Solidarität mit Flüchtlingen in der Coronakrise
Nr. 8 / 19. März 2020Solidarität mit Flüchtlingen in der CoronakriseDer schleswig-holsteinische Flüchtlingsbeauftragte mahnt, Schutzsuchende in der EU nicht im Stich zu lassen.Der Beauftragte des Landes Schleswig-Holstein für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen, Stefan Schmidt, betrachtet das Einreiseverbot für Drittstaatenangehörige und die Aussetzung der humanitären Flüchtlingsaufnahme mit großer Besorgnis. Die in jüngerer Zeit in Aussicht gestellte Aufnahme von 1.000 bis 1.500 Kindern aus griechischen Flüchtlingslagern war ein zaghafter, aber wichtiger Schritt in die richtige Richtung, Schleswig-Holsteins fortgesetzte humanitäre Aufnahmebereitschaft ein herausragendes Merkmal der Flüchtlingspolitik im Land.Angesichts der Ausbreitung des Coronavirus ist eine Evakuierung überfüllter Flüchtlingslager, vor allem aber eine Entscheidung, Kinder und Jugendliche nicht schutzlos den kommenden Ereignissen auszuliefern, unerlässlich. Sofern es dessen noch bedurfte, mag der jüngste Brand im Flüchtlingscamp Moria auf Lesbos, bei dem ein sechsjähriges Kind starb, der Anschauung dienen, wie schutzlos Menschen dort leben. In überfüllten Flüchtlingslagern werden Geflüchtete dem Virus ohne eine Möglichkeit zur Wahrung individueller Distanz und mit einer schon bisher nicht ausreichenden medizinischen Versorgung ausgeliefert sein.Viele haben in den vergangenen Jahren die Europäische Union in unterschiedlichen Formulierungen gemahnt, dass sie über ihren Umgang mit Flüchtenden nicht Schaden nähme an ihrer Seele. Die jüngsten Gewaltanwendungen gegen Flüchtlinge und Push-Backs an der griechischen Grenze, aber auch die zeitweise Aussetzung der Annahme von Asylanträgen in Griechenland waren ein drastisches Beispiel für die Verrohung des Umgangs mit Schutzsuchenden in der EU. Nun besteht die realistische Gefahr, dass die europäische Flüchtlingspolitik in der weltweiten Ausbreitung des Virus Sars-CoV-2 ihr Finale Furioso erreicht. Eine Weiterführung der europäischen Abschottung in der aktuellen Notsituation – ein Unwille, über nationale, europäische und gesellschaftliche Grenzen hinauszudenken und -zuhandeln – wird dazu führen, dass sich an den Schwächsten Dinge ereignen, die sich nicht mehr umkehren lassen. 2Sofern sich die Folgen der europäischen Flüchtlingspolitik jemals als Hintergrundrauschen abtun ließen, muss dies nun enden.Die in diesen Tagen oft beschworene Solidarität dient nicht allein dem Erhalt des Gemeinwesens – auch wenn dessen Wert unbestreitbar ist. Sie ist kein Gesellschaftsvertrag. Solidarität geht aus einer Schuld oder Verbindlichkeit gegenüber unseren Mitmenschen hervor. Es verhält sich solidarisch, wer anerkennt, dass Menschen als Beziehungswesen nur in Rücksichtnahme aufeinander gut leben können. Das schließt die Schwächsten ein.Wir müssen uns heute fragen, wie wir nach Sars-CoV-2 weiterleben wollen. Solidarität ist ein Wert, den wir über die Coronakrise retten müssen.