Flemming Meyer: Mehr Experimentierfreude und weniger Appelle NEU
Presseinformation Kiel, den 23.01.2019Es gilt das gesprochene WortFlemming Meyer TOP 11 Fachkräfteinitiative des Landes Drs. 19/1075 „Schleswig-Holstein benötigt neue Strukturen in der Ausbildung, durch Teilzeitangebote oder berufsbegleitend; die schnelle und unbürokratische Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse und nicht zuletzt Angebote an Beschäftigte von Werksvertragsfirmen zur Qualifikation.“Fachkräftemangel äußerst sich nicht erst in freien Stellen, sondern schon in den Betriebenselbst, in Form von Überstunden oder durch Qualitätseinbußen. So hatte ich bei meinemletzten Besuch der Flensburger Werft ein Werkstück mit einer völlig verkorksten Schweißnahtin der Hand. So etwas muss man einmal gesehen haben: das war keine Naht, sondern einedicke Wulst. Die Qualitätskontrolle hatte das schlecht gemachte Stück moniert. Es musstekomplett herausgetrennt und ein neues Teil verschweißt werden. Das Stück war von einemBeschäftigten einer Werksvertragsfirma geschweißt worden. Die Firmen sind für bestimmteFertigungsabschnitte angeheuert und sollen die Stammbelegschaft unterstützen. Wenn aberdie entsprechende Ausbildung und Erfahrung der Leiharbeiter fehlt, dann muss nachgearbeitet 2werden und Termine geraten ins Rutschen. So mussten allein beim letzten Neubau sehr vieleMeter Schweißnaht noch einmal geschweißt werden.Hier zeigt sich: Fachkräftemangel lässt sich nicht allein mit Geld oder Beratung beheben.Der Wirtschaftsminister formuliert auf seiner Homepage das Handlungsfeld 4, alsoFachkräftebindung stärken. Ich zitiere: „Zukünftig wird es für die Unternehmen in einem nochstärkeren Maße darum gehen, qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen undan einen Betrieb zu binden.“ Wenn es aber Werksfirmen gibt, die zu Mindestlohn hoch-qualifizierte Arbeit versprechen und die Stammbelegschaften in der gesamten deutschenWerftindustrie schrumpft, kann von Bindung keine Rede sein. Im Gegenteil: die gutQualifizierten sehen sich bei steigender Arbeitsbelastung nach besseren Arbeitsbedingungenin anderen Betrieben um. Wen soll man da jetzt beraten? Die Betriebe, die ihre Beschäftigtenoffensichtlich gar nicht binden wollen oder die Beschäftigten, die die Konkurrenz durchBilligheimer jeder Tag ausbaden müssen?So viel Ehrlichkeit muss sein: die Politik kann die Wirtschaft ermutigen, ermahnen oder auchmal belohnen; die Aus- und Weiterbildung und die Wertschätzung der Fachkräfte muss ausden Betrieben selbst kommen. Viele Handwerksbetriebe bilden aus, bemühen sich um dieUnterstützung von Auszubildenden, wenn es in der Berufsschule hapert und stärken dieFacharbeiterquote. Viele große Industriebetriebe machen sich diese Mühe nicht.Es muss sich etwas an den Strukturen verändern. Das mussten auch Restaurants und Hotelserst lernen. Eine fachlich gute Ausbildung reicht heutzutage nicht aus: die zukünftigen Köcheoder Restaurantfachkräfte wollen auch gute Arbeitszeiten, ausreichende Entlohnung undinteressante Karrierechancen, sonst müssen Küchen eben tageweise schließen oder Hotelsviele Zimmer stilllegen. Einige Betriebe haben inzwischen die Zeichen der Zeit erkannt. Das ist 3wichtig für den gesamten Standort; ansonsten wandern die Gut-Qualifizierten ab; schließlichist Hamburg nahe.Was kann also die Politik tun? Sie muss handfeste Maßnahmen ergreifen; dieFachkräfteinitiative darf sich nicht nur auf Bestandsaufnahmen, Appelle und aufsStandortmarketing beschränken, wie das in den Handlungsfeldern 1, 2 und 5 derFachkräfteinitiative geschieht. Schleswig-Holstein benötigt neue Strukturen in der Ausbildung,durch Teilzeitangebote oder berufsbegleitend; die schnelle und unbürokratische Anerkennungausländischer Berufsabschlüsse und nicht zuletzt Angebote an Beschäftigte vonWerksvertragsfirmen zur Qualifikation. Arbeitszeitmodelle müssen flexibler werden, um auchBeschäftigten mit familiären Verpflichtungen Karieren zu eröffnen. Doch überall hier hapert es.Ich würde mir mehr Experimentierfreude wünschen und weniger Appelle.Hinweis: Diese Rede kann hier ab dem folgenden Tag als Video abgerufen werden:http://www.landtag.ltsh.de/aktuell/mediathek/index.html