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07.05.20
15:32 Uhr
SSW

Lars Harms: Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen

Presseinformation
Kiel, den 07.05.2020



Es gilt das gesprochene Wort



Lars Harms
TOP 2 u.a. Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung eines
2. Nachtrages zum Haushaltsplan für das Haushaltsjahr 2020
u.a. Drucksache 19/2112, Umdruck 19/3896, 19/3896


„Hartz-IV-Empfänger haben oft keine Möglichkeit zum Nebenverdienst mehr
und trotzdem höhere Kosten. Hier sollte vom Bund Hilfe bereitgestellt
werden. Das ist zumindest unser Ziel.“

Die Corona-Pandemie wird uns noch lange begleiten und wirtschaftlich wie gesellschaftlich
nachhallen – da machen wir uns alle keine Illusionen. Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt Geld
in die Hand nehmen, um drohende Härten zumindest abzufedern und noch dramatischeren
Folgekosten vorzubeugen. Die Summen aus dem regulären Haushalt sowie den
Nachtragshaushalten 1 und 2 sind gewaltig, aber notwendig. Der SSW unterstützt daher auch
diesen zweiten Nachtragshaushalt insgesamt. 2

Lassen Sie mich dazu nun auf einige Punkte eingehen, die uns besonders wichtig sind:


Gleich vorneweg: Wir müssen stets die gesamten Landesfinanzen im Blick behalten und
verantwortungsvoll planen, prüfen und entscheiden, wie diese krisenbedingten zusätzlichen
Gelder effektiv und effizient eingesetzt werden sollen. Fakt ist: Die insgesamt eine Milliarde Euro
der beiden Nachtragshaushalte ist ja größtenteils im Geiste bereits ausgegeben. Bisher sind 766
Millionen Euro verplant. Dazu kommen die grob geschätzten 125 Millionen Euro
coronabedingten Kosten beim UKSH. Hinzu kommen mit dem nun kurzfristig eingereichten
fraktionsübergreifenden Änderungsantrag weitere rund 65 Millionen Euro. Übrig bleiben derzeit
noch rund 40 Millionen Euro frei verfügbare Masse. Da ist also nicht mehr viel übrig.
Dies sind gewaltige Summen. Allerdings müssen all diese Gelder ja auch erst einmal
erwirtschaftet und dann abbezahlt werden. Die Schuldenbremse gilt nach wie vor und steht als
solche für den SSW auch nicht zur Debatte. Wir wollen und müssen die in einer Notsituation
erlaubten finanziellen Spielräume jetzt nutzen, um den Menschen in unserem Land zu helfen.
Aber es ist auch klar, dass eben nicht unbegrenzt Geld zur Verfügung steht. Bei den Milliarden-
Notfallprogrammen handelt es sich schließlich nicht um Wohltaten der jeweiligen Regierungen
auf Bundes- wie Landesebene, sondern um sehr hart erarbeitete Steuergelder. Dies müssen wir
uns ständig vor Augen halten.


Zum Stichwort UKSH: Durch die Krise und die dadurch entstehenden Einnahmeausfälle wird das
UKSH als Maximalversorger viel Geld benötigen. Im Finanzausschuss wurde der Bedarf auf ca.
125 Millionen Euro geschätzt, womöglich mehr. Zu einer ehrlichen Einschätzung gehört hier
meines Erachtens nach jedoch auch die schmerzliche Erkenntnis, dass wir einen Großteil dieser
Summe wohl nicht als Kredite vergeben werden, sondern vielmehr als notwendige, aber quasi
„verlorene Zuschüsse“ abbuchen werden müssen. Denn Kredite würden sich direkt auf die Bilanz
auswirken und damit nicht nur das Geschäftsergebnis negativ beeinflussen, sondern wieder
neue Sparzwänge auslösen. Das brauchen weder die Patienten noch die Beschäftigten. Dass das
Land einspringen wird, ist also keine Frage – wir müssen uns eben darauf einstellen. 3

Bleiben wir im medizinischen Bereich: Der SSW unterstützt den Pflegebonus. Unsere
Kernforderungen hierzu lauten: Keine Kostenbeteiligung der Träger und Ausbezahlung der Boni
sowohl an die stationären als auch an die ambulanten Pflegekräfte. Sie alle haben sich diese
Sonderzahlung verdient. Allerdings sage ich an dieser Stelle auch: Dies darf nicht das Ende der
Diskussion um allgemein fairere Rahmenbedingungen in dieser Branche sein. Uns allen wird
aktuell ganz klar vor Augen geführt, dass diese Berufsgruppen systemrelevant sind. Mit einer
solchen Einmalzahlung kann diese Debatte daher nicht einfach vom Tisch gewischt werden. Seit
Jahren drängen wir vom SSW auf angemessene Löhne und faire Arbeitsbedingungen für all jene,
die trotz niedrigen Gehalts und wenig Anerkennung den Laden im Dauereinsatz am Laufen
halten. Jetzt stehen diese Berufsgruppen im Fokus und wir werden ein ganz aufmerksames Auge
darauf haben, dass es hier nun keine weiteren Ausreden mehr gibt.
Des Weiteren muss nach unserer Auffassung insbesondere das medizinische Fachpersonal
Anspruch darauf haben, deutlich häufiger bzw. in regelmäßigen Intervallen auf das Coronavirus
getestet zu werden. Und eine Herausforderung bleibt auch die konkrete Verteilung der
Geldmittel und Güter für die medizinische Versorgung, sprich Mundschutz, Desinfektionsmittel,
geeignete Kittel usw. Selbstverständlich müssen vor allem die Bestände der Krankenhäuser und
Klinken fortlaufend aufgestockt werden, aber ich möchte gern darauf hinweisen, dass auch die
niedergelassenen Therapiepraxen, wie beispielsweise Ergotherapeuten, weiterhin unter einem
Mangel an entsprechender Ausrüstung leiden und daher bei der Verteilung mitberücksichtigt
werden sollten.


„Berücksichtigung und Umsicht“ sind gute Stichworte, um nun auch einmal Lob auszusprechen:
So freut es uns, dass die Minderheitenorganisationen weiterhin mitbedacht werden. Auch die
Aufstockungen für Frauenhäuser und die entsprechenden Beratungsstellen heißen wir explizit
gut und notwendig. Explizit begrüßen möchte ich zudem die angedachten Finanzhilfen in Höhe
von insgesamt 200.000 Euro für die privaten Radiosender – insbesondere auch für die kleineren
Lokalsender. Es ist und bleibt für unsere Gesellschaft und für den demokratischen Diskurs
äußerst wichtig, dieses urdemokratische Gemeinschaftsmedium „Radio“ in der Krise zu
unterstützen, so wie das Radio uns unterstützt, unterhält und informiert. 4



Unterstützung und Lob kann ich an dieser Stelle auch den Kollegen von der SPD aussprechen,
deren Sammelanträge die Jamaika-Koalition und uns erfolgreich zu dem nun
fraktionsübergreifenden zusätzlichen Corona-Hilfspaket „inspiriert“ haben. Insbesondere die
Aufstockungen im Bereich „digitales Lernen“, die Befreiung von KiTa-Gebühren für Eltern für
einen weiteren auf nun drei Monate sowie die eingeplanten Unterstützungen für
Jugendherbergen finden seitens des SSW großen Zuspruch. Und gerade in diesen Zeiten zeigt
sich, dass bedürftige Schülerinnen und Schüler, deren Eltern eben nicht die finanziellen Mittel
für eine gute Bildung ihrer Kinder haben, verstärkte Aufmerksamkeit und Unterstützung
erfahren müssen, um an Bildungsprogrammen partizipieren zu können. Dazu zählt heutzutage
die Ausstattung mit einem geeigneten digitalen Endgerät, das man sich zu Hause eben nicht mit
mehreren Geschwistern oder den im Homeoffice arbeitenden Eltern teilen muss. Natürlich ist
der derzeitige Schulbetrieb nur eine vorläufige Notlösung, aber die Digitalisierung der Schulen
kann und muss gerade jetzt vorangetrieben werden.


Wenn wir uns nun also das Gesamtbild anschauen, dann ist uns doch allen klar, dass nicht jedes
Unternehmen und jede Einzelperson zu 100 Prozent unterstützt werden kann. Daher halten wir
uns auch mit allzu großen Zusatzvorschlägen zurück und bringen nur einen weiteren Antrag in
die Diskussion ein. Statt umfangreicher Pakete wollen wir vom SSW gern den Fokus auf einen
spezifischen Kreis an Betroffenen und Bedürftigen richten, der keine allzu starke Lobby hat.
Hierzu zählen die Obdachlosen sowie Menschen mit ganz geringen finanziellen Ressourcen –
hier auch und insbesondere Familien sowie ältere Mitbürgerinnen und -mitbürger. Uns ist
wichtig, dass diese Menschen bei all den sinnvollen und notwendigen Hilfsprogrammen nicht
vergessen werden, sondern die Unterstützung bekommen, die sie dringend nötig haben.
Obdachlose brauchen ein Dach über dem Kopf und sanitäre Einrichtungen – gerade in
Coronazeiten. Und Hartz-IV-Empfänger haben oft keine Möglichkeit zum Nebenverdienst mehr
und trotzdem höhere Kosten. Hier sollte vom Bund Hilfe bereitgestellt werden. Das ist
zumindest unser Ziel. 5

Insgesamt haben wir nun in kürzester Zeit gewaltige Summen mobilisiert und umfangreiche
Hilfs- und Förderprogramme aufgestellt. Allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an diesen
Hauruck-Aktionen, insbesondere bei der Investitionsbank und in den Ministerien, gilt unser
allerherzlichster Dank. Gleichzeitig bleiben die Appelle an die Ehrlichkeit aktuell:
Subventionsbetrug bei den Corona-Nothilfeprogrammen ist kein Kavaliersdelikt. Nur wenn
wirklich sämtliche Rücklagen aufgebraucht sind und man keinerlei andere
Finanzierungsmöglichkeiten findet, dann steht man in der ersten Reihe der Bedürftigen und
dann ist eine Antragstellung gerechtfertigt.


Zum Schluss bleibt uns noch der allgemeine Ausblick: Den faktischen Lockdown und die
Bereitstellung immer weiterer Hilfsgelder können wir nicht über Monate hinweg durchziehen,
das ist uns allen klar. Deshalb ist es wichtig, die vorsichtige Wiederöffnung des
gesellschaftlichen wie wirtschaftlichen Lebens vorzubereiten und rechtzeitig zu kommunizieren,
damit sich die Menschen darauf einstellen können. Denkbar wären hier aus unserer Sicht
konkrete Phasenmodelle, wie wir sie inzwischen ja auch aus anderen Ländern kennen. Die
letzten Beschlüsse und Verlautbarungen gingen ja in die richtige Richtung – insbesondere auch
in Hinblick auf die Gastronomie und den Tourismus. Je früher die Menschen wieder Geld
verdienen können und ihrer Arbeit nachgehen, desto besser. Die Menschen in Schleswig-
Holstein haben in den letzten Wochen vorbildlich mitgearbeitet, daher sind schrittweise
Lockerungen nun verdient, gerechtfertigt und notwendig.


Hinweis: Diese Rede kann hier ab dem folgenden Tag als Video abgerufen werden: http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathek/