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25.01.17
11:18 Uhr
SPD

Dr. Ralf Stegner zu TOP 16, 18 + 20: Die Humanität steht bei uns im Mittelpunkt

Es gilt das gesprochene Wort!


Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden: http://www.landtag.ltsh.de/aktuell/mediathek/index.html



Kiel, 25. Januar 2017


TOP 16, 18 + 20: Anträge zur Abschiebung von Flüchtlingen - (Drs-Nr. 18/4980, 18/5023, 18/5025)



Dr. Ralf Stegner:
Die Humanität steht bei uns im Mittelpunkt.

Deutschland ist ein reiches Land. Unsere Wirtschaftsdaten sind robust und der Wohlstand in Deutschland ist groß. Und doch kann man bei manchen Parteien den Eindruck bekommen, unser drängendstes Problem wäre die Frage nach einer möglichst schnellen Abschiebung von Flüchtlingen. Herr Kollege Kubicki, niemand stellt hier den Rechtsstaat infrage. Der Rechtsstaat ist ohne Zweifel handlungsfähig. Wir haben immer betont: Recht und Gesetz gelten für alle Menschen hier. Für diejenigen, die hier schon lange leben wie auch für diejenigen, die zu uns kommen. Im Fördernden wie auch im Fordernden. Das stellt jedenfalls bei uns Sozialdemokraten niemand infrage.
Aber ich sagen Ihnen auch: Wir werden innerhalb dieser Regelungen und bei deren Auslegung immer den größtmöglichen Spielraum für Humanität einräumen. Das ist die gute Tradition der Nord-SPD und so hat es die Küstenkoalition von Beginn an gehandhabt.
Es überrascht mich übrigens schon ein bisschen, Kollege Kubicki, dass Sie in Ihrem Antrag manches fordern, was es schon gibt. Und anders als bei der Union gehe ich davon aus, dass Sie das auch wissen. Ihr Kollege Dr. Klug war es doch, der in einer Kleinen Anfrage vor einigen Wochen nach verschiedenen Aspekten der „Landesunterkunft für Ausreisepflichtige“ fragte. Und 2



jetzt tun Sie so, als ob es so etwas nicht geben würde. Worüber reden Sie eigentlich in Ihrer Fraktion?
Ich habe immer gesagt: Nicht alle, die zu uns kommen, werden auch bleiben können. Im vergangenen Jahr waren das übrigens 2.944 Menschen, die entweder in ihre Heimat oder ein Drittland zurückgeschickt wurden. Dabei setzen wir primär auf die freiwillige Rückkehr – und dafür gibt es ja durchaus auch gute Gründe. Nicht nur humanitäre, sondern auch finanzielle. Die Zahlen der freiwilligen Ausreisen steigen. Hiervon haben im letzten Jahr 1.914 Menschen Gebrauch gemacht.
Und zum anderen werden auch aus Schleswig-Holstein Flüchtlinge abgeschoben. Dies erfolgte 2016 in 902 Fällen. In Sicherheit und Würde und so humanitär wie möglich. Wir finden es nicht human, wenn Familien nachts aus ihren Betten gerissen werden, Kinder mit Waffen bedroht und nicht reisefähige Kranke brutal aus dem Land gebracht werden.
Wenn Sie also Ihren Antrag der Realität anpassen würden, könnten wir vielleicht etwas weniger weit auseinander liegen. Ebenfalls nicht neu, aber weiterhin für mich überraschend, ist die Inbrunst, mit der Sie von der Landesregierung die Zustimmung zu weiteren „sicheren Herkunftsstaaten“ fordern. Marokko, Algerien und Tunesien sollen so eingestuft werden.
Erstens: Das Prinzip der „sicheren Herkunftsstaaten“ bedeutet ausschließlich eine Verfahrensbeschleunigung und hat mit dem, was in den letzten 4 Wochen in Deutschland diskutiert wurde, nun wirklich gar nichts zu tun.
Zweitens: Aus den bisher als „Sichere Herkunftsländer“ eingestuften Staaten kamen 2016 gerade mal 3 % aller Flüchtlinge nach Schleswig-Holstein.
Die Beurteilung der Sicherheitslage in Afghanistan ist ohne Zweifel schwierig. Und so kommen auch Experten zu unterschiedlichen Einschätzungen. Wer sich aber mit den Berichten des UN- Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) beschäftigt, die in der jüngsten Vergangenheit leider noch dramatischer ausfallen, der wird unserer Argumentation folgen können. Ja, es gibt auch andere Lageeinschätzungen. Aber wenn ich Kolleginnen und Kollegen sehe, die dieses Land nur mit Schutzhelm und Panzerweste bereisen, habe ich große Zweifel an Sicherheit für Zivilisten. Und was glauben Sie, warum den Bundeswehrsoldaten und den Beschäftigten unserer Auslandsvertretungen in Afghanistan die höchste Stufe der Auslandszulage gewährt wird? Etwa, weil man dort einfach mal auf der Straße spazieren gehen kann? Und deren Schilderungen der Lage vor Ort unterstreichen meine Auffassung. Reisewarnungen für die deutsche Bevölkerung einerseits und knackige Abschiebungen von Flüchtlingen in die gleichen Gebiete andererseits – 3



das passt nicht zusammen. Schneidig Abschiebungen nach Afghanistan zu fordern, wenn man gemütlich in seinem Polstersessel in Eckernförde oder Strande sitzt, ist keine besondere politische Heldentat. Ich bin der Meinung, dass wir uns in dieser Debatte auch nicht hinter dem Rechtsstaat verstecken dürfen. Ich habe großen Respekt davor, wenn der Herr Oppositionsführer gelegentlich seinen christlichen Glauben anführt. Aber ich muss dann auch fragen dürfen, warum er so manche Abschiebung nach christlichen Werten in Ordnung findet. Ich muss dann auch fragen dürfen, wie die Forderungen gegen Familienzusammenführung oder zu Schikanen gegen Flüchtlinge zu diesen christlichen Werten passt.
Ich bekomme viele Zuschriften und Hilferufe. Die bekommen Sie doch sicherlich auch. Und wenn nicht, können Sie manches der Zeitung entnehmen. Das ist beispielsweise eine Familie aus Rieseby – dem Wahlkreis des Oppositionsführers und meiner engagierten Kollegin Serpil Midyatli. Es geht um eine Familie aus Afghanistan. Seit fünf Jahren lebt die Familie hier. Sie sind Hindus. Wurden in ihrer Heimat bedroht. Der Sohn ist elf Jahre alt und leidet an Epilepsie. Mittlerweile ist er medikamentös eingestellt. Sein Zustand entwickelt sich in Deutschland gut. Sein Schulbegleiter, die Schulleiterin und der Kinderarzt können eine Abschiebung einheitlich nicht befürworten.
Der Kreis prüft jetzt die Reisefähigkeit des Jungen, dessen gesundheitlicher Zustand sich in Afghanistan definitiv wieder verschlechtern würde. Ihr Glauben macht ihnen dort viele Feinde. Sie erwartet ein Leben in Angst. Jetzt kann man auf das geltende Recht verweisen. Man kann aber auch weiterdenken. Und ja, man darf auch Gefühle zulassen. Ich finde, man kann auch eine Abschiebung nach Afghanistan politisch ablehnen.
Ein anderes Beispiel, dieses Mal aus dem Kreis Segeberg. Bei einer schleswig-holsteinischen Familie lebt seit rund einem Jahr ein junges Paar, Anfang 20, aus Afghanistan. Seit etwa einem halben Jahr sind sie Eltern. Sie lernen beide Deutsch. Sie sind Christen. Sie integrieren sich gut. Er hatte schon in seiner Heimat ein Medizin-Studium begonnen, möchte jetzt hier bei uns eine Ausbildung machen. Ein nahe gelegenes Krankenhaus würde ihm dies gerne ermöglich, er bekommt aber keine Arbeitserlaubnis. Die junge Familie steht Ängste aus. Angst vor dem, was einmal ihre Heimat war. Angst vor der Rückkehr. Der örtliche Pastor und die Kirchengemeinde unterstützen die Familie bei ihrem Anliegen zu bleiben. Was daran wäre auch christlich, sie zurückzuschicken?
Es sind Beispiele wie diese, die mich zum Nachdenken bringen und ja, auch etwas ratlos und manchmal einfach traurig zurücklassen. Ich finde, wir sollten auf dem Schicksal dieser und anderer Menschen nicht unser parteipolitisches Süppchen kochen. 4



Wir stellen unser Recht nicht infrage. Aber wir fühlen mit den Menschen, die bei uns aus Krieg, Folter und Verfolgung Schutz suchen. Und wir legen dieses Recht so human wie nur möglich aus. Ich danke allen, die daran mithelfen!