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21.09.17
12:10 Uhr
SSW

Flemming Meyer: Wir brauchen keinen Fallschirm, sondern ein gutes, stabiles Gerüst

Presseinformation Kiel, den 21.9. 2017

Es gilt das gesprochene Wort



Flemming Meyer TOP 20 Gute Pflege braucht ausreichend Personal Drs. 19/148

„Wir brauchen keinen Fallschirm, sondern ein gutes, stabiles Gerüst“


Vorab eine Bemerkung: so lobenswert alle Initiativen zur Verbesserung der Arbeits- und
Versorgungssituation in der Pflege auch sind: wir müssen vorsichtig sein, dass wir diese Berufe
nicht schlecht reden. Neuntklässlerinnen und Neuntklässler müssen schon jetzt sehr starke
Nerven haben und äußerst motiviert sein, wenn sie sich nach den allgegenwärtigen Berichten
über Pflegenotstand, Überstunden und Stress überhaupt für ein Praktikum entscheiden.
Dabei kann eine Tätigkeit in der Pflege zutiefst befriedigend und eine spannende und
abwechslungsreiche Aufgabe sein.
Wir vergessen über die unzureichenden Finanzierungsrahmen allzu oft die Sonnenseiten der
Pflege. Das sei hiermit nachgeholt.
Tatsache ist, dass nach einer aktuellen Studie der Hans-Böckler-Stiftung in den Niederlanden
durchschnittlich eine Pflegekraft für sieben Patienten zuständig ist. Damit wird gute Pflege
möglich. 2
In Deutschland liegt dieses Verhältnis bei durchschnittlich 13 Patientinnen und Patienten je
Pflegekraft. Wir haben also einen enormen Nachholbedarf und das bei zunehmender
Arbeitsbelastung.
Die Patientinnen und Patienten werden nämlich immer schneller entlassen, was die Pflegearbeit
kontinuierlich verdichtet. Wer früher drei Wochen Zeit hatten zum Auskurieren, wird heute
schon nach fünf oder drei Tagen nach Hause geschickt.
Atempausen für die Pflegekräfte gibt es also so gut wie keine mehr. Gespräche mit den
Patientinnen und Patienten sind fast nicht mehr möglich; sogar die Hygiene leidet unter diesen
Engpässen. Diese Zusammenhänge sind wahrlich nicht neu. Sie sind gut dokumentiert.
Darum haben sich Krankenhäuser und Kassen auch für verbindliche Personalschlüssel für die
Intensivstationen für Neugeborene geeinigt.
Seit etwa neun Monaten sollen diese neuen Schlüssel gelten. Ich höre aber aus den
Krankenhäusern, dass die Vereinbarung gar nicht greift, weil sie durch die Hintertür über
Übergangsregelungen ausgehebelt wird. Leider erhöht sich bei fehlendem Personal die
Wahrscheinlichkeit für Todesfälle in der Neonatologie. Entsprechende Vorfälle in Bremen waren
ja erst der Auslöser für die Einigung gewesen. Gehetzte Schwester und Pfleger machen Fehler.
Die kleinen, anfälligen Patienten in den Brutkästen, die oftmals nur wenige hundert Gramm
wiegen, sind aber extrem empfindlich und geraten bei unzureichenden Pflegeschlüsseln in
Gefahr. Wenn der verbindliche Schlüssel nicht bald in allen Stationen umgesetzt wird, droht der
nächste Skandal.
Der Grund, warum sogar in hochsensiblen Bereichen kein verbindlicher Pflegeschlüssel vorliegt,
liegt natürlich an der Finanzierung.
In dem vorliegenden Antrag wird die Bundesebene bemüht. Das ist richtig. Von dort müssen
endlich verbindliche Vorgaben kommen und zwar klare Zahlen ohne Schlupflöcher!
Ich bin davon überzeugt, dass wie bei der Vereinbarung für die Neugeborenen Intensivpflege,
Kassen und Krankenhäuser verbindliche Schlüssel einfach nicht hinbekommen werden. 3
Sie sind einfach die falschen Verhandlungspartner. Ich befürchte, dass Kassen und
Spitzenverbände auch die nächste Frist nicht schaffen werden. Sie sollen ja bis Mitte nächsten
Jahren Untergrenzen für Pflegepersonal in so genannten patientensensiblen Bereichen wie
Intensivstationen oder Nachtdiensten festlegen.
Es wird so kommen, dass der Bundesgesundheitsminister die Rahmen festlegen muss.
Mindestquoten halte ich allerdings für kontraproduktiv. Untergrenzen sind Notbremsen und
keineswegs Garant für eine gute Pflege; warnt übrigens auch die Expertenkommission, die
Minister Gröhe zur Pflegesituation in den Krankenhäusern einberufen hatte. Wir brauchen
keinen Fallschirm, sondern ein gutes, stabiles Gerüst.
So richtig der Verweis auf die Bundesebene ist, so wenig können sich die Länder aus ihrer
Verantwortung stehlen. Die Krankenhäuser werden schließlich nicht vom Bund finanziert –
allenfalls durch einige Sonderprogramme - sondern von den Ländern.
Der SSW fordert, dass wir in Schleswig-Holstein über die Investitionskostenfinanzierung der
Krankenhäuser nachdenken und diese gegebenenfalls erhöhen. Die Kliniken finanzieren derzeit
oftmals nötige Investitionen aus laufenden Betriebskosten – und das sind eben auch die
Personalkosten. Schließlich müssen sie die steigenden Anforderungen einer alternden
Gesellschaft gerecht werden. Eine auskömmliche Finanzierung würde dieses Schlupfloch
schließen.
Wenn Abteilungen in Krankenhäusern aus Pflegemangel geschlossen werden müssen, ist das ein
absolutes Alarmsignal.
Darum ist klar: Die Zeit der allgemeinen Forderungen ist vorbei.
Wir sollten gemeinsam im Ausschuss konkrete, zeitlich genau gefasste Forderungen erarbeiten.
Damit wäre den Patientinnen und Patienten und den Pflegenden am besten geholfen.



Hinweis: Diese Rede kann hier ab den folgenden Tag als Video abgerufen werden:
http://www.landtag.ltsh.de/aktuell/mediathek/index.html