Ralf Stegner zum Dringlichkeitsantrag: Transparenz ist in der Krise entscheidend!
Heimo Zwischenberger Pressesprecher der SPD-Landtagsfraktion Adresse Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel Telefon 0431 988 1305 Telefax 0431 988 1308 E-Mail h.zwischenberger@spd.ltsh.de Webseite www.spd-fraktion-sh.de Es gilt das gesprochene Wort!Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden: http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathekLANDTAGSREDE – 27. Januar 2021Dr. Ralf Stegner: Transparenz ist in der Krise entscheidend! Mündlicher Bericht zum Perspektivplan (Drs. 19/2732) „Seit mehr als zehn Monaten gehören die Corona-bedingten Einschränkungen zu unserem Alltag. An niemandem gehen sie spurlos vorbei. Für viele sind sie eine große Belastung. Und für manchen sind sie kaum noch zu ertragen. Schon länger ist unbestreitbar, dass wir mehr Klarheit brauchen, wann und warum welche Einschränkungen nötig sind, um die nach wie vor hohe Akzeptanz für die Maßnahmen in der Bevölkerung zu erhalten. Darum hat meine Fraktion bereits im vergangenen Herbst den Vorschlag einer Corona-Inzidenz-Ampel gemacht. Und ich will in aller Deutlichkeit sagen, es ist gut, dass die Landesregierung bei ihrer Positionierung für die kommenden Bund-Länder- Gespräche darauf zurückgekommen ist – unabhängig davon, welchen Titel das Konstrukt bekommt. Alles, was zu mehr Transparenz führt, ist der richtige Weg und findet unsere Unterstützung. Wie bei der Entlastung der Eltern von den Kita-Beiträgen, wie bei den Hilfen für Betriebe über 10 Mitarbeitern, wie bei den besseren Absprachen mit den Hamburger Nachbarn, wie bei den zusätzlichen Schulbussen und vor allem wie bei dem bürgerfreundlicheren Terminmanagement für die Corona-Impfung haben Sie nach anfänglichem Zögern und einer gewissen politischen Schamfrist unsere beharrlichen Initiativen aufgegriffen. Dafür will ich Sie ausdrücklich loben – das müssen Sie aushalten. Wir alle haben die berechtigte Hoffnung, dass die Situation dank der Impfungen langsam besser wird. Aber wer sich die Warnungen der Expertinnen und Experten aufmerksam durchliest erkennt schnell: Wir sind noch lange nicht über den Berg. Im Gegenteil. Nicht nur mit Blick auf die mögliche Rolle der Mutationen werden die kommenden Wochen uns als Gesellschaft weiter enorm fordern. Niemand wünscht sich Rück-schläge, aber ausgeschlossen sind sie eben nicht. Und die Entwicklung der Infektionen in Schleswig-Holstein ist trotz aller Hinweise auf Regionen, die deutlich schlechter dran sind als wir, immer noch weit weniger positiv als wir uns das wünschen würden. Das politische Umfeld für einen Erfolg dieses Stufenplans ist nicht eben günstig: Die Frau Bundeskanzlerin wird mit dem Satz zitiert: „Das Ding ist uns entglitten“. Ihr Kanzleramtschef Braun philosophiert öffentlich über eine Grundgesetzänderung zur Aufweichung der Schuldenbremse und wird für unerlaubtes Denken umgehend vom neuen Parteichef Laschet 1 und dem Fraktionsvorsitzenden Brinkhaus zurückgepfiffen. Und schließlich wird der Bundesgesundheitsminister Spahn von den Impfstoffherstellern täglich düpiert und seine Versprechungen, im Sommer werde jeder, der dies wünsche, ein Impfangebot erhalten, sind praktisch Makulatur. Insofern sind positive Signale aus dem Norden durchaus angebracht. Und ja, wir alle brauchen Lichtblicke. Aber wir müssen sehr genau aufpassen, dass die berechtigten Warnungen in Anbetracht der Debatten über Öffnungen nicht aus dem Bewusstsein verdrängt werden. Es ist ein denkbar schlechter Zeitpunkt für falsche Nachlässigkeit. Die Zahlen sinken nur dann, wenn wir weiter gemeinsam daran arbeiten. Eine große schleswig-holsteinische Tageszeitung hat heute zu recht darauf hingewiesen, wie gefährlich es sein kann, gleichzeitig mit dem Fuß auf Gas- und Bremspedal zu treten. Insofern könnte die Corona-Inzidenz-Ampel für deutlich mehr politische Verkehrssicherheit sorgen. Im Prinzip sind Sie auf dem richtigen Weg, wenn Sie inzidenzbasierte Regelungen vorschlagen. Allerdings wundert mich gerade mit Blick auf die Freien Demokraten, warum Sie diesen Vorschlag falschherum begründen. Es hat einen Grund, dass meine Fraktion sich wünscht, dass die Systematik der gestern präsentierten Vorschläge vom Kopf auf die Füße gestellt wird: Es geht um Rechtssicherheit und darum, dass das Corona-Management nicht von den Gerichten einkassiert wird. Es ist nämlich eine große Errungenschaft, dass Grundrechte in unserem Land nicht nach Gutdünken verteilt werden. Sie sind etwas, auf das wir alle einen Anspruch haben. Und darum führt eine Debatte, die den Eindruck erweckt, wir bräuchten Begründungen für Lockerungen oder Öffnungen, in die falsche Richtung. Das Ampelsystem – von mir aus auch der Stufenplan – ist das richtige Instrument. Aber nicht um zu begründen, warum der Normalzustand wieder hergestellt wird. Sondern als transparenter Maßstab für Bürgerinnen und Bürger, wenn und warum Einschränkungen noch andauern müssen. Und für jede dieser Einschränkungen braucht es eine plausible und faktenbasierte Begründung. Denn weiterhin gilt: Alle Maßnahmen müssen nachvollziehbar, transparent und effektiv sein. Das ist mit jeder Woche wichtiger, die uns diese Pandemie fordert. Feststeht übrigens auch, dass unabhängig von diesem Stufenplan der Gesundheitsschutz der Bevölkerung allererste Priorität erhalten muss. Wir lernen in dieser Pandemie laufend dazu. Inzwischen wissen wir, dass eine Fokussierung auf die Inzidenzwerte alleine in die falsche Richtung führt. Darum ist es richtig, dass Ihr Vorschlag vorsieht, die starre Inzidenz mit dem R-Wert, dem Blick auf Mutationen oder perspektivisch auch der Impfquote zu flankieren. Auch darauf haben wir in den letzten Monaten immer wieder hingewiesen. Eine deutlich schnellere Impfung breiter Teile der Bevölkerung bleibt allerdings das A und O, um die Pandemie zu besiegen, da wird kein noch so kluger Stufenplan helfen. Und ich füge hinzu: Der Bund ist und bleibt für die Beschaffung zuständig, das Land für das Impfmanagement. Dass das mit den Impfterminen ab heute bürgerfreundlicher wird, begrüßen wir sehr. Es löst allerdings das Problem mangelnder Impfstoffe nicht. Und ich wiederhole hier: Das liegt nicht an der gemeinsamen europäischen Beschaffung, sondern an schlechten 2 Verträgen und deren offenbar noch schlechteren Erfüllung durch die Industrie. Trotzdem: Wenn es gelingt, das Prinzip einer klugen Corona-Ampel bundesweit zu etablieren, wäre es ein großer Fortschritt. Das kann ein wichtiger Teil des Orientierungsrahmens sein, den viele Menschen in den letzten Wochen vermisst haben. Und trotz aller offenen Punkte: Dafür werben wir gerne. Und wir wünschen Ihnen, Herr Ministerpräsident, dabei Erfolg im Interesse der Bürgerinnen und Bürger, wiewohl auch hier eine gewisse Skepsis angebracht ist, wenn ich mir – um es freundlich auszudrücken - die bunte Vielfalt des öffentlichen Auftretens der Herren Söder, Ramelow oder Kretschmann ansehe. Ich will mich nicht Punkt für Punkt an einem Konzept abarbeiten, das seine größte Herausforderung mit den kommenden Beratungen noch vor sich hat. Aber lassen Sie mich zumindest einen der aus unserer Sicht offenen Punkte kurz ansprechen. Wir sind überzeugt, dass ein Stufenplan die unterschiedliche Situation im Land widerspiegeln muss. Viele Menschen im Land bekommen mit dem Plan zum ersten Mal einen realistischen Eindruck, wie weit der Weg zur alten Normalität selbst in einem optimistischen Szenario ist. Geburtstagsfeiern, ein Kinobesuch, Vereinssport, der Friseurbesuch, aber auch die Öffnungen für den geplagten Einzelhandel, all das wird noch dauern. Und umso weniger wird Verständnis dafür bestehen, wenn in Plön dasselbe gilt wie in Pinneberg. Die Angemessenheit der Maßnahmen ist aus guten Gründen einer der Punkte, den wir immer wieder betonen. Darüber werden wir sprechen müssen. Jede noch so gut gemeinte Regel kann nur dann wirken, wenn sie konsequent umgesetzt wird. Und konsequent umgesetzte Beschlüsse sind die viel bessere Alternative zu immer neuen und teilweise schrillen Forderungen. Auch darauf haben wir hier im Parlament in den Debatten zu mehreren Regierungserklärungen immer wieder hingewiesen. Darum ist es richtig, wenn unsere Landespolizei wie gestern angekündigt verstärkt Präsenz zeigen wird. Für diesen Einsatz bedanken wir uns schon jetzt herzlich! Ein Teil der Menschen in unserer Gesellschaft wird von dieser Pandemie ganz besonders getroffen. Dazu gehören Familien mit Kindern, Menschen in Heimen, aber auch diejenigen, die besonders hart schuften – nicht zuletzt im medizinischen und pflegerischen Bereich. Ihre Interessen dürfen bei keiner Corona-Ampel oder Stufenplan unter den Tisch fallen. Das ist entscheidend. Und dafür wird sich meine Fraktion weiter einsetzen! Ausdrücklich richtig finden wir die Priorität für Kitas und Schulen, die ja eigentlich eine Priorität für die in der Corona- Krise seit fast einem Jahr gebeutelten Familien bedeutet. Leider findet sich das im konkreten Krisenmanagement der Frau Bildungsministerin kaum wieder. Aber darauf wird der Kollege Martin Habersaat beim nächsten Tagesordnungspunkt ausführlich eingehen. Nicht nur bei Kitas und Schulen, sondern auch in anderen Fragen werden wir sicherlich über einige Details sprechen müssen. Das gilt z. B. für die Regelung in den Heimen. Ich bin mir sicher, das wird nicht zuletzt im Sozialausschuss möglich sein. Das gilt im Übrigen auch für die Folgerungen, die wir mit Blick auf die Krankenhäuser und die Verhältnisse auf den Intensivstationen, auf deren 3 Finanzierung und Arbeitsbedingungen ziehen müssen. Da geht es um den Kern öffentlicher Daseinsvorsorge und nicht um betriebswirtschaftlich reine Lehre. Aber auch dieses erörtern wir noch an anderer Stelle in dieser Landtagssitzung. Es kann niemanden wundern, dass die Ansprüche an die politischen Entscheidungen nach langen Monaten der Belastung spürbar steigen. Ich bin mir sicher, wir alle bekommen diese Rückmeldungen. Darum darf es keinen Zweifel geben, dass wir alles unternehmen, um den Ansprüchen gerecht zu werden. Wir hätten uns ein Ampel-System schon früher gewünscht. Aber dass wir ihm jetzt einen Schritt näher kommen und dass darüber Einigkeit in diesem Parlament besteht, ist eine gute Nachricht. Das wird helfen bei den großen Anstrengungen, die wir noch vor uns haben. Es mag vielleicht auch dazu beitragen, die Handlungsfähigkeit unseres demokratischen Staates in dieser Krise unter Beweis zu stellen.“ 4