Christian Dirschauer:Umsicht und Respekt im Umgang mit psychisch erkrankten und geistig behinderten Menschen
PresseinformationKiel, den 10.12.2020Es gilt das gesprochene WortChristian DirschauerTOP 3+4 Entwurf eines Maßregelvollzugsgesetzes, Gesetz zur Hilfe und Unterbringung von Menschen mit Hilfebedarf infolge psychischer Störungen Drs. 19/1757, 19/2598, 19/1901, 19/2599„Es darf nicht um die Begrenzung von Kosten sondern muss um diebestmögliche Versorgung psychisch kranker Menschen gehen.“Der SSW steht beiden Gesetzentwürfen, die heute zur Beratung stehen, grundsätzlich positivgegenüber. Trotzdem muss gesagt sein, dass wir es hier mit einem ziemlichen Hau-Ruck-Verfahrenzu tun haben. Für die mündliche Anhörung zu beiden Vorlagen blieb uns zum Beispiel nur einhalber Tag Zeit. Und auch die Zusammenlegung beider Punkte für die heutige Debatte ist ausmeiner Sicht nicht wirklich glücklich. Denn jedes Gesetz regelt für sich äußerst sensible Bereiche.Und es ist schon ein gravierender Unterschied, ob ich rechtskräftig verurteilter Straftäter bin, oderob ich aufgrund der Schwere meiner Erkrankung in der Psychiatrie untergebracht werden muss. 2Doch wie gesagt: Auch wenn man sich mehr Zeit hätte nehmen können, sehen wir beide Gesetzepositiv. Fakt ist, dass sowohl das Maßregelvollzugsgesetz wie auch das Gesetz zur Hilfe undUnterbringung von Menschen mit Hilfebedarf infolge psychischer Störungen neu gefasst werdenmüssen. Und natürlich fordert die Rechtsprechung mitunter auch eine relativ zügige Novellierung.Aus diesem Grund, und vor allem weil ich von den Betroffenen selbst keine gravierendenEinwände gehört habe, können wir diese Regelungen mittragen. Dabei ist und bleibt aber wichtig,dass die praktischen Auswirkungen regelmäßig kritisch überprüft werden.Diese Überprüfung ist für uns vor allem deshalb so wichtig, weil hier auch Regelungen zur„Zwangsbehandlung“ von Patientinnen und Patienten getroffen werden. Und allein der Begriff istnun mal aus gutem Grund für die allermeisten Menschen negativ besetzt. Man denkt direkt an diezwangsweise Verabreichung von Medikamenten oder an Fixierung und damit an Freiheitsentzug.Für sich genommen sind solche Maßnahmen ohne Frage schwerwiegende Eingriffe in dieGrundrechte eines Menschen. Man kann durchaus der Auffassung sein, dass so etwas durch garnichts zu rechtfertigen ist. Und ich habe deshalb grundsätzlich Verständnis für die Forderung,jegliche Form der Zwangsbehandlung abzuschaffen.Leider sieht der Alltag in der Psychiatrie aber häufig anders aus. Immer wieder gibt es Fälle, indenen Menschen vorübergehend oder sogar dauerhaft nicht mehr in der Lage sind, selbst zuentscheiden, welche Maßnahmen und welche Form der Behandlung für sie gut und richtig ist. Wirvom SSW wünschen uns sehr, dass diese Fälle weniger werden und eines Tages vielleicht gar nichtmehr vorkommen. Doch wenn ich mit dem Personal in den entsprechenden Einrichtungen rede,stelle ich leider fest, dass diese Fälle sogar eher zu- als abnehmen. Deshalb brauchen wir hier klaregesetzliche Regelungen, die dafür sorgen, dass derartige Maßnahmen mit Augenmaß, überprüfbarund insgesamt möglichst selten angewandt werden.Es ist gut und richtig, dass sich im Umgang mit psychisch erkrankten und geistig behindertenMenschen viel bewegt. Das Bundesverfassungsgericht hat zum Beispiel die Möglichkeit von 3Behandlungen gegen den Willen der Patienten stark begrenzt. Außerdem hat es diePatientenautonomie gestärkt und den Weg dafür geebnet, dass forensische Patientinnen undPatienten an ihrer Behandlung mitwirken. Und auch wenn es immer wieder hakt, haben wir mitder Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention das Ziel, die Rechte von geistig und seelischbehinderten Menschen zu stärken. Das macht es sicher nicht immer leichter, in der Gesetzgebungein Gleichgewicht zu finden. Aber wir begrüßen diese Stärkung der Rechte der Betroffenenausdrücklich. Und uns freut die Tatsache, dass der Blickwinkel forensischer wie psychiatrischerPatientinnen und Patienten nun auch hierzulande stärker berücksichtigt wird.Vor dem Hintergrund eher trockener Gerichtsurteile und Gesetzestexte müssen wir uns einsimmer wieder bewusst machen: Beide Gesetze haben erhebliche Auswirkungen auf den Alltagpsychisch kranker Menschen. Ihre Resozialisierung beziehungsweise ihre Rückkehr in ihr sozialesUmfeld, ihre Wohnung oder ihre Arbeit muss immer handlungsleitend sein. Für uns folgt daraus,dass es nicht um die Begrenzung oder gar Senkung von Kosten, sondern um die bestmöglicheVersorgung dieser Menschen gehen muss. Ihre Zukunft hängt maßgeblich von der Qualität ihrerBehandlung ab. Das sage ich auch und gerade mit Blick auf die personelle Ausstattung in denEinrichtungen.Eine hohe Qualität der Versorgung ist auch für die Angehörigen immens wichtig. Diese Gruppewird leider trotz ihrer Größe oft übersehen und ist häufig sehr direkt von Erfolgen oderRückschlägen in der Behandlung betroffen. Diese Gruppe sollten wir stärker mitdenken undschauen, wie wir ihre Vorschläge, wie etwa einen niedrigschwelligen Krisendienst und einewohnortnahe Unterbringung für schwer psychisch kranke Menschen unterstützen können.Hinweis: Diese Rede kann hier ab dem folgenden Tag als Video abgerufen werden:http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathek/