. Wenn das schon ausreicht, als linksextremistischer Beobachtungsgegenstand des Verfassungsschutzes gelabelt zu werden, habe ich damit ein Problem. Ihre Aktionen halten sich im Rahmen zivilen Unge- horsams, ohne sich direkt und militant gegen Menschen oder Polizeikräfte zu richten. Die Autoindustrie in Deutschland ist nicht institutioneller Bestandteil der freiheitlich demokra- tischen Grundordnung. Das neue Polizeirecht in Schleswig-Holstein wurde von Teilen der Wissenschaft stark kritisiert, aber auch in einigen Details von Institutionen wie dem Kin- derschutzbund. Man kann dazu inhaltlich eine dezidiert andere Sichtweise haben, aber ob die genannten Punkte ausreichen, die TKKG mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu beobachten, das sollten Sie uns im IuRA noch einmal genauer erklären. *** 2