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07.01.21
15:01 Uhr
SSW

Jette Waldinger-Thiering: Wir brauchen kein „auf Sicht fahren“ mehr, sondern Planbarkeit

Presseinformation
Kiel, den 07.01.2021



Es gilt das gesprochene Wort



Jette Waldinger-Thiering
TOP 3 Bericht zur weiteren Gestaltung des Schulbetriebs für
das Schuljahr 2020/2021
Drs. 19/2671


„Ich erwarte, dass die Ministerin Ruhe vermittelt, anstatt Schülerinnen und
Schüler zu verunsichern. Ruhe durch Strukturen, auf die man sich verlassen kann.
Für alle an Schule beteiligten heißt das aus unserer Sicht: Nachhaltige Strukturen
bis zu den Sommerferien!“

Viele Probleme entstehen aus unserer Sicht nur, weil immer noch vom „auf Sicht fahren“
gesprochen wird. Und vom „lernenden System“. Das war zu Beginn auch völlig in Ordnung, das
habe ich immer wieder zum Ausdruck gebracht. Aber wir stehen eben nicht mehr am Anfang.
Am 27. Januar 2020 meldete das bayerische Gesundheitsministerium das erste Infektionscluster.
Ab dem 11. März 2020 wurde das Coronavirus durch die Weltgesundheitsorganisation als
weltweite Pandemie eingestuft. 2

Wir leben also seit 346 Tagen mit Corona in Deutschland. Und seit 302 Tagen offiziell in einer
Pandemie.


Und bei aller Freude über den Start der Impfungen ist uns doch auch allen klar: es werden noch
viele Tage, Wochen, Monate dazu kommen.
Und daher sollte es weiter darum gehen, sich mit dem Virus einzurichten. Nachhaltige Strukturen
schaffen, die es ermöglichen, dass das Leben nicht immer wieder ganz ins Stocken gerät.
Deswegen ist es auch nicht abwegig, wenn an eine Ministerin als Lenkungsperson die Forderung
nach Planbarkeit herangetragen wird.
Ich erwarte von unserer Bildungsministerin, dass sie die Unruhe aus dem System rausnimmt, statt
für Verunsicherung bei den Eltern zu sorgen.
Ich erwarte, dass sie Ruhe vermittelt, anstatt Schülerinnen und Schüler zu verunsichern.
Ruhe durch Strukturen, auf die man sich verlassen kann.
Für alle an Schule beteiligten heißt das aus unserer Sicht:
Nachhaltige Strukturen bis zu den Sommerferien!


Seit Ausbruch der Pandemie hatten wir, wenn ich mich nicht verzählt habe, vier große Ferien, bei
denen wir immer erst um 5 vor 12 erfahren haben, wie es denn nun nach den Ferien weitergehen
soll.
Dass es dieses Mal besser geklappt hat, ist gut. Wir haben jetzt rechtzeitig gehört, dass der
Präsenzunterricht an den Schulen weiter ausgesetzt wird.
Die Schulen bleiben bis Ende Januar also grundsätzlich geschlossen. Für die Jahrgänge 1 bis 6 wird
es aber eine Notbetreuung geben. Das umfasst auch, so wurde es schon gestern in der
Pressekonferenz zugesagt, Ganztagsangebote. Auch für Abschlussjahrgänge wird es gewisse
Ausnahmen geben, so etwa Lernangebote in Präsenz in den Schulen. Alle anderen müssen sich im
Unterricht auf Distanz einrichten. 3

Für Schülerinnen und Schüler, die zu Hause schlechte Möglichkeiten haben, soll es neben der
Notbetreuung Möglichkeiten geben, in der Schule zu lernen. Und das ist, finde ich, im Sinne der
Bildungsgerechtigkeit auch vollkommen richtig.
Dafür braucht es aus Sicht des SSW ein verständliches System der Notbetreuung und vor allem
einen erweiterten Kreis derjenigen, die diese beanspruchen können.
Auch in einem anderen Punkt stimme ich völlig mit Ihnen überein, Frau Prien.
Die Schülerinnen und Schüler müssen so schnell wie möglich wieder zurück in die Schulen
kommen, im Zweifel auch im unliebsamen Wechselunterricht.


Was es übrigens auch gut hätte gebrauchen können, wäre ein Hinweis zum Umgang mit dem
Bildungs- und Teilhabepaket gewesen. Durch meine Kleine Anfrage vor ein paar Wochen habe ich
vor allem folgendes erfahren: Zahlen – haben wir nicht. Warmes Mittagessen – gibt es nicht.
Ersatzleistungen – interessieren das Ministerium nicht.


Frau Ministerin, Sie haben gestern während Ihrer Pressekonferenz gesagt, Schülerinnen und
Schüler sollen ihre Bildungslaufbahn ohne Brüche absolvieren können. Das ist ein warmer Wunsch.
Aber die Brüche sind doch längst da. Und sie werden in den nächsten Jahren wahrscheinlich noch
deutlicher werden. Unsere Schülervertretungen haben sich in den Medien mit der Frage „Warum
spricht niemand mit uns?“ an Sie gewandt. Die Landesschülersprecherin der Gesamtschulen hat
ganz deutlich davon gesprochen, wie bedrückend die Situation gerade für die Schülerinnen und
Schüler ist, besonders in den Abschlussklassen. Und auch der Landesschülersprecher der
Gymnasien macht sich Sorgen um den Schulabschluss. Oder der Sprecher der Beruflichen Schulen,
der schon darüber hinaus denkt und sich fragt, wie es überhaupt nach der Ausbildung weiter
gehen soll.
Auch von unserer dänischen Schülervertretung höre ich ähnliches. Ihnen ist schmerzlich bewusst,
wie viel Unterrichtszeit- und Stoff verloren gegangen ist. Auch sie machen sich große Sorgen um
ihre Zukunft. Da ist nichts mit fröhlichem Abhängen in der Einkaufspassage zu tausenden, wie 4

Ministerin Prien es noch vor Weihnachten unterstellt hat. Und Frau Prien, jetzt mal ehrlich. Wir
sind hier in Schleswig-Holstein. Welche Einkaufspassagen?


Und wenn ich dann höre, dass die Schülervertretungen sich mit ihren berechtigten Ängsten
geradezu vom Bildungsministerium in dieser Zeit alleingelassen fühlen, finde ich schon, dass die
Ministerin an dieser Stelle ihrer Aufgabe nicht gerecht wird.
"Wir hatten auch schon mal Telefonkonferenzen mit dem Bildungsministerium… Sie tun so, als
würden sie unsere Vorschläge umsetzen wollen, aber sie tun es dann doch nicht.", sagt die
Landesschülersprecherin der Gesamtschulen.
Bei solchen Worten erwarte ich, dass die Ministerin erklärt, wie sie das Verhältnis verbessern will.
Dass sie zeigt, dass es ihr wichtig ist, was diejenigen bewegt, für die sie Entscheidungen trifft.
Und, Frau Prien, diese Kritik ist für Sie ja nicht neu. Auch die Landeselternvertreter äußern sich
immer wieder extrem frustriert darüber, nicht einbezogen zu werden, zu spät informiert worden
zu sein und insgesamt kaum Wertschätzung zu erfahren.
Ich finde das wirklich unangebracht. Und es wundert mich wirklich sehr, dass das Ministerium
seinen eigenen Bezugsgruppen gegenüber so abweisend agiert.


Und Frau Prien, da fehlt mir irgendwie wirklich das Verständnis dafür, warum es auch Ihnen selbst
kein eigenes Interesse zu sein scheint, die Menschen vor Ort einzuspannen. Es wäre doch ein
leichtes, sich mit den Landeselternvertretungen regelmäßig zusammenzuschalten. Und zwar
bevor Beschlüsse auf der Homepage veröffentlicht werden, an denen dann unmittelbar erst
einmal nichts mehr zu ändern ist.
Es wäre doch ein leichtes, sich an die Schülervertretungen zu wenden und ihnen wirklich
zuzuhören.
Und es wäre übrigens auch ein leichtes, die Klassenlehrkräfte vermehrt einzubinden. Denn die
wissen doch meist am besten, wo der Schuh drückt. Sie sollten ihnen Ausgleichsstunden zur
Verfügung zu stellen, damit sie sich besser um ihre Schülerinnen und Schüler kümmern können! 5

Wir haben gestern immerhin perspektivisch erfahren, was die groben Linien im weiteren Verlauf
sein werden.
Erstmal, wie gesagt, bleiben die Schulen diesen Monat weitestgehend geschlossen. Am 15.01.
erfolgt dann eine Neubewertung der Lage und ab einem dauerhaften Inzidenzwert von deutlich
unter 50 soll es Öffnungen an Kitas und an Schulen ab der Klasse 7 den Wechselunterricht geben.


Ich hätte mir von Ihnen, Frau Prien, gewünscht, dass sie unseren Lehrkräften zuverlässig in
Aussicht stellen, mit welcher Unterrichtsform es weiter geht. Unseren Eltern, auf welche
Betreuungssituation sie sich langfristig einstellen können und unseren Schülerinnen und Schülern
ein deutliches Signal, dass sie nicht übersehen werden. Besonders auch in den Abschlussklassen.
Kein „auf Sicht fahren“ mehr, sondern Planbarkeit für Eltern, Schülerinnen und Schüler und
Lehrkräfte!


Hinweis: Diese Rede kann hier ab dem folgenden Tag als Video abgerufen werden:
http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathek/