Navigation und Service des Schleswig-Holsteinischen Landtags

Springe direkt zu:

Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.

Datenschutzerklärung

Pressefilter

Zurücksetzen
24.01.19
17:27 Uhr
SSW

Flemming Meyer: Mehr Experimentierfreude und weniger Appelle NEU

Presseinformation Kiel, den 23.01.2019

Es gilt das gesprochene Wort



Flemming Meyer TOP 11 Fachkräfteinitiative des Landes Drs. 19/1075

„Schleswig-Holstein benötigt neue Strukturen in der Ausbildung, durch Teilzeitangebote oder berufsbegleitend; die schnelle und unbürokratische Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse und nicht zuletzt Angebote an Beschäftigte von Werksvertragsfirmen zur Qualifikation.“

Fachkräftemangel äußerst sich nicht erst in freien Stellen, sondern schon in den Betrieben
selbst, in Form von Überstunden oder durch Qualitätseinbußen. So hatte ich bei meinem
letzten Besuch der Flensburger Werft ein Werkstück mit einer völlig verkorksten Schweißnaht
in der Hand. So etwas muss man einmal gesehen haben: das war keine Naht, sondern eine
dicke Wulst. Die Qualitätskontrolle hatte das schlecht gemachte Stück moniert. Es musste
komplett herausgetrennt und ein neues Teil verschweißt werden. Das Stück war von einem
Beschäftigten einer Werksvertragsfirma geschweißt worden. Die Firmen sind für bestimmte
Fertigungsabschnitte angeheuert und sollen die Stammbelegschaft unterstützen. Wenn aber
die entsprechende Ausbildung und Erfahrung der Leiharbeiter fehlt, dann muss nachgearbeitet 2
werden und Termine geraten ins Rutschen. So mussten allein beim letzten Neubau sehr viele
Meter Schweißnaht noch einmal geschweißt werden.



Hier zeigt sich: Fachkräftemangel lässt sich nicht allein mit Geld oder Beratung beheben.
Der Wirtschaftsminister formuliert auf seiner Homepage das Handlungsfeld 4, also
Fachkräftebindung stärken. Ich zitiere: „Zukünftig wird es für die Unternehmen in einem noch
stärkeren Maße darum gehen, qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen und
an einen Betrieb zu binden.“ Wenn es aber Werksfirmen gibt, die zu Mindestlohn hoch-
qualifizierte Arbeit versprechen und die Stammbelegschaften in der gesamten deutschen
Werftindustrie schrumpft, kann von Bindung keine Rede sein. Im Gegenteil: die gut
Qualifizierten sehen sich bei steigender Arbeitsbelastung nach besseren Arbeitsbedingungen
in anderen Betrieben um. Wen soll man da jetzt beraten? Die Betriebe, die ihre Beschäftigten
offensichtlich gar nicht binden wollen oder die Beschäftigten, die die Konkurrenz durch
Billigheimer jeder Tag ausbaden müssen?



So viel Ehrlichkeit muss sein: die Politik kann die Wirtschaft ermutigen, ermahnen oder auch
mal belohnen; die Aus- und Weiterbildung und die Wertschätzung der Fachkräfte muss aus
den Betrieben selbst kommen. Viele Handwerksbetriebe bilden aus, bemühen sich um die
Unterstützung von Auszubildenden, wenn es in der Berufsschule hapert und stärken die
Facharbeiterquote. Viele große Industriebetriebe machen sich diese Mühe nicht.



Es muss sich etwas an den Strukturen verändern. Das mussten auch Restaurants und Hotels
erst lernen. Eine fachlich gute Ausbildung reicht heutzutage nicht aus: die zukünftigen Köche
oder Restaurantfachkräfte wollen auch gute Arbeitszeiten, ausreichende Entlohnung und
interessante Karrierechancen, sonst müssen Küchen eben tageweise schließen oder Hotels
viele Zimmer stilllegen. Einige Betriebe haben inzwischen die Zeichen der Zeit erkannt. Das ist 3
wichtig für den gesamten Standort; ansonsten wandern die Gut-Qualifizierten ab; schließlich
ist Hamburg nahe.



Was kann also die Politik tun? Sie muss handfeste Maßnahmen ergreifen; die
Fachkräfteinitiative darf sich nicht nur auf Bestandsaufnahmen, Appelle und aufs
Standortmarketing beschränken, wie das in den Handlungsfeldern 1, 2 und 5 der
Fachkräfteinitiative geschieht. Schleswig-Holstein benötigt neue Strukturen in der Ausbildung,
durch Teilzeitangebote oder berufsbegleitend; die schnelle und unbürokratische Anerkennung
ausländischer Berufsabschlüsse und nicht zuletzt Angebote an Beschäftigte von
Werksvertragsfirmen zur Qualifikation. Arbeitszeitmodelle müssen flexibler werden, um auch
Beschäftigten mit familiären Verpflichtungen Karieren zu eröffnen. Doch überall hier hapert es.
Ich würde mir mehr Experimentierfreude wünschen und weniger Appelle.



Hinweis: Diese Rede kann hier ab dem folgenden Tag als Video abgerufen werden:
http://www.landtag.ltsh.de/aktuell/mediathek/index.html