Jette Waldinger-Thiering: Uns fehlen die Themen Inklusion, Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit
PresseinformationKiel, den 25.02.2020Es gilt das gesprochene WortJette Waldinger-ThieringTOP 13 Mündlicher Bericht über die Ländervereinbarung über die Grundstruktur des Schulwesens Drs. 19/2552„Ich vermisse ein engagiertes Vorgehen gegen den Lehrkräftemangel genausowie wirksame Instrumente gegen Bildungsungerechtigkeiten.“Die Kultusministerkonferenz hat bei ihrer 371. Plenarsitzung eine Ländervereinbarung über diegemeinsame Grundstruktur des Schulwesens und die gesamtstaatliche Verantwortung der Länderin zentralen bildungspolitischen Fragen beschlossen. Jahrelange Verhandlungen, die zu 44 Artikelngeführt haben, die zwar grundlegende Fragen aufgreifen und doch eher, meiner Bewertung nach,nur den kleinsten gemeinsamen Nenner abbilden.Die Absprachen bilden ein Bekenntnis zur Zusammenarbeit und entsprechen dem Wunsch nachmehr Einheitlichkeit in den Bildungssystemen der Länder. Und halten gleichzeitig amBildungsföderalismus fest, den ich für eine große Stärke und unabdingbar im Sinne unsererBesonderheiten in Schleswig-Holstein halte. Über die ich als Bildungspolitikerin, aber auch als Teilder dänischen Minderheit froh bin. Denn die Gegebenheiten für unsere dänischen Schulen und auch 2für die freien Schulen des Landes sind Eigenarten, für die wir als SSW hart gekämpft haben und dieich um keine noch so befriedende Ländervereinbarung missen möchte.Die wichtigsten Verabredungen der Ländervereinbarung sind auch aus unserer Sicht folgende:Erstens, die Richtlinien für die bessere Vergleichbarkeit der Schulabschlüsse, die insbesondere zueiner Angleichung der Abiturprüfungen führen werden. Denn ab 2023 sollen 50% der schriftlichenPrüfungsaufgaben in den Kernfächern bundesweit aus demselben Aufgabenpool kommen. Im Sinneder Mobilität unserer Gesellschaft ist das sinnvoll. So wird die Bildungslaufbahn bei einem Umzugmit einhergehendem Länderwechsel nicht unnötig erschwert.Zweitens, in Artikel 12 wird Inklusion als umfassendes Konzept menschlichen Zusammenlebens,dem sich alle Länder verpflichten, bestätigt. Außerdem wird bekräftigt, dass es die Aufgabe derLänder bleibt, in eigener Verantwortung weitere Schritte zur Verbesserung zu entwickeln und zwarin enger Abstimmung aller beteiligten Personen und Institutionen. Für den SSW bedeutet das vorallem auch die qualitative Aufwertung inklusiver Beschulung in unseren Regelschulen.Für uns gilt: Schule muss sich dem Kind anpassen, nicht andersherum.Drittens, der Artikel 15 umfasst das Recht auf schulische Bildung und auch die Schulpflicht. Logisch,könnte man meinen, jeder junge Mensch hat ein Recht auf Bildung und dieses wird im Schulsystemverwirklicht. Aber ich möchte noch einmal auf die jungen Menschen hinweisen, die in denstationären Jugendhilfeeinrichtungen in Schleswig-Holstein leben, deren erster Wohnsitz aber nichthier angemeldet ist. Wir als SSW haben schon einen Antrag eingebracht, der endlich dafür sorgensollte, dass wirklich alle Kinder und Jugendliche, die in Schleswig-Holstein leben, hier auch inunseren Schulen beschult werden. Denn Teilnahme an Schule bedeutet auch Teilhabe am sozialenLeben.Jamaika hat den Antrag abgelehnt – das Problem ist aus unserer Sicht immer noch nicht gelöst.Deswegen haben wir nun auch unseren Berichtsantrag gestellt.Insgesamt vermisse ich in den Ländervereinbarungen ein engagiertes Vorgehen gegen denLehrkräftemangel genauso wie wirksame Instrumente gegen Bildungsungerechtigkeiten. 3Beides hängt ja auch miteinander zusammen, das haben wir in den letzten Monaten leider wiedergut beobachten können. Schulschließungen sind vor allem für die Kinder von Nachteil, deren ElternHausaufgabenbetreuung einfach nicht leisten können, die nicht die nötigen Endgeräte zurVerfügung haben und die aus den verschiedensten – nachvollziehbaren – Gründen nicht auffangenkönnen, was unsere Lehrkräfte in den Schulen sonst leisten. Bei einem Lehrkräftemangel an denSchulen entstehen ähnliche Probleme, das bringt der ausgereizte Betreuungsschlüssel mit sich.Mein abschließender Eindruck ist: In der Vereinbarung werden zwar zentrale Fragen desSchulsystems geregelt – die großen bildungspolitischen Fragen unserer Zeit, nämlich Inklusion,Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit hingegen werden nicht angegangen. Ich sehe daherunsere Bildungsministerin in der Pflicht, in diesen Fragen voran zu kommen.Hinweis: Diese Rede kann hier ab dem folgenden Tag als Video abgerufen werden:http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathek/