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27.11.20
13:49 Uhr
SSW

Jette Waldinger-Thiering: Schwangerschaftsabbruch ist kein Verbrechen

Presseinformation
Kiel, den 27. 11. 2020



Es gilt das gesprochene Wort



Jette Waldinger-Thiering
TOP 03 Frauen nicht allein lassen - Versorgungsangebot für einen
sicheren Schwangerschaftsabbruch in Schleswig-Holstein
sicherstellen
Drs. 19/2544


„Der §218 kriminalisiert Frauen und darum muss er weg. Das wäre der
entscheidende Schritt, damit Frauen nicht das Gefühl haben, dass sie auf ihrem
schweren Weg allein gelassen werden.“

Bevor ich auf die Details des Antrags eingehe, möchte ich ganz grundsätzlich noch einmal
feststellen: Schwangerschaftsabbruch ist kein Verbrechen. Darum gehört er auch nicht ins
Strafgesetz. Der §218 kriminalisiert Frauen und darum muss er weg. Das wäre der entscheidende
Schritt, damit Frauen nicht das Gefühl haben, dass sie auf ihrem schweren Weg allein gelassen
werden.


Ich hatte mir nicht vorstellen können, dass ich überhaupt noch einmal über diese Grundsätze
sprechen müsste. Doch ausgerechnet ein Flensburger Krankenhaus zwingt mich dazu. Dort will ein 2

Träger seinen stationären Auftrag nicht weiter erfüllen. Frauen aus der Region wären in Zukunft
gezwungen, nach Schleswig zu fahren oder nach Heide. Dieser Schwangerschaftstourismus,
dachte ich, wäre für alle Zeiten Geschichte. Nicht zuletzt die Beratung im Petitionsausschuss hat
mich eines Besseren belehrt. Darum gilt mein ausdrücklicher Dank an die antragstellende Fraktion,
das Thema der wohnortnahen Sicherung des Angebotes auf die Tagesordnung dieser ganz
besonderen Sitzung gesetzt zu haben. Das ist das richtige Signal an die Frauen, die sich in den
letzten Monaten sehr engagiert haben.


Allerdings zeigt der Antrag, wie wenige Instrumente wir tatsächlich zur Verfügung haben, um das
wohnortnahe Angebot wirksam und zukunftsfest sichern zu können. Der Hinweis auf den
entsprechenden Versorgungsauftrag im Schwangerschaftskonfliktgesetz führt ja leider nicht dazu,
dass entsprechenden Strukturen auch wirklich vorgehalten werden. Ohne konkrete
Sanktionsmöglichkeiten läuft die entsprechende Formulierung nämlich ins Nichts. Die
Krankenhäuser bzw. deren Träger haben keine Konsequenzen zu fürchten, wenn sie dem
Versorgungsauftrag nicht nachkommen.
Der Versorgungsauftrag ist auch nicht mit einer Finanzierungszusage unterfüttert. Weigert sich
also ein Krankenhaus, einen Schwangerschaftsabbruch anzubieten, was in Flensburg gerade
passiert, gibt es keine Finanzierungsmöglichkeiten für alternative Anbieter. In Flensburg scheint
sich eine entsprechende Lösung abzuzeichnen, wonach die Kommunen, also Flensburg und die
umliegenden Landkreise ein stationäres Angebot anbieten wollen, aber der Finanzierung dürften
sie wohl hinterherlaufen. Die Krankenhausplanung muss das berücksichtigen und neue Angebote
mit entsprechenden Mitteln unterfüttern.


Ich räume ein, dass das alles nur ein Herumdoktern ist, um mal zu einem naheliegenden Wortspiel
zu greifen. Die Gesundheitspolitik ist an dieser Stelle einfach noch von vorgestern. Die Frauen in
der Konfliktsituation baden dieses Defizit aus. Das empfinde ich als besonders hart, weil wir ihnen
wenig belastbare Entscheidungen anbieten können. Vor diesem Hintergrund rückt die
Facharztausbildung in den Fokus. Die Bundesregierung wollte diese eigentlich im Zusammenhang 3

mit der Neuregelung des vermaledeiten Paragraphen 219a neu regeln. Doch bislang gibt wohl nur
ein inoffizielles Eckpunktepapier zur Änderung der Approbationsordnung, wonach Aufklärung und
Beratung der Frauen im Studium intensiviert werden sollen.


Die Bundesärztekammer hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die praktischen
Grundlagen zur Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs in der Regel erst in der
Facharztausbildung vermittelt werden. Darum müssen wir schleunigst dafür Sorge tragen, dass sie
ein verpflichtender Bestandteil wird. Ohne eine entsprechende Ausbildung wird es nämlich keine
Schwangerschaftsabbrüche mehr geben; was den Versorgungsauftrag noch einmal von einer ganz
anderen Seite aushöhlt. Der schönste Versorgungsauftrag ist nämlich nichts wert, wenn es keine
Ärztinnen und Ärzte mehr gibt, die fachlich überhaupt in der Lage sind, einen Abbruch
durchzuführen. Genau diese Entwicklung befürchte ich. Der medikamentöse Abbruch ist zwar als
Methode auf den Vormarsch; in Schleswig-Holstein wird aber überwiegend die Kurettage
angewendet. Diese Methode muss erlernt werden. Darum ist die Weiterbildungsordnung von
zentraler Bedeutung.


Aber auch mit einer entsprechenden Verankerung in der Weiterbildungsordnung bleibt das
Problem der Schmutzkampagnen von so genannten Lebensrettern. Aus Angst davor bieten immer
weniger Ärztinnen und Ärzte Schwangerschaftsabbrüche an. Darum läuft übrigens auch die Liste
mit den Adressen ins Leere. Viele Praxen trauen sich einfach nicht, ihre Adresse preiszugeben.
ProFamilia gibt - wie früher auch - die Adresse vertraulich weiter. Das ist der traurige Stand 2020!


Ich hätte mir angesichts dieser Situation gewünscht, dass die SPD nicht vorgeprescht wäre. Ein von
allen Fraktionen getragener Antrag wäre das stärkere Signal gewesen. Nichtsdestotrotz muss eine
sichere, fachlich begleitete und wohnortnahe Versorgung unser gemeinsames Ziel bleiben.


Hinweis: Diese Rede kann hier ab dem folgenden Tag als Video abgerufen werden:
http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathek/