Ralf Stegner zu TOP4: Wir müssen Teil der Lösung werden!
Es gilt das gesprochene Wort!Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden:http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathek Kiel, 6. März 2019TOP 4: Änderung der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein (Drs. 19/1273)Dr. Ralf StegnerWir müssen Teil der Lösung werden!„Der Klimawandel ist nicht mehr zu stoppen. Und auch wenn sogar in diesem Haus einige den Zusammenhang noch immer bestreiten: Das haben die Generationen vor uns versäumt und das haben auch wir versäumt – der Klimawandel ist menschengemacht. Uns bleibt nur noch mit den Folgen zu leben und den Klimawandel so weit es geht einzugrenzen. Und in der Politik sind Superlativen mit Vorsicht zu genießen, aber ich bin sicher: Das wird die größte Aufgabe sein, vor der wir alle, die wir heute Politik machen, stehen. Und ich bin jetzt lange genug dabei, um aus Überzeugung sagen zu können: Politik ist nie alternativlos. Aber manchmal ist die eine Alternative so dramatisch, dass nur der andere Weg verantwortbar ist. Die Alternative zum konsequenten Klimaschutz wäre eine Welt, die wir unseren Kindern und Enkeln nicht hinterlassen dürfen. Die ersten Ausläufer dieser Welt zeigen sich schon heute: Naturkatastrophen wie Stürme oder Dürren, Wetterextreme, allzu viele Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen. Noch ist das meistens weit weg, nicht viel mehr als eine Meldung in der Tagesschau. Aber das wird nicht so bleiben. Alles was wir heute sehen, ist nur ein Vorgeschmack auf die Welt, die uns droht. Und zu glauben, wir könnten in Schleswig-Holstein – im Land zwischen den Meeren - getrost die Deiche Meter um Meter höher bauen, während die Probleme des Rests der Welt an uns vorbeiziehen, ist bestenfalls naiv, schlimmstenfalls aber fatal. 2Klimaschutz ist nicht bequem. Es wird nicht reichen, am einen oder anderen kleinen Schräubchen zu drehen und doch im Großen und Ganzen weiterzumachen wie bisher. Nein, wir werden vieles ändern müssen und vor allem: Wir werden uns ändern müssen. Klimaschutz ist nicht immer populär. Das Windrad mag CO2 einsparen. Aber es ist eben auch eine Belastung, wirft Schatten, macht Geräusche. Und bei irgendjemandem in der Nachbarschaft wird es stehen müssen. Denn das Sankt-Florians-Prinzip taugt für keinen Politikbereich und erst recht nicht für den Klimaschutz. Klimaschutz geht nicht schnell. Deutschland ist eine Industrienation, Strukturen sind über Jahrzehnte gewachsen. Der eine, dramatische Strukturbruch kann und wird nicht die Lösung sein. Stattdessen braucht es viele aufeinander abgestimmte Schritte, über Jahre und Jahrzehnte – jeder davon wird eine neue politische Auseinandersetzung bringen.Das ist die Ausgangslage. Und vor diesem Hintergrund müssen wir uns entscheiden: Wollen wir die Hände in den Schoß legen oder den Kampf gegen den Klimawandel konsequent aufnehmen? Wenn wir uns für die zweite Variante entscheiden, ist schon jetzt klar, dass für unzählige landespolitische Entscheidungen in den kommenden Jahren Klimaschutz der Dreh- und Angelpunkt sein wird. Und es wird nur wenige Themen geben, bei denen wir ihn nicht zumindest mitdenken müssen. In einigen Bereichen ist das offensichtlich, in anderen zeichnet es sich bereits ab. Keine Frage: Es wäre reine Symbolpolitik, den Klimaschutz, wie wir es beantragt haben, in die Verfassung zu schreiben und sonst nichts zu tun. Denn natürlich retten wir dadurch nicht das Klima. Aber wenn wir uns auf den Weg machen wollen, Klimaschutz in Schleswig- Holstein über die kommenden Jahre diese zentrale Rolle zu geben, dann ist es eben auch konsequent und ehrlich, dieses Ziel in unsere Verfassung aufzunehmen. Und egal von wo wir kommen: Entweder ist der Klimaschutz für uns in der Landespolitik ohnehin bereits Selbstverständlichkeit, dann sollte man es festhalten und in die Verfassung schreiben. Oder aber es ist eben noch keine Selbstverständlichkeit, dann sollte man es erst recht in die Verfassung schreiben.Jetzt wird – durchaus zu Recht – von einigen hinterfragt, warum wir unsere Verfassung schon wieder anfassen wollen, nachdem wir sie erst 2014 grundlegend überarbeitet haben. Ich will für mich sprechen: Es wäre richtig gewesen, den Klimaschutz schon damals mit hinein zu nehmen und ich bin mir sicher, wäre der Vorschlag konkret formuliert worden, er hätte sehr gute Realisierungschancen gehabt. Das haben wir versäumt. Jetzt haben wir die Chance, dieses Versäumnis nachzuholen. Und im Übrigen damit in Deutschland eine Vorreiterrolle einzunehmen. Das wäre auch deshalb besonders erfreulich, weil wir unsere Vorreiter-rolle als Energiewendeland Nr. 1 bei der Windenergie bereits eingebüßt haben. 3Die Vorreiterrolle beim Klimaschutz täte dem ganzen Land gut. Denn die deutsche Debatte zum Klimaschutz ist oftmals reichlich schräg. Regelmäßig wird das Bild des deutschen Musterschülers gezeichnet. Ein Bild, das ziemlich falsch ist. Ja, wir wären das erste große Industrieland, das gleichzeitig aus der Atomenergie und der Kohleverstromung aussteigt. Dennoch ist das notwendig! Aber der Ist-Stand zeigt: Der Blick auf den CO2-Ausstoß pro Kopf ist ernüchternd, Deutschland erreicht weltweit den vierten Platz – ein trauriges Ergebnis und im Übrigen ein Wert, der deutlich über dem EU-Schnitt liegt. Ein Musterschüler sieht anders aus. Deswegen ist es übrigens auch so wichtig, dass wir auch auf Bundesebene jetzt ein Klimaschutzgesetz auf den Weg bringen, das nicht nur das Umweltressort, sondern auch alle anderen Ressorts, ob Bau, Verkehr oder Wirtschaft in die Verantwortung nimmt. Natürlich kann man an den Einzelnen appellieren: Esst weniger Fleisch, fahrt weniger Auto, verzichtet auf Flugreisen, bezieht Ökostrom – alles richtig, alles gute Empfehlungen. Aber am Ende wird das nie genug sein. Willy Brandt wusste, dass demokratisches Bewusstsein nur in einer Gesellschaft gedeiht, in der freie Selbstbestimmung und gesellschaftliche Verpflichtung in allen relevanten Bereichen gelten. Also auch für den Klimaschutz! Es braucht strukturelle Veränderungen und diese Entscheidungen kann nur die Politik treffen. Und sie muss es auch. Zwei Beispiele: Wir brauchen die konsequente Energiewende. Ohne Atomstrom, ohne Kohleverstromung und langfristig komplett ohne fossile Energien. Das geht, aber es geht nicht von heute auf morgen. Und zum anderen brauchen wir die Mobilitätswende. Niemandem ist geholfen, wenn wir die schlechten Angewohnheiten der Vergangenheit nehmen, diese eins zu eins auf Elektroantriebe umstellen und das als Lösung verkaufen. Gerade im Pendlerland Schleswig-Holstein brauchen wir den massiven Ausbau des ÖPNV mit intelligenten Konzepten raus bis aufs Dorf, das ist eine Mobilitätswende, die den Namen verdient.Klimaschutz ist auch eine soziale Frage. Gerade wir Sozialdemokraten wissen, dass der dringend notwendige ökologische Umbau unserer Industriegesellschaft, der klimapolitische Strukturwandel eine neue Synthese von Arbeit und Umwelt bringen muss, wie Björn Engholm das schon vor 30 Jahren gefordert hat. Dieser Strukturwandel muss sozialverträglich ausgestaltet werden, wenn wir dafür demokratische Mehrheiten sichern wollen. Wenn Klimaschutz gelingen soll, müssen die Lasten fair und vor allem sozial gerecht verteilt werden. Dass wir alle unseren Fleischkonsum drastisch reduzieren müssen, ist richtig – daraus abzuleiten, Fleisch zu einem Luxusprodukt für Reiche zu machen, wäre jedoch grundlegend falsch. Die Energiewende konsequent voranzutreiben ist notwendig, die Kosten dafür über die Stromrechnung oder die Benzinpreise einseitig bei den Verbrauchern abladen zu wollen, wäre ein fataler Irrweg. Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen – Klimaschutz klappt nur mit den Menschen, nicht gegen sie. Klimaschutz und Wohlstand sind keine Gegensätze. Ganz im Gegenteil: Klimaschutz ist die Voraussetzung dafür, unseren Wohlstand in der Zukunft zu 4erhalten. Das geht nicht national. Deswegen brauchen wir gerade nach dem Ausstieg von Donald Trump aus dem Pariser Klima-schutzabkommen multilaterale Lösungen.Vielleicht ist der Vorschlag von Emmanuel Macron für eine Europäische Klimabank weiterführend. Jedenfalls aber geht es bei den anstehenden Europawahlen auch um Wohlstand und Frieden, wenn wir den Nationalisten und Klimawandel-Leugnern von rechts nicht das Feld überlassen wollen.Ich wünsche mir, dass wir aufhören, Teil des Problems zu sein und anfangen, Teil der Lösung zu werden. Und ich hoffe, dass wir den Mut haben, eine solche Politik konsequent fortzuführen, auch über mehrere Legislaturperioden hinweg. Es muss Schluss damit sein, für den kurzfristigen politischen Erfolg ein Projekt wie die Energiewende im 5-Jahres-Takt auf den Prüfstand zu stellen. Und wir brauchen die mutigen Bekenntnisse zum Klimaschutz auch dann, wenn nicht mehr wöchentlich die Schülerinnen und Schüler am Freitag vor dem Landeshaus demonstrieren. Dieses Engagement für die Zukunft verdient unseren Respekt und ist zugleich der Druck, den unsere Gesellschaft braucht. Ich glaube, dass es bei all dem eine gute Rückbesinnung ist, den Klimaschutz in der Verfassung zu verankern.Wir sind die erste Generation, die die Folgen des Klimawandels schon deutlich spüren kann – aber wir sind vielleicht zugleich die letzte Generation, die einige der dramatischen Folgen noch verhindern kann. Wenn wir uns vor unseren Kindern und Enkeln nicht schämen wollen, gibt es keine Alternative zu ernsthaftem und konsequentem Klimaschutz. Es ist am Ende eine globale Gerechtigkeitsfrage, über die unsere Generation zu entscheiden hat. Es liegt an uns, wie kaputt die Erde ist, die wir hinterlassen. Bert Brecht hat das in der „Heiligen Johanna der Schlachthöfe“ so formuliert: “Sorgt doch, dass ihr, die Welt verlassend, nicht nur gut wart, sondern verlasst eine gute Welt.“ Konsequenter Klimaschutz ist eine Herausforderung, die uns unser Leben lang beschäftigen wird, viel Kraft kostet und sich auf fast alle Bereiche der Landespolitik auswirkt und auswirken muss. Eine logische Konsequenz daraus ist, den Klimaschutz in unsere Verfassung zu schreiben. Das beantragen wir heute und ich freue mich auf die Diskussion.“