Ralf Stegner zu Top25: Kein Neuland: Die digitale Welt ist real
Es gilt das gesprochene Wort!Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden:http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathek Kiel, 6. März 2019TOP 25: Upload-Filter sind ein Risiko für die Meinungs- und Informationsfreiheit (Drs. 19/1311, 19/1329)Dr. Ralf Stegner:Kein Neuland: Die digitale Welt ist real„Die aktuelle Urheberrechtsrichtlinie der Europäischen Union stammt aus dem Jahr 2001. Das mag sich für einige wie gestern anfühlen, am Maßstab der digitalen Welt gemessen ist es kurz nach der Steinzeit. Facebook ging 2004 an den Start, Youtube ein Jahr später, das IPhone kam erst 2007. Eine ganze Generation von jungen Menschen ist seitdem groß geworden, für die all diese Dinge selbstverständlich sind. Ein Stück weit mag der Gegensatz die Debatte erklären, die wir in den vergangenen Wochen erlebt haben. Für die einen sind die geplanten Neuregelungen zum europäischen Urheberrecht Selbstverständlichkeiten, die Kulturschaffende vor drohender Anarchie im Internet schützen sollen – für die anderen ein Frontalangriff auf das freie Netz. Beides ist pauschal. Selbstverständlich müssen Kulturschaffende sich darauf verlassen können, dass ihre Ansprüche geschützt werden. Aber es ist mindestens genauso wichtig, das Internet als kreativen Raum zu schützen. Beides muss Politik in Einklang bringen.Upload-Filter sind bereits heute bei Netzwerken wie Youtube oder Facebook Realität – wohlgemerkt freiwillige Filter. Angesichts von 400 Stunden Videomaterial, die in jeder Minute bei Youtube hochgeladen werden, ist eine rein menschliche Kontrolle von Inhalten längst Utopie. Das gehört zur Ehrlichkeit in der Debatte dazu. Die jetzt vorgesehene Neuregelung nimmt die 2großen Anbieter und nicht den kleinen nicht-kommerziellen Blog in den Fokus. Das ist grundsätzlich richtig. Es ist nicht einzusehen, dass die großen Anbieter auf der einen Seite dank der Inhalte, die die Nutzer hochladen, riesige Gewinne machen, auf der anderen Seite aber jede Verantwortung für die Inhalte weit von sich weisen. Das passt nicht zusammen. Das Problem ist nur leider: Nutzer und Netzwerk sind schwer zu trennen. Reglementiert man den einen, trifft man schnell auch den anderen. Und auch der kleine Blog – vordergründig von den Regelungen nicht betroffen – braucht beinahe zwangsläufig die großen Anbieter, wenn er mit seinen Inhalten eine breite Öffentlichkeit erreichen will. Kurzum: Schießt man übers Ziel hinaus, drohen Kollateralschäden für das freie Internet, die sich niemand wünschen kann. Denn die aktuelle Diskussion zeigt auch anschaulich, wie weit wir noch davon entfernt sind, dass Computer uns wirklich das Denken abnehmen. Künstliche Intelligenz, die humorvoll genug wäre, eine gut gemachte Parodie von der knallharten Urheberrechtsverletzung zu unterscheiden, ist Zukunftsmusik und wird es vermutlich auch noch lange Zeit bleiben.Ginge es nur nach der SPD, wäre die deutsche Position in Sachen verpflichtende Upload-Filter klar: Man braucht sie nicht. Und wir wollen sie nicht. Das haben unsere Abgeordneten im zuständigen Ausschuss des Europaparlaments bereits gezeigt und deswegen gegen den Art. 13 gestimmt. Das Problem ist die Haltung der Union. Die Kanzlerin, der Wirtschaftsminister, die Staatsministerin für Kultur, sie alle lassen mehr oder weniger deutlich ihre Sympathie für die Filter erkennen, die im Netz schon liebevoll „Merkel-Filter“ heißen. Und es ist Justizministerin Katarina Barley zu verdanken, dass zumindest die Ausnahmen für kleine Plattformen ihren Weg in die Einigung gefunden haben. Der Ball liegt jetzt beim EU-Parlament, das der Einigung zustimmen muss. Auch da mache ich mir um die Position der SPD-Abgeordneten wenig Sorge – um die der anderen Parteien umso mehr. Die Meldungen der letzten Tage, wonach die EVP- Fraktion statt sich in der Sache zu bewegen lieber den Abstimmungszeitraum vorverlegen wollte, um den angekündigten Protestdemonstrationen zuvor zu kommen, sollen zwar vom Tisch sein, sie zeigen aber deutlich, bei wem das Problem liegt. Wir können dem Antrag der Koalition heute ohne jede Bauchschmerzen zustimmen. Aber ich wäre sehr überrascht, wenn das auch beim Europa- und den Bundestagsabgeordneten der Nord-CDU ähnlich unproblematisch läuft. Herr Ministerpräsident, ich freue mich auf die klare Ansage des CDU-Landesvorsitzenden an die eigenen Leute – das wird sicher spannend!Wir sollten nicht überrascht sein, wenn viele junge Menschen das Gefühl haben, die Politik entscheide bei solchen Fragen fernab von ihrer Lebensrealität. Wer sich das Video der Rede anschaut, in der Angela Merkel vor wenigen Tagen ihre Position in Sachen Upload-Filter verteidigt, stellt fest – abgesehen davon, dass ich in der Sache anderer Meinung bin als sie – wie konsequent die Kanzlerin zwischen der sogenannten realen Welt und der digitalen Welt 3unterscheidet. Liebe Kolleginnen und Kollegen: Ich hoffe wir alle sind uns einig, dass dieser Gegensatz ebenso unsinnig wie aus der Zeit gefallen ist. Es ist 2019. Die reale Welt ist digital, die digitale Welt ist real und Neuland ist das alles schon seit etlichen Jahren nicht mehr.Die alte europäische Richtlinie zum Urheberrecht ist von 2001. Wer in dem Jahr auf die Welt kam, darf in diesem Jahr das Europaparlament wählen. Hoffen wir, dass viele der jungen Menschen die Chance klug nutzen. Eine Bemerkung am Rande: Ginge es nach uns, dürften übrigens auch die wählen, die erst 2003 auf die Welt kamen. Wir finden nämlich, dass 16- Jährige auch bei Europawahlen mitentscheiden sollten – die Konservativen sind es, die das blockieren. Die Debatte über die Upload-Filter zeigt einmal mehr: Auch im Europäischen Parlament gibt es bedeutend mehr Unterschiede als nur die zwischen EU-Gegnern und Befürwortern. Es lohnt der Blick auf die vermeintlichen Details – ich bin gespannt auf die Abstimmung im April.“