Lasse Petersdotter zum Verbot der Vollverschleierung an der CAU
Presseinformation Landtagsfraktion Es gilt das gesprochene Wort! Schleswig-Holstein TOP 6 – Änderung des Gesetzes über die Hochschulen Pressesprecherin und das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Claudia Jacob Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Dazu sagt der hochschulpolitische Sprecher der Zentrale: 0431 / 988 – 1500 Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Durchwahl: 0431 / 988 - 1503 Mobil: 0172 / 541 83 53 Lasse Petersdotter: presse@gruene.ltsh.de www.sh-gruene-fraktion.de Nr. 096.19 / 06.03.2019Ob etwas „passt“ ist ein reichlich ungenauer Ansatz für ein Schleier-Verbot Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren,über 350 Jahre Universitätsgeschichte, Stand heute mehr als 27.000 Studierende und eine Studentin mit Gesichtsschleicher. Das ist der Ausgangspunkt der heutigen Diskus- sion.Unmittelbar nach dem Bekanntwerden des Schleierverbots durch das Präsidium der CAU kündigte die Bildungsministerin bereits Gesetzesänderungen an. Kurz darauf tut dies auch der Ministerpräsident und wiederholt dies auch heute mit dem Argument, ein Gesichtsschleier passe nicht in hiesige Bildungsinstitutionen. Ich muss sagen, ob etwas „passt“ ist ein reichlich ungenauer Ansatz für ein so kompliziertes Verbot.Ich muss auch sagen, dass ich mir eine Generaldebatte dieser Kraft über einen Einzel- fall auch in anderen Bereichen wünschen würde. Die FDP will derweil den Gesichts- schleier als Symbol der Unterdrückung der Frau verbieten. Man wolle Grenzen setzen. Die CDU will Gesichtsschleier sogar pauschal überall dort verbieten, wo es möglich ist. Es sind politische Maxime wie diese, die uns daran erinnern müssen, dass Grundrechte in erster Linie Abwehrrechte gegen den Staat sind. Die SPD stellt für sich fest: „Kopf- tuch ja, Nikab nein“. Ich möchte feststellen, dass das Kopftuch hier zu keinem Moment Teil der Diskussion war und auch nicht mit dieser Debatte vermengt werden sollte! Fer- ner betont der Kollege Habersaat: „Religionsfreiheit findet dort ihre Grenze, wo offene Kommunikation beeinträchtigt wird.“ Ernsthaft? Eine bloße Beeinträchtigung solle Grundrechtseingriffe legitimieren? So weit geht nicht einmal das Verbot in Bayern.Zur Erinnerung: Der einzige Grund für das Verbot an der CAU ist die Mimik und Gestik. Oder etwa nicht? An Hochschulen gibt es in der Regel keine mündlichen Noten. Es gibt Vorlesungen mit über 300 Studierenden, bei denen keiner weiß, wer da eigentlich im Seite 1 von 3 Hörsaal sitzt und Gestik und Mimik sind spätestens ab der vierten Reihe kaum noch wahrnehmbar. Es gibt Studierende mit Gesichtslähmungen und Lehrende mit Sehbe- einträchtigung, die hervorragend lernen und lehren. Es gibt online-Kurse, gänzlich ohne Videofunktion. Und da die Bedeutung von Gestik und Mimik in der Regel regional kultu- rell geprägt sind, dürfen wir auch nicht vergessen, dass wir stark internationalisierte Hochschulen im Land haben. Wir müssen uns bei diesem Argument doch grundsätzlich fragen: Welche Relevanz hat ein Stirnrunzeln in der achten Reihe? Wie sollen Gestik und Mimik an einer Hochschule gelesen werden? Gibt es dafür standardisierte Verfah- ren und noch viel wichtiger: Wer kann das überhaupt?Ich gehe deswegen so intensiv auf diesen Punkt ein, weil er der Kernpunkt für die De- batte um ein Schleierverbot sein müsste. Denn es gibt kein Grundrecht auf unbeein- trächtigte Kommunikation, ebenso kein Schutzrecht vor Unbehagen. Eigentlich müsste an diesem Punkt die Rede enden, aber wie die eingangs beschriebenen Positionen ge- zeigt haben, verläuft die Debatte mittlerweile ganz anders.Mir ist wichtig zu betonen, dass unsere Kritik an der Entscheidung der CAU keine Ver- teidigung des Gesichtsschleiers ist! Häufig werde ich gefragt, ob nicht gerade ich der Auffassung sein müsste, dass es für den Gesichtsschleier keine religiöse Begründung im Koran gibt. Es ist aber nicht meine Aufgabe als Politiker, theologische Entscheidun- gen zu treffen und festzulegen, welche religiösen Traditionen, Riten und Symbole ge- rechtfertigt sind.Eines steht aber fest: Der Gesichtsschleier kann ein Symbol patriarchaler Machtansprü- che sein, das wir ablehnen. Er soll Frauen unsichtbar machen und widerspricht so ei- nem Hauptziel der feministischen Bewegung. Aber welche Wirkung hat hier wohl ein Zutrittsverbot zu staatlichen Bildungseinrichtungen? Macht das die Frauen sichtbarer? Ist das ein Fortschritt in der Gleichberechtigungsarbeit?Im Wesentlichen gibt es in der Diskussion um Gleichberechtigung in diesem Thema zwei Stränge: Die Frauen, die den Gesichtsschleier freiwillig tragen und die Frauen, die den Gesichtsschleier unfreiwillig tragen. Bei der Kieler Studentin können wir davon aus- gehen, dass sie sich freiwillig für den Schleier entschieden hat. Das muss man nicht gut finden, aber es wäre kein feministischer Akt ihr gesetzlich zu befehlen, was sie nicht tragen darf. Oder um es anders zu formulieren: Gibt es irgendeine andere Handlung, die die Freiheit einer anderen Person zu keinem Moment einschränkt, aber trotzdem den Zutritt zu staatlichen Bildungseinrichtungen verbietet? Mir ist keine bekannt. Ist nicht gerade die Universität ein Ort, um solchen Ideologien zu entwachsen? Im Fall der Kieler Studentin wird das kaum noch möglich sein, denn durch die breite öffentliche und politische Debatte, ist eine gesichtswahrende Rückkehr zu einem demokratischen und aufgeklärten Weltbild nur mit sehr viel Belastung möglich.Der zweite Fall sind Frauen, die unfreiwillig einen Gesichtsschleier tragen. Für diese Fälle braucht es kein explizites Verbot, die gesetzlichen Grundlagen gegen diese Fälle gibt es bereits. Beispielsweise den Straftatbestand der Nötigung. Diese gesetzlichen Möglichkeiten wirken häufig nicht, das weiß ich, aber dann reagieren wir doch nicht mit Sanktionen, sondern mit Hilfsstrukturen! Auch eine Studentin, die mit blauem Auge zur Universität kommt, erhält Hilfsangebote und keinen Platzverweis! Oder lassen Sie es mich noch plastischer machen: Ein Schleierverbot reißt die Frau aus einem Umfeld, wo demokratisch diskutiert wird. Wo sie mit Demokrat*innen lernt und Demokrat*innen als Vorbild und Autorität erlebt. Wo sie Hilfsstrukturen vorfindet. Und es zwingt die Frau in das Haus ihres Unterdrückers. So funktioniert Hilfe nicht! 2 Gerne können wir darüber sprechen, die Hilfestrukturen in Frauenhäusern und Aus- stiegsberatungen von PROvention deutlich zu stärken! So würden wir auf Probleme re- agieren, statt sie uns nur fern zu halten!Denn ein Verbot würde die Unterdrückte bestrafen, nicht ihren Unterdrücker. Der eben- so salafistische Ehemann einer in den Schleier gezwungenen Frau könnte derweil gänzlich ohne Probleme weiter studieren. So würden Abhängigkeiten verschärft und Emanzipation erschwert werden! Man würde tatsächlich als Reaktion auf Unterdrü- ckung den Bildungsweg untersagen. Wo ist da der Gewinn für die Rechte der Frau?Verbieten, wegdrücken, ausgrenzen und wegsehen löst keine Probleme! Unsere Stra- tegie gegen Salafismus muss sinnvoller sein als einfache Kleiderverbote! In einem kön- nen wir uns sicher sein: Ein Zutrittsverbot zu staatlichen Bildungseinrichtungen hat kei- ne deradikalisierende Wirkung! Es stärkt die salafistische Erzählung und stützt die sau- dische Kulturpolitik. Denn genau darauf wartet die salafistische Szene: Sie provoziert genau diese sprunghaften Handlungen und überschlagenden öffentlichen Debatten. Es hilft ihnen aus einer pubertären radikalislamischen Phase eine handfeste Ideologie zu machen. Und diese Diskussion bestätigt, dass die Nikab die größtmögliche Rebellion und Provokation ist und ein Verbot geht voll auf diese Provokation ein!Eine individuelle und für alle tragbare Lösung, wie an anderen Hochschulen, hätte hier den Wind aus den Segeln genommen, denn: Ein Schleierverbot löst kein einziges Prob- lem! Ein Gesichtsschleier macht ein Studium nicht prinzipiell unmöglich! Auch wenn der Anblick einer Nikab Unbehagen auslösen mag, rechtfertigt das kein Bildungsverbot! Nicht jede Trägerin eines Gesichtsschleiers wurde dazu gezwungen! Wer zum Tragen eines Gesichtsschleier gezwungen wird, braucht Hilfe, keine Bildungsverbote! Und kein Bildungsverbot hat eine deradikalisierende Wirkung!Wir brauchen einen besonnenen, souveränen und konsequenten Umgang mit der sa- lafistischen Szene in Schleswig-Holstein. Ein Einzelfall, anhand dessen nun eine Ge- setzesänderung erfolgen soll, die für alle Geltung erhält, ist kein solcher Umgang. *** 3