Ralf Stegner zu TOP 36: Schluss mit der Kommerzialisierung bei Pflege und Gesundheit!
Heimo Zwischenberger Pressesprecher der SPD-Landtagsfraktion Adresse Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel Telefon 0431 988 1305 Telefax 0431 988 1308 E-Mail h.zwischenberger@spd.ltsh.de Webseite www.spd-fraktion-sh.de Es gilt das gesprochene Wort!Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden: http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathekLANDTAGSREDE – 18. Juni 2021Dr. Ralf Stegner: Schluss mit der Kommerzialisierung bei Pflege und Gesundheit! TOP 36: Daseinsvorsorge in der Gesundheitsversorgung und Pflege sichern (Drs. 19/3097) „Ich durfte meine Karriere in Kiel im Bereich der Sozialpolitik beginnen und rede darum besonders gerne heute zu diesem Antrag, den meine Fraktion seit dem vergangenen Jahr vorbereitet hat. Umfragen zeigen, dass den Deutschen die eigene Gesundheit gleichbleibend wichtig ist. Trotzdem ist das oft eher abstrakt, solange man gesund ist. Wirklich relevant wird die Gesundheit erst dann, wenn sie verloren zu gehen droht. Ich bin mir sicher: Das trifft auch auf die allermeisten von uns zu. Und nach dem vergangenen Jahr kann man festhalten: Mit dem Gesundheitssystem verhält es sich nicht sehr viel anders. Selten zuvor sind die Bedingungen dort derart in den Fokus geraten – zu Recht! Corona hat vielen Menschen Leid, Schmerz und enorme Belastungen gebracht – die Debatte zum Corona-Gedenkort in dieser Woche hat darauf verwiesen. Aber zumindest hat die Pandemie geholfen, dringend notwendige Aufmerksamkeit auf die Situation in unseren Kranken-häusern, den Pflegeheimen oder Praxen zu richten. Dem enormen Einsatz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in diesen Einrichtungen ist es maßgeblich zu verdanken, dass unser Land einigermaßen glimpflich durch die Pandemie gekommen ist. Und das, obwohl viele von ihnen schon zuvor unter Bedingungen arbeiten mussten, die in den letzten Jahren stätig härter geworden sind. Unser Gesundheitssystem steht unter Druck. Eine ältere Gesellschaft und bessere, aber eben auch teurere Behandlungsmethoden haben die Kosten stetig wachsen lassen. 1999 lagen die Gesundheitsausgaben in der Bundesrepublik bei 208 Milliarden Euro, zwanzig Jahre später bereits bei 410 Milliarden. Gleichzeitig stieg der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt im selben Zeitraum um rund zwei Prozentpunkte. Das sind enorme Dimensionen. Diese Entwicklung hätte bereits vor vielen Jahren Anlass für eine grundlegende Diskussion sein müssen: Was ist uns Gesundheit wert? Und wer trägt die Kosten? Vor dieser Diskussion haben sich zu viele gedrückt. Stattdessen wurde landauf, landab nach Lösungen gesucht, die Kostensteigerungen im System aufzufangen. Eine der Folgen sind die vielen privatisierten ehemals öffentlichen Krankenhäuser und Pflegeheime. Der Zeitgeist war: Private können besser mit Geld umgehen – Einrichtungen in der Hand großer Konzerne kommen uns 1 billiger. Das war ein fataler Irrglaube. Betten oder Kittel mögen günstiger werden, wenn sie im Hunderterpack für mehrere Häuser bestellt werden, auf die Gesamtkalkulation haben sie aber kaum Auswirkungen. Das Personal in den Häusern ist der entscheidende Faktor. Darum waren es die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in den letzten Jahren den Preis für alle Einsparversuche gezahlt haben. Durch schlechtere oder gar keine Tarife, durch weniger Personal, Arbeitsverdichtung und Stress – ein System unter enormem Druck! Und jedes privatisierte Krankenhaus, in dem Personal zusammen-gestrichen wird, erhöht den Druck auf die verbliebenen öffentlichen, weil doch vorgeblich so viel günstiger gearbeitet werden kann. Das ist ein Teufelskreis. Darauf zumindest hat die Pandemie den Fokus gerichtet. Die Belegungsquoten der Intensivstationen waren Aufmacher der Tagesschau, die Arbeitsbedingungen in den Kliniken Aufhänger für seitenfüllende Reportagen. Die meisten kommen irgendwann an den Punkt, an dem die eigene Gesundheit nicht mehr selbstverständlich ist. Weil auf einmal Beschwerden auftauchen oder der Hausarzt eine Diagnose eröffnet, auf die man gerne verzichtet hätte. Das ist selten schön, kann aber auch das Signal sein, etwas zu ändern. Gesünder zu leben, mehr Sport zu machen, Gesundheit nicht als selbstverständlich zu nehmen. Corona muss dieses Signal für unser Gesundheitssystem sein. Und wir sollten uns bei den Zielen dieses mal ehrlich machen. Für meine Fraktion übernehme ich das gerne: Wir wollen, dass die Menschen in Deutschland eine hervorragende und moderne Gesundheitsversorgung bekommen. Wir wollen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Arbeitsbedingungen vorfinden, die sie nicht zwingen, nach wenigen Jahren den Beruf zu verlassen oder in die Teilzeit zu wechseln. Und wir wollen nie wieder so unvorbereitet in eine Krisensituation kommen wie wir es im letzten Jahr erleben mussten. Das ist die Zielvorgabe! Darum kann es nur eine logische Folge geben: Wir werden mehr Geld in die Hand nehmen müssen. Die Entspannung der Corona-Lage öffnet das Zeitfenster, um über die Zeit nach der Pandemie zu diskutieren. Dafür hat meine Fraktion heute 14 Punkte zur Daseinsvorsorge in der Gesundheitsversorgung und der Pflege vorgelegt. Einige der Punkte sind die direkte Folge von Erfahrungen der letzten Monate. Es darf zum Beispiel nie wieder passieren, dass Personal in Krankenhäusern und Einrichtungen in einer Pandemie ohne Schutz-ausrüstung arbeiten muss, weil Vorräte fehlen oder Lieferketten zusammenbrechen. Wir brauchen für die Zukunft Mindestbevorratungs-mengen und eine gesicherte Produktion in Europa. Pandemien sind nicht länger ein Szenario aus Science-Fiction-Filmen. Und darum brauchen wir auch einen besser vorbereiteten Öffentlichen Gesundheitsdienst. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort waren zentral für den Kampf gegen Corona, aber sie waren insbesondere zu Beginn der Pandemie bei weitem nicht so aufgestellt, wie sie es hätten sein müssen. Das meine ich übrigens nicht nur mit Blick auf das Personal, sondern auch die technische Ausstattung. Zu Beginn der Pandemie ging nichts ohne Faxgeräte – das war schon sehr befremdlich! Andere unserer Punkte greifen Probleme auf, die durch Corona noch einmal drängender geworden 2 sind. Pflegende und Gepflegte beispiels-weise waren fast überall enormen Belastungen ausgesetzt. Aber besonders groß war die Belastung dort, wo passende Pflegeangebote noch immer fehlen. Darum brauchen wir einen Kraftakt für die Kurzzeitpflege im Land! Und wir brauchen auch mehr Anstrengungen für Pflegeangebote im ländlichen Raum, sowohl mit Blick auf die unverzichtbare Arbeit mobiler Pflegedienste, wie auch für gute Beratungsangebote. Und drittens gehen wir auf Punkte ein, die grundsätzlich sind: Wenn wir bei der Pflege nicht nur Flickschusterei betreiben, sondern eine zukunftssichere Finanzierung aufbauen wollen, wird kein Weg an einer Bürgerversicherung vorbeiführen. Das ist im Übrigen auch der Schlüssel zur Abschaffung des Eigenanteils bei Pflegeleistungen, der für viele ältere Menschen und ihre Familien eine große Bürde ist. Wir brauchen auch die stabile und solidarische Finanzierung der Krankenhäuser. Nicht nur mit Blick auf Investitionen, sondern auch bei den Leistungen. Die Fallpauschalen sind ein Irrweg, wenn sie Fehlanreize auslösen und zu oft fernab der tatsächlichen Kosten sind. Wer ein Beispiel braucht, warum das derzeitige System nichts taugt, muss sich nur einmal anschauen, wie es bei der Kinder- und Jugendmedizin aussieht. Natürlich werden Kinder seltener krank, aber wenn sie krank werden, brauchen sie selbstverständlich in vernünftiger Nähe eine bestmögliche Versorgung. Das muss ein System leisten können. Und nicht zuletzt wollen wir, dass ein Thema von so grundsätzlicher Bedeutung wie die leistungsfähige öffentliche Daseinsvorsorge auch im Grundgesetz verankert wird. Da gehört es hin! Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer, das wissen wir alle. Aber Gesundheit und Pflege sind eben auch keine Waren, die man nach unternehmerischen Maßstäben bewerten könnte. Und es ist ein unhaltbarer Zustand, wenn große Teile des Gesundheitssystems von Akteuren besetzt werden, die möglichst viel Rendite für ihre Aktionäre erzielen wollen. Für diese Renditen war unsere Pflege- oder Krankenhausfinanzierung nie vorgesehen! Schulen sind für Schülerinnen und Schüler da. Universitäten für Studierende und Forscherinnen und Forscher. Krankenhäuser für kranke Menschen – nicht für die Konzerne. Es ist die Solidargemeinschaft, die unser Gesundheitssystem finanziert. Und diese Solidargemeinschaft hat auch ein Anrecht auf mögliche Gewinne, damit sie zurück in das System gegeben werden können. Mit der Kommerzialisierung im Gesundheitssystem muss Schluss sein! Ein Schlüssel dafür sind übrigens öffentliche Krankenhäuser und Pflegeheime, das will ich in aller Deutlichkeit sagen. Deutschland hat eines der besten Gesundheitssysteme der Welt. Aber es gibt mit Blick auf unsere Gesellschaft große Unterschiede bei der Lebenserwartung oder der Frage, wie gesund man alt werden kann. Und das ist im Jahr 2021 beschämend, Armut und Krankheit dürfen nicht zusammenhängen. Ich glaube übrigens, dass es an der Stelle durchaus einen Zusammenhang damit gibt, dass diejenigen am besten verdienen, die den Hausbesuch oder Wochenenddienste nur aus Erzählungen kennen, gleichzeitig aber zu oft diejenigen sind, die in den Gremien den Ton angeben. 3 In den letzten Monaten gab es genug Lippenbekenntnisse, was sich nach Corona irgendwann einmal ändern müsste. Und natürlich war der Landtag in den letzten Monaten nicht untätig – im Gegenteil! Ich bedanke mich herzlich für den Alternativantrag der Koalitionsfraktion, der eine wahre Fleißarbeit darstellt. Wir freuen uns insbesondere, dass sie noch mal detailliert aufgeführt haben, zu welchen unserer Initiativen der letzten Monate sie einen kurzfristigen Alternativantrag zustande gebracht haben. Wir haben nachgezählt: Das sind alleine acht der Punkte, die sie aufführen. Anderes sind Bundesinitiativen, viel eigenes von Jamaika bleibt dann nicht mehr übrig. Aber wir wollen heute über die Zukunft sprechen, es geht um konkrete Ansätze. Dafür macht meine Fraktion Ihnen einen Vorschlag. Ich werbe für Ihre Zustimmung. Herzlichen Dank!“ 4