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06.03.19
16:55 Uhr
SPD

Dr. Heiner Dunckel zu TOP 6 und 29: Ein einzelner Mensch startet eine Provokation und die gesamte Öffentlichkeit springt über das Stöckchen

Es gilt das gesprochene Wort!


Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden:
http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathek

Kiel, 6. März 2019



TOP 6 + 29: Änderung des Gesetzes über die Hochschulen und Antrag zum Thema Gesichtsschleier (Drs. 19/1315)


Dr. Heiner Dunckel:


Ein einzelner Mensch startet eine Provokation und die gesamte Öffentlichkeit springt über das Stöckchen

„Eine (!) von ca. 62.000 Student*innen in SH trägt Niqab und Burka, verhüllt somit Körper und Gesicht und sofort kommt der Ruf nach drastischen Maßnahmen – die Veränderung des Hochschul- oder gar des Schulgesetzes für gut 370.000 Schüler*innen. Es handelt sich dabei um eine Deutsche, die zum Islam übergetreten ist. Das macht es etwas einfacher, das Thema zu erörtern, ohne gleich der Xenophobie bezichtigt zu werden, wiewohl das Thema kaum zu behandeln ist, ohne nicht an der einen oder anderen Klippe zu landen. In diesem Fall kann zumindest ich mich nicht des Eindrucks erwehren, dass wir es auch mit dem gezielten Hervorrufen eines Verhaltens und der Reaktion bei anderen Personen zu tun haben, was der Wortsinn von Provokation ist. Ein einzelner Mensch startet eine Provokation und die gesamte Öffentlichkeit springt über das Stöckchen. So neu ist diese Art der Provokation übrigens nicht, wenn Sie z.B. an die 18-jährige Schülerin einer Osnabrücker Abendschule vor drei Jahren denken. Ich kann deshalb uns nur dringend anregen, das Thema zurückhaltend und souverän anzugehen, wie es uns nicht nur unsere Bürgerbeauftragte, sondern auch eine Reihe von muslimischen Verbänden empfehlen. 2



Die Änderung des Hochschulgesetzes und hierbei das Verbot der Gesichtsverhüllung aufgrund des Verhaltens einer Person scheint mir dabei nicht die geforderte souveräne Entscheidung. Wie Sie wissen, war ich viele Jahre als Hochschullehrer an Universitäten nicht nur in Deutschland und Europa tätig. In dieser Zeit sind mir viele Menschen mit unterschiedlichstem Aussehen, Kleidungen, Kopftüchern usw. begegnet, Menschen, die im Gesicht weitgehend tätowiert waren oder mit ungewöhnlicher Haartracht. Und natürlich bin ich gerade in Asien auch vielen Menschen begegnet, für die es wichtig ist, durch entsprechende Kontrolle der Mimik und Gestik ihre Gefühle gerade nicht zu zeigen oder wie man sagt „ihr Gesicht nicht zu verlieren“. In mehr als 35 Jahren Lehrerfahrungen als Dozent und Hochschullehrer ist mir allerdings eine vollverschleierte Frau nicht begegnet und ich gebe zu, sie würde auch mich irritieren und befremden. Aber ich traue mir und meinen Kolleginnen und Kollegen an den Hochschulen zu, mit dieser Situation souverän und situativ angemessen umzugehen. In einer Vorlesung mit 300 oder mehr Studierenden ist es wahrscheinlich egal oder im Wortsinne gleich-gültig, in bestimmten Seminaren auch und selbst Prüfungssituationen kann ich mir – bei entsprechenden Vorkehrungen – mit einer verschleierten Frau vorstellen, auch wenn mir das vielleicht nicht wirklich gefällt. Genauso wenig geht aber eine Verschleierung, wenn die Studentin z.B. in einem Labor, an einem Krankenbett oder in der Schule tätig wird. Und natürlich spielt auch eine Rolle, ob und wie sich die anderen Kommiliton*innen zu diesem Verhalten äußern. Die Geschichte des Schleiers für Frauen geht weit über die Geschichte des Islam hinaus. Das ging schon vor gut 4.000 Jahren in Mesopotamien los, als von bestimmten Frauen erwartet wurde, einen Schleier zu tragen während es für andere verboten war. Und auch im Brief des Paulus an die Korinther findet man solche Sätze wie: „Jede Frau aber, die betet oder prophetisch redet und dabei ihr Haupt nicht verhüllt, entehrt ihr Haupt. Sie unterscheidet sich dann in keiner Weise von einer Geschorenen.“ Das klingt relativ eindeutig, aber es gibt wiederum eine theologische Diskussion darüber, ob Paulus das tatsächlich als Vorschrift formuliert hat oder ob er hier örtliche Bräuche referiert, um sich dann von ihnen abzugrenzen. Im Koran ist das etwas eindeutiger. Wenn ich es richtig sehe, verlangt die Mehrheit der Korangelehrten das Tragen einer Burka und zumindest viele auch das Tragen einer Niqab, aber eine beträchtliche Zahl insbesondere weiblicher Theolog* innen sieht das mit guten Gründen auch anders. Wir leben aber heute nicht in Mesopotamien, nicht in den griechischen Provinzen des Römischen Reiches und nicht im Arabien des 7. Jahrhunderts. Deutschland ist ein säkularer Staat und eine säkulare Gesellschaft, die ihre Regeln nicht nach den tatsächlichen oder imaginierten Vorschriften der einen oder anderen Religion aufstellen. Zu unseren Regeln gehört auch die Religionsfreiheit. Das schließt das Recht ein, sich zu einer Religion zu bekennen oder dies nicht zu tun. Es schließt nicht das Recht ein, seine Religion anderen aufzudrängen. Wir haben vor über zehn Jahren ausgiebig über das Recht diskutiert, aus religiösen Gründen ein Kopftuch zu tragen. In klarer 3



Unterscheidung zur Vollverschleierung dürfen Schülerinnen ein Kopftuch tragen, müssen es aber da abnehmen, wo es für den Unterricht eine Beeinträchtigung oder eine Gefährdung darstellen würde. Wenn also im Chemieunterricht mit brandgefährlichen Chemikalien hantiert werden muss, könnte ein in Brand geratenes Kopftuch eine konkrete Gefahr für die Schülerin darstellen. In der öffentlichen Diskussion stehen sich zwei Positionen gegenüber. Gehört das Recht auf eine Vollverschleierung in der Öffentlichkeit zur Religionsfreiheit und muss deshalb hingenommen werden, oder ist die Vollverschleierung ein Verstoß gegen gesellschaftliche Regeln in Deutschland und verstößt gegen das Prinzip, dass niemand seine religiösen Überzeugungen anderen aufdrängen darf – ganz abgesehen von praktischen Problemen wie der Identifizierbarkeit des Menschen, der einem gegenüber steht.
Natürlich gibt es auch weitere Aspekte. Die eine oder andere muslimische Frau mag das Recht auf Tragen des Niqab oder der Burka als Ausdruck ihrer religiösen Selbstverwirklichung begreifen. Aber viele andere muslimische Frauen wollen dies gerade nicht. Und für sie wird es schwieriger, dem Druck ihrer religiösen Gemeinschaften und häufig auch ihrer Familien standzuhalten, wenn die Vollverschleierung im Stadtbild immer selbstverständlicher wird. Das Vordringen der Verschleierung in der Öffentlichkeit kann nicht mit der Hinwendung Einzelner zu mehr Spiritualität erklärt werden. Es ist natürlich sichtbarer Ausdruck von politischen Veränderungen, wie sie insbesondere die Türkei in den letzten Jahren unter Führung von Recep Tayyip Erdoğan durchlaufen hat. Ich möchte an dieser Stelle eine deutsche Islamkritikerin zu Wort kommen lassen, die aus einer albanischen muslimischen Familie aus Nordmakedonien stammende Autorin Zana Ramadani. Sie schreibt in ihrem Buch „Die verschleierte Gefahr“: „Kopftuch und Vollverschleierung sind die Leichentücher der freien Gesellschaft.“ Sie macht geltend, dass es im Islam religiöse Kleidungsvorschriften nur für Mädchen und Frauen, nicht aber für Jungen und Männer gibt und sie fügt hinzu, dass die Vollverschleierung nicht nur Mädchen und Frauen, sondern auch Jungen und Männer diskriminiert.
Sie sagt ferner: „Kleider machen Leute. Mit ihrer Kleidung dokumentieren die Träger, welcher Gruppe sie sich zugehörig fühlen.“ Dies ist erst einmal so zu akzeptieren. Aber an dem aktuellen Fall stellt sich auch für Hochschulen die Fragen, welche Dresscodes wir tolerieren wollen und welche nicht. Dies wird übrigens wie bekannt in anderen Ländern sehr unterschiedlich beantwortet. Eine weit weniger profilierte Islamkritikerin, die ebenfalls der CDU angehört wie Zana Ramadani, sagte gegenüber der FAZ: „Aus meiner Sicht hat eine vollverschleierte Frau in Deutschland kaum eine Chance, sich zu integrieren.“ Sie schränkte dies allerdings ein mit der Bemerkung, „zur Religionsfreiheit gehöre auch seinen Glauben öffentlich zu leben“, und zog sich auf die Forderung zurück, „präzise Handlungsvorgaben für die Bereiche zu machen, in denen eine Vollverschleierung nicht geboten ist“. Bei diesem CDU-Mitglied handelt es sich übrigens um 4



Angela Merkel. Das Problem ist leicht beschrieben und schwer gelöst. Die von der AfD vorgeschlagene Änderung im Hochschulgesetz würde das Problem wohl eher verschärfen als beseitigen. Wir sind grundsätzlich der Ansicht, dass es Sache der Hochschule und ihrer Selbstverwaltungsorgane sein sollte, diese Fragen für ihren Zuständigkeitsbereich zu lösen. Unsere Antidiskriminierungs- Beauftragte vertritt einen anderen Standpunkt, und wir nehmen es immer sehr ernst, was uns Samiah el Samadoni sagt. Und auch die CAU selbst hat um politische Rückendeckung und rechtliche Absicherung gebeten, die wir ihr auch nicht verweigern sollten.
Wir sind deshalb der Auffassung, dass der Antrag der Koalitionsfraktionen den richtigen Weg weist, über die verschiedenen Aspekte, die mit der Vollverschleierung und ihrem Verbot zusammenhängen, im Bildungsausschuss im Rahmen einer Anhörung zu sprechen. Sicherlich werden wir in dieser Anhörung auch die gesetzlichen Regelungen anderer Bundesländer wie z.B. Bayern und Niedersachsen, aber auch die einschlägigen europäischen Regelungen zur Kenntnis nehmen müssen. Wir werden deshalb dem Koalitionsantrag zustimmen und den Gesetzesantrag der AfD in den Bildungsausschuss überweisen, wo er in die Anhörung einbezogen werden sollte. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.“