Antidiskriminierungsstelle: Entscheidung des BGH über die Rechte bei „lediglich empfundener“ Intersexualität ist ein Rückschritt für die Geschlechtervielfalt
Nr. 19 / 27. Mai 2020Antidiskriminierungsstelle: Entscheidung des BGH über die Rechte bei „lediglich empfundener“ Intersexualität ist ein Rückschritt für die GeschlechtervielfaltEine Änderung des Geschlechtseintrags nach §§ 22 und 45b des Personenstandsgesetzes (PStG) soll nach Auffassung des Bundesgerichtshofs (BGH) nur für inter*geschlechtliche Menschen möglich sein. Dies stellt ein jetzt veröffentlichter Beschluss des Gerichts vom 22. April 2020 (Az.: XII ZB 383/19) klar. In der Entscheidung heißt es, dass nur Personen, „die körperlich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuzuordnen sind“ eine Änderung des Geschlechtseintrages nach dem PStG vornehmen dürfen. „Ich empfinde den Beschluss als Rückschritt für die Geschlechtervielfalt und Geschlechtergerechtigkeit“, sagte Samiah El Samadoni, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Landes Schleswig- Holstein, dazu heute (Mittwoch) in Kiel.Seit einer Änderung des PStG im Jahr 2018 ist bei der Geschlechtsregistrierung neben den Angaben „männlich“ oder „weiblich“ unter bestimmten Voraussetzungen auch der Eintrag „divers“ sowie die Angabe „kein Eintrag“ möglich. Nach § 45b PStG können Menschen mit einer „Variante der Geschlechtsentwicklung“ ihren Geschlechtseintrag entsprechend ändern lassen. Umstritten war bisher allerdings, ob sich auch nicht-binäre oder Trans* Menschen auf § 45b PStG berufen können. Der Beschluss des BGH stellt nun klar, dass sich der Anwendungsbereich der §§ 22 und 45b PStG nicht auf Menschen mit einer „lediglich empfundenen“ Intersexualität bezieht. „Schon die Bezeichnung ‚empfundene Intersexualität‘ hat diskriminierenden Charakter, denn das Geschlecht ist Teil der Identität und damit mehr als ein bloßes Gefühl“, hob El Samadoni hervor. Der Beschluss des BGH zeige auf, wie schwierig es sei, das System der Zweigeschlechtlichkeit zu überwinden. „Auch gesellschaftlich herrscht nach wie vor die Überzeugung, dass lediglich biologische Merkmale das Geschlecht eines Menschen ausmachen“, so El Samadoni.Der BGH begründete seine Entscheidung unter anderem damit, der Gesetzgeber habe „beliebige Personenstandswechsel“ vermeiden wollen. Personen mit „lediglich empfundener“ Intersexualität sei es möglich und zumutbar, für eine Änderung ihres Personenstandes das – erheblich kompliziertere – Verfahren nach dem Transsexuellengesetz (TSG) zu durchlaufen. „Nach den 2Vorgaben des TSG sind ein langwieriges, kostenpflichtiges Verfahren vor einem Gericht und ausführliche Begutachtungen durch zwei Sachverständige erforderlich“, erklärte El Samadoni. Ein solches Verfahren sei schlicht entwürdigend und werde den Menschen nicht gerecht.„Die Tatsache, dass auch Trans*Menschen versuchen, ihren Geschlechtseintrag über das PStG zu ändern, zeigt doch, dass hier ein eindeutiger Reformbedarf im Personenstandsrecht besteht“, sagte die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle weiter. Sie sehe daher jetzt vor allem den Gesetzgeber in der Pflicht. „Die Änderung des PStG im Jahr 2018 ist allenfalls eine Notlösung, die den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum ‚Dritten Geschlecht‘ kaum gerecht wird“, so El Samadoni. Erforderlich sei aber eine diskriminierungsfreie und praktikable Regelung, die eine selbstbestimmte Anerkennung des eigenen Geschlechts und damit das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines jeden Menschen sicherstelle.