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24.09.20
11:00 Uhr
B 90/Grüne

Eka von Kalben zu 30 Jahren deutsche Einheit

Presseinformation

Landtagsfraktion Es gilt das gesprochene Wort! Schleswig-Holstein TOP 34 – 30 Jahre deutsche Einheit: Erinnern, Bewahren und Pressesprecherin Blick nach vorne richten Claudia Jacob Landeshaus Dazu sagt die Vorsitzende Düsternbrooker Weg 70 der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, 24105 Kiel
Zentrale: 0431 / 988 – 1500 Eka von Kalben: Durchwahl: 0431 / 988 - 1503 Mobil: 0172 / 541 83 53
presse@gruene.ltsh.de www.sh-gruene-fraktion.de
Nr. 311.20 / 24.09.2020


Wir sind ein Land mit einer gemeinsamen Geschichte - mit zwei parallelen Unterkapiteln
Sehr geehrte Damen und Herren,
„Einheit vollzogen, Einheit hergestellt, Einheit erreicht“ – das war das Fazit des Beauf- tragten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer (Marco Wanderwitz) in seinem Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit, der letzte Woche veröffentlicht wurde.
Einheit erreicht? Sicher – für ganz viele Bereiche: Insbesondere für die Infrastruktur, für Krankenhäuser, für Energienetze und Straßen. Soweit, so gut. Weniger euphorisch stimmt mich aber, dass es nach 30 Jahren noch nicht vollständig gelungen ist, die Einheit auch in den Köpfen zu vollziehen.
Ja, die Mauer ist gefallen, die innerdeutsche Grenze abgeschafft. Und trotzdem fühlt sich mit 57 Prozent noch über die Hälfte der Ostdeutschen als Bürger*innen zweiter Klasse. Trotzdem sind Ostdeutsche selbst in Ostdeutschland auf Führungspositionen extrem un- terrepräsentiert – vom Westen ganz zu schweigen.
Ich wurde wenige Jahre nach dem Mauerbau in Westdeutschland geboren. Als Tochter von Eltern, die nach dem zweiten Weltkrieg von ihrer Heimat in Sachsen-Anhalt nur träumten, aber nicht dort leben konnten. So hat mich der Wunsch nach Wiedervereini- gung von klein auf geprägt.
Als es dann 1990 endlich soweit war, habe ich trotzdem mit gemischten Gefühlen auf die Wiedervereinigung geschaut. Natürlich war das Ereignis ein Grund zur Freude. Und das Ende der Diktatur bedeutete auch das Ende vielen Unrechts. Aber durch unsere Freunde in der DDR kannte ich auch viele Menschen, die sich das Ende ihrer Revolution anders Seite 1 von 2 gewünscht hätten: Keine reine Eingliederung in die Bundesrepublik. Die Würdigung ihres Lebenswerkes bei gleichzeitiger Aufarbeitung des geschehenen Unrechts in der DDR.
Während die Menschen in Westdeutschland größtenteils einfach weiterleben konnten wie bisher, war die Wende für viele Menschen aus der ehemaligen DDR mit gravierenden Umbrüchen in ihrem Leben verbunden. Noch heute prägt uns ein nicht wirkliches Ver- hältnis auf Augenhöhe. Die Bundesländer im Osten werden vor allem wahrgenommen, wenn es ein Problem gibt: Mit der Demokratie, mit der Aufnahme von Geflüchteten, mit Rechtsextremismus.
Ja, es ist ein Problem, dass die Demokratiezufriedenheit in Ostdeutschland bei nur 22 Prozent liegt. Aber, ganz ehrlich: 40 Prozent in Westdeutschland sind auch nichts, worauf man sich ausruhen kann. Und weder Hanau noch Kassel liegen im Osten.
Statt überheblich Richtung Osten zu schauen, sollten wir uns lieber darauf konzentrieren, wo wir noch hinterherhinken: Zum Beispiel, wenn es um das Kinderbetreuungsangebot betrifft oder die Chancengleichheit der Geschlechter.
In den westdeutschen Bundesländern liegt der durchschnittliche Stundenlohn von Frauen unfassbare 21 Prozent unter dem von Männern. Im Osten sieben Prozent. Einer der Gründe dafür ist die höhere Quote bei der Ganztagsbetreuung: Im Osten werden mehr als 41 Prozent der Kinder unter drei Jahren ganztägig betreut, der Westen kommt nur auf 14,3 Prozent. Hier können wir noch was lernen.
Kann man nun dem positiven Fazit des Bundesbeauftragten folgen? Einheit vollzogen?
Naja, meine Kinder fragen mich heute, ob ich im Osten oder im Westen aufgewachsen bin. Sie bewerben sich zur Ausbildung in Ost und West. Ihre Entscheidung hat nichts mehr mit dem geteilten Deutschland zu tun. Die Unterschiede zwischen Ost und West sind heute im Grunde nicht größer als die zwischen Nord und Süd. Und vor allem nicht als die zwischen Stadt und Land. Die meisten Menschen bei uns im Land fühlen sich mit dem benachbarten Mecklenburg-Vorpommern sicherlich mehr verbunden als mit Bayern.
Wir sind ein Land mit einer gemeinsamen Geschichte – mit zwei parallelen Unterkapiteln. Dies in der Bildung auch den Jüngeren nahezubringen, muss unsere Aufgabe bleiben. Alles in allem sind wir eine geeinte föderale Republik. Und unsere Einheit geht einher mit Vielfalt. Und darüber bin ich froh.
Vielen Dank.
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