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17.04.20
16:02 Uhr
B 90/Grüne

Eka von Kalben zur Regierungserklärung zu den Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie

Presseinformation

Landtagsfraktion Schleswig-Holstein Pressesprecherin Claudia Jacob Es gilt das gesprochene Wort! Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 TOP 1 – Regierungserklärung 24105 Kiel
Zentrale: 0431 / 988 – 1500 Dazu sagt die Vorsitzende der Durchwahl: 0431 / 988 - 1503 Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Mobil: 0172 / 541 83 53
presse@gruene.ltsh.de Eka von Kalben: www.sh-gruene-fraktion.de
Nr. 115.20 / 17.04.2020


Coronafrühling ist kein Sommermärchen

Herr Präsident, meine Damen und Herren,
zum zweiten Mal tagen wir in einer veränderten Form hier im Parlament. Wir halten Ab- stand und wir halten zusammen. Die Menschen in Schleswig-Holstein halten sich an die Regeln und wissen, dass wir nur gemeinsam durch diese Zeit kommen.
Ich danke dem Ministerpräsidenten, seiner Regierung und den Mitarbeiter*innen in der Verwaltung, die dafür sorgen, dass das Land durch diese schwierige Zeit gesteuert wird und den Bürger*innen, die dafür sorgen, dass der Laden läuft.
Es ist unsere Aufgabe, mit dafür zu sorgen, dass dieser Dank nicht eine Luftbuchung bleibt, sondern sich die Arbeitsbedingungen derer, die jetzt so wichtig sind, in den Blick- punkt genommen werden: in der Pflege, im Handel, im Reinigungsbereich, als Sicher- heitskraft usw.. Viele Menschen engagieren sich und helfen Nachbar*innen, machen sich gegenseitig Mut.
Und gleichzeitig ist diese Situation für so viele Menschen sehr belastend. Coronafrühling ist kein Sommermärchen. Menschen haben Angst: Angst krank zu werden; Angst ihre wirtschaftliche Existenz zu verlieren; Angst schulisch oder in der Ausbildung den Anschluss zu verpassen; Angst mit der verordneten Einsamkeit nicht klarzukommen.
Und deshalb kann auch dieser wunderschöne Frühling nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir in einer bedrückenden Situation leben.

Seite 1 von 5 Wohl dem, der jetzt ein Stück Grün besitzt. Wie schwer ist es für alle die, die in Wohnun- gen leben, insbesondere mit kleinen oder auch größeren Kindern, die einfach mal wieder ihre Freund*innen treffen wollen.
Deshalb haben auch wir sehr intensiv über eine mögliche Lockerung der Beschränkun- gen für Kinder gesprochen: Die geschlossenen Kitas, die geschlossenen Spielplätze.
Wir haben uns deshalb für eine Ausweitung der Notbetreuung in Kitas und Grundschulen ausgesprochen. Nicht nur für die Eltern, die in sogenannten systemrelevanten Berufen arbeiten, sondern auch für Alleinerziehende, die sich die Betreuung ja nicht mit einem Partner oder einer Partnerin teilen können.
In den nächsten Wochen werden wir auch darüber reden müssen, ob wir noch mehr Möglichkeiten für Kinder schaffen können. Dabei kann es aber immer nur um die Betreu- ung in festen Gruppen gehen. So wie es ja jetzt schon in der Kindertagespflege mit fünf Kindern passiert.
Die Forderung zur Öffnung der Spielplätze, liebe SPD, ist auf den ersten Blick also sehr attraktiv. Aber nur wenn man das hohe und unkontrollierte Ansteckungsrisiko außer Acht lässt.
Und wenn wir uns darin einig sind, dass es immer noch darum geht, besser als manche andere Länder durch diese Krise zu kommen. Und wenn wir die Vorbereitungszeit, die wir haben, nutzen wollen, dann können wir heute, schweren Herzens, nicht über eine so enorme Lockerung wie öffentlich zugängliche Spielplätze reden. Ich habe mich davon überzeugen lassen.
Und die Bilder, die ich gestern im Auslandsjournal aus Spanien gesehen habe, haben mich in diesem Punkt bestärkt… Bilder von vereinsamten Menschen, die vier Wochen lang in der Wohnung sind, sich nicht von ihren sterbenden Angehörigen verabschieden konnten, die nicht wissen wie es weitergeht.
Bilder von Pflegenden, die am Ende ihrer eigenen Kräfte sind, und erleben, wie ihre ei- genen Kolleg*innen auf der Intensivstation liegen und sterben. Bilder von einer Schlitt- schuhhalle in Barcelona, die als Leichenhalle dient, weil würdevolle Bestattungen nicht stattfinden können.
Diese Szenarien müssen wir verhindern. Da will ich nicht hin.
Und deshalb sind alle Lockerungen nur schrittweise möglich. Und gerade Lockerungen für Kinder, die so zwingend nötig sind, bringen eben besondere Risiken, weil sie Distanz – glücklicherweise — nicht kennen.
Und tatsächlich merke ich immer wieder an diesem Beispiel, was eigentlich das Leben mit Corona für uns bedeutet. Nicht nur für die Kleinen, auch für uns heißt es ja für lange Zeit: Abstand wahren. Entweder, bis genügend Menschen den Virus hatten, wir also „durchseucht“ sind – ein schrecklicher Begriff - oder der heiß ersehnte Impfstoff bereit steht. Erst dann können wir durchatmen, vermutlich mit der permanenten Sorge vor dem nächs- ten Virus.
Deshalb müssen neben der Bewältigung der offensichtlichen Themen: - Stärkung der Pflege und zwar nicht nur einmalig, sondern auf Dauer;
2 - Stärkung des Gesundheitssystems insgesamt; - Wiederankurbelung der Weltwirtschaft; - Ausbau digitaler Strukturen in allen Bereichen.
Deshalb müssen wir neben diesen Themen auch die weitergehenden in den Blick neh- men:
- Wie gehen wir mit dem Thema „Abstand halten“ um? Bedeutet körperliche Distanzie- rung irgendwie auch menschliche Distanzierung und was macht das dann mit unserer Gesellschaft?
- Wie gehen wir mit anderen Herausforderungen um, die ja nicht wegen Corona Halt machen? Werden wir es schaffen die Wirtschaft so anzukurbeln, dass wir auch unsere ökologischen Lebensgrundlagen retten?
- Wie entwickelt sich die europäische und internationale Solidarität, wenn Reisen und Handelsströme eingeschränkt werden oder zum Stillstand kommen?
Es gibt keine Blaupause für diese Krise. Und doch gibt es mittlerweile zahlreiche mögliche Strategien mit vielen Indikatoren, die wir allabendlich vom Robert Koch Institut in den Nachrichten oder im NDR-Podcast von Prof. Drosten erfahren können.
In der Wissenschaft werden Fragen gestellt, auf die es nicht immer einheitliche Antworten gibt:
- Sollen wir die Ansteckungskurve flach halten, oder lieber viele Kinder und junge Er- wachsene anstecken lassen?
- Hilft ein Gesichtsschutz, und bitte niemals denselben als Atemmaske bezeichnen oder schadet es womöglich wenn wir uns dadurch mehr im Gesicht anfassen?
- Ab wann ist man nicht mehr ansteckend und wie sicher sind die Tests, wer soll wann prioritär getestet werden?
Viele Fragen, viele Antworten und die Erkenntnisse ändern sich auch je mehr wir über Corona lernen. Klar ist auf jeden Fall, es ist gut, dass die Politik sich so intensiv von Expertinnen und Experten beraten lässt. Im Land wie im Bund. Und dass dabei auch nicht nur Virolog*in- nen zu Wort kommen, sondern auch Menschen, die andere Perspektiven einfließen las- sen.
Denn natürlich wäre es fatal, wenn wir die Menschen vor einem Tod durch Corona schüt- zen und gleichzeitig mehr Menschen an Folgen der Schutzmaßnahmen sterben. Feh- lende medizinische Behandlungen, Armut und Hunger auf Grund der Krise, Depressio- nen bis hin zum Suizid durch Isolation.
Und auch wenn die Wissenschaftler*innen uns keinen verlässlichen Fahrplan geben kön- nen, wie sollten sie auch, so bin ich doch froh, dass wir so viele kluge und engagierte Menschen in der Wissenschaft haben, die der Politik jetzt zur Seite stehen.
Auch das ist ein Aspekt, den wir in den kommenden Jahren nicht vergessen dürfen, wenn es um die Förderung der Wissenschaft geht.

3 Der Ministerpräsident hat heute unseren Fahrplan vorgestellt, der meines Erachtens ge- nau das tut, was heute nötig ist:
- Er folgt in den Lockerungen der Einschätzung von Wissenschaftler*innen und sieht schrittweise Lockerungen vor, die dann jeweils evaluiert werden.
- Der Plan gibt vage Perspektiven für weitere Öffnungen: Bildung, Freizeiteinrichtungen, Restaurants und Tourismus, und danach eventuell kleinere Veranstaltungen.
- Der Plan richtet sich danach, die Grundrechtseinschnitte so gering wie möglich zu hal- ten, auch wenn wir alle wissen, dass sie schon jetzt enorm sind.
- Der Plan richtet sich danach aus, den verschiedensten Menschen in diesem Land wie- der zu ermöglichen zu wirtschaften, zu lernen, ihre Freiheit zu genießen.
- Und der Plan versucht, so gut es geht, bundesweit in der Linie zu bleiben. Dass das nötig und gleichzeitig schwierig ist, haben wir ja erlebt: Bei der Entscheidung, Tourismus in Schleswig-Holstein einzuschränken, bei der Diskussion um Abschlussprüfungen; bei den unterschiedlichen Wirtschaftshilfen usw..
Und natürlich wünschen sich die Menschen und zum Teil auch die Opposition andere Maßnahmen, längerfristige Pläne, einen Zukunftsplan mindestens bis in den Herbst. Aber, meine Damen und Herren, diesen kann zumindest hier auf Erden niemand geben, und wer es verspricht verbreitet Fake News oder überschätzt sich.
Meine Damen und Herren, ich möchte mit einigen Beobachtungen enden, die mir immer wieder Mut machen. Die mir zeigen, dass auch in einer schlimmen Krise Chancen liegen, wenn wir etwas daraus machen.
Erstens: Politik in Deutschland ist handlungsfähig und ein großer Teil der Bevölkerung empfindet unsere Demokratie als stabil. Das sollte uns Ansporn und Verpflichtung zu- gleich sein. Es braucht keine autoritären Systeme, um eine Krise zu bewältigen. Selbst der Föderalismus, der zurzeit besonders unter Beschuss steht, hat nicht verhindert, dass man sich auf gemeinsame Fahrpläne mit individuellen Einzelheiten geeinigt hat.
Der zweite Punkt ist die Beobachtung, welche Chancen die Natur hat, wenn die Wirtschaft runtergefahren wird. Wie die Menschen auf einmal feststellen, dass Verzicht auf Alltags- gegenstände wie Hefe und Klopapier mehr Witze als Verzweiflung auslöst. Dass ein Spa- ziergang im Himmelmoor spannender sein kann, als das jährliche Mallorca-Ressort.
Drittens: Und wie die Kreativität in diesem Land durch Mangel angespornt wird. Insbe- sondere in unserer Wirtschaft, die auf die Produktion von Gesundheitsprodukten umge- stellt hat, die Lieferservice anbietet und digital ihre Angebote ausbreitet.
Wenn wir es schaffen, diese Kreativität so zu nutzen, dass wir nachhaltiger wirtschaften und konsumieren. Dann könnte die Coronakrise auch zur Bewältigung der Klimakrise helfen.
Viertens: Menschen digitalisieren sich in unfassbarer Geschwindigkeit. In meinem politi- schen Alltag, wo sich auf einmal Menschen an Diskussionen beteiligen, denen sonst die Teilnahme an Veranstaltungen nicht möglich war.

4 In der Schule, wo alle von einem Tag auf den anderen ins kalte Wasser springen muss- ten. Mit den großen Schwierigkeiten gerade für die Kinder, die weder eine gute Ausstat- tung zuhause haben, noch die Unterstützung von ihren Eltern bekommen können. Etwas, was mir wirklich Sorgen macht, wenn ich an die Chancen dieser Kinder denke.
Ein großes Lob an alle Lehrer*innen und Schüler*innen, die trotz der schwierigen Lage alles geben. Und ein Dank an das Ministerium, die in kürzester Zeit das gesamte Schul- wesen verändern und den jeweiligen Corona-Einschränkungen anpassen müssen.
Und das möglichst in Abstimmung mit den anderen Ländern, die wiederum ihre Meinung auch immer mal wieder ändern, wie man an der Debatte um die Abschlussprüfungen sieht. Danke an Sie, Frau Prien, und ihr Team.
Aber gerade bei der digitalisierten Euphorie dürfen wir Risiken und Nebenwirkungen nicht aus dem Blick lassen. Und auch, wenn ich über manche Kolleg*innen aus den anderen Fraktionen, die die digitale Demokratie so vehement ablehnen, schon etwas enttäuscht bin, so weiß ich doch, dass Digitalisierung unser physisches Zusammenkommen, wie heute, nicht komplett ersetzen darf.
Neben der Stärkung der Demokratie, der Erholung der Natur, der Ausbildung von Kreati- vität und dem Vormarsch der Digitalisierung, möchte ich abschließend den Punkt anspre- chen, der mir am meisten Hoffnung für die Zukunft macht: Die Solidarität der Menschen, die Nachbarschaftshilfe, der Einsatz vieler, die sich unter eigener Gefahr um erkrankte Menschen kümmern.
Wir haben so viele Held*innen, so viele Menschen, die einfach mal an andere denken, dass ich keine Sorge habe, dass wir auch diese Herausforderung in Schleswig-Holstein bestehen werden.
Bleiben Sie und Ihre Lieben gesund. Ich danke Ihnen.
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