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12.10.16
12:52 Uhr
SPD

Dr. Ralf Stegner zu TOP 12,19,29,30,31+44: Integration ist die Herausforderung und das Gebot der Stunde

Es gilt das gesprochene Wort!


Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden: http://www.landtag.ltsh.de/aktuell/mediathek/index.html



Kiel, 12. Oktober 2016


TOP 12, 19, 29, 30, 31 + 44: Integrationsgesetz / Echter Flüchtlingsschutz für syrische Flüchtlinge / Bericht zum Programm BUFAA.SH / Unterrichtsangebote für Asylbewerber und Flüchtlinge ausbauen / Umsetzung des Flüchtlingspaktes (Drs. 18/4734, 18/4621, 18/4733, 18/4735, 18/4466, 18/4619)



Dr. Ralf Stegner:
Integration ist die Herausforderung und das Gebot der Stunde


Es gehört zur traurigen Wahrheit, dass es in unserem Land Menschen gibt, die keine angeblich „besorgten Bürgerinnen und Bürger“ sind, wie sie sich selbst nennen, sondern schlicht Rassisten, denen die Würde und das Leben anderer Menschen nichts wert ist. Das müssen wir dann auch klar so benennen Und denen müssen wir aus meiner Sicht ganz klar sagen: Ressentiments gegen andere Menschen wird es mit uns niemals geben! Eure Ansichten teilen wir überhaupt nicht. Und wir werden dafür kämpfen, dass Ihr nie wieder in diesem Land etwas zu sagen habt oder gar jemals in der Mehrheit seid.
Und leider ist es so, dass diese Spaltung in unserer Gesellschaft stärker zu spüren ist. Manchmal denkt man, diese 10 – 15 % seien die Mehrheit, weil die wirkliche Mehrheit schweigt, manche zudem klammheimlich zustimmen und die mediale Aufmerksamkeit unverhältnismäßig stark auf die gerichtet ist, die außerhalb unseres demokratischen Konsenses stehen. 2



Denken Sie an den 3. Oktober. Der Tag der Deutschen Einheit sollte für uns ein Tag der Freude und zum Feiern sein. In Dresden wurde er in diesem Jahr zu einem Tag des Fremdschämens. Oder wie empfinden Sie es, wenn selbsternannte „Patrioten“ Verfassungsorgane bepöbeln und dunkelhäutige Diplomaten mit Affenlauten schmähen und lautstark die Abschiebung bzw. Ausweisung dieser Diplomaten fordern und unsere Staatsgäste aufs Unflätigste beleidigen.
Hierfür hat Bundestagspräsident Nobert Lammert die richtigen Worte gefunden: „[…] diejenigen, die heute am lautesten schreien und pfeifen und ihre erstaunliche Empörung kostenlos zu Markte tragen, haben offensichtlich das geringste Erinnerungsvermögen daran, in welcher Verfassung diese Stadt und dieses Land sich befunden haben, bevor die Deutsche Einheit verwirklicht werden konnte.“
Natürlich gibt es Bürgerinnen und Bürger in unserem Land mit berechtigten Sorgen, die wir sehr ernst nehmen und über deren Lösung wir nachzudenken haben. Da geht es um Arbeit, bezahlbares Wohnen, Rente usw. Häufig bekommen diese Menschen von Rechtspopulisten Angebote. Das sind aber keine Lösungen, sondern Sackgassen und Holzwege, sie schüren die Ängste nur noch mehr. Die Rechten haben für alles einen Sündenbock, aber für nichts eine Lösung. Wir haben die Aufgabe, diesen Menschen tatsächliche Lösungen anzubieten statt zu versuchen, aus diesen Ängsten für uns noch politisches Kapital zu schlagen.
An die Adresse von Herrn Scheuer und leider auch an Ihre, Herr Kollege Günther, sage ich: Im Zweifel wählen diese Menschen das populistische Original und nicht die gerade eben noch seriöse demokratische Kopie.
Sowohl der Gesetzentwurf als auch Ihre Rede belegen leider in erster Linie, dass Sie einmal mehr genau die Ängste und Ressentiments bedienen, die unserer politischen Verantwortung als demokratische Parteien in diesen schwierigen Zeiten widerspricht. Und das ärgert und enttäuscht mich sehr. Ich frage mich: Was und wen wollen Sie damit eigentlich erreichen?
Wir brauchen keine fragwürdigen Schnellschüsse mit schlecht gemachten Stammtischgesetzen. Was wir dagegen brauchen, ist eine ernsthafte Integrationsdebatte. Ich war 2005 der erste Integrationsminister dieses Landes. Wir haben damals schon unser Integrationskonzept von 2002 diskutiert, und es gab darüber seriöse Debatten mit dem damaligen Sprecher der CDU- Seite, dem Kollegen Armin Laschet aus NRW. 3



Ich habe im März dieses Jahres in diesem Hause einen bundesweiten Integrationspakt gefordert und fünf Handlungsfelder beschrieben:
1. Wir heißen Geflüchtete willkommen in Schleswig-Holstein!
2. Wir lassen auch weiterhin kein Kind zurück: Von der Kita über die Schule, von der Ausbildung bis zu den Hochschulen.
3. Qualifizierung und gute Arbeit sind und bleiben Stärken unserer Wirtschaft.
4. Wir gestalten das Zusammenleben im Land.
5. Eine starke Zivilgesellschaft stärkt unsere Demokratie und gibt Rechtsextremismus und Rassismus keine Chance.
Ja: Der Gesetzentwurf der CDU greift manchen dieser Punkte auf. Ich will Ihnen, Herr Kollege Günther, nur allzu gerne glauben, dass Sie versucht haben, ein seriöses Angebot zu formulieren. Und doch gibt es wichtige Punkte, die uns entschieden trennen, und viele Fragen, über die im Rahmen der Ausschussberatungen ernsthaft zu beraten sein wird, auch wenn ich angesichts Ihrer Rede und dieser Vorlage mir sehr schwer vorstellen kann, dass wir am Ende zusammen kommen können. Dabei wäre es diese Sache, nämlich die große Aufgabe der Integration, wirklich wert: Gerade wenn es uns als demokratischen Parteien ernst damit ist, im nächsten Frühjahr die Rechtspopulisten und Demokratiefeinde von Einfluss in diesem Parlament fern zu halten.
Wichtig ist mir dabei in erster Linie, dass wir eine ernsthafte und würdige Debatte führen. Denn es geht hier um nichts weniger als das Schicksal von Menschen. Von Familien mit Kindern, die vor Not, Folter, Bombenkrieg oder terroristischer Bedrohung auf z. T. abenteuerlichen und gefährlichen Wegen zu uns geflüchtet sind; und es geht um die Lebenschancen derjenigen, die hier geboren und aufgewachsen sind.
Vor allem geht es um unser aller friedliches Zusammenleben. Und die SPD wird immer für den sozialen Zusammenhalt des Landes eintreten. Das tun wir seit 153 Jahren und das wird sich niemals ändern.
Immerhin enthält Ihr Entwurf, meine Kolleginnen und Kollegen von der Union, nicht mehr die lächerlichen bis brandgefährlichen Vorschläge von Abschiebe-TV über Schweinefleisch-Pflicht in 4



Kantinen bis zum Burka-Verbot. Aber Ihr kurioses Sicherheitspapier mit dem einmaligen Höhepunkt, die öffentliche Sicherheit durch mit Knüppeln bewaffnete Parkwächter zu steigern, ist ja nicht vom Tisch. Und darin wollen Sie die doppelte Staatsbürgerschaft generell abschaffen. Das ist geradezu ein Aufruf an in Deutschland geborene junge Türken, sich zu radikalisieren und ins Erdogan-Lager überzulaufen – also genau das Gegenteil von Integration. Auch das müssen Sie vom Tisch nehmen.
Die Sicherheitsfrage und das Integrationsthema zu vermischen ist ohnehin problematisch. Da helfen syrische Flüchtlinge in Leipzig, einen Terrorverdächtigen festzusetzen – kein Wort des Dankes durch den CDU-Innenminister, dafür aus den Reihen der Union Pauschalverdächtigungen gegen Flüchtlinge.
Nach all den genannten – offensichtlich selbst eingesehenen – Fehltritten hat die CDU einen Gesetzentwurf eingereicht und endlich signalisiert: Ja, wir sind bereit, über ernsthafte Integrationsmaßnahmen zu diskutieren. Dass Sie dann aber doch wieder den alten Reflexen folgen, hat uns sehr enttäuscht: Ihr Integrationsgesetz enthält eine starke Betonung von Restriktion und Sanktionierung.
Seit Köln heißt Ihr dreifaches A: abschrecken, abschotten, abschieben. Die Gängelung von Flüchtlingen und Zuwanderern hat für Sie offensichtlich weiterhin Priorität und was die Forderung nach Einrichtung einer Abschiebehaftanstalt in einem Integrationsgesetz zu suchen hat, müssen Sie uns noch mal genau erklären. Wollen Sie Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive in die deutsche JVA-Bevölkerung integrieren? Hanebüchen ist auch manche Regelung, die Sie für „Gastarbeiter“ – heute meist deutsche Staatsbürger und längst im Rentenalter – vorschlagen.
Wir sind auch dafür, dass Menschen die deutsche Sprache erlernen – und das möglichst schnell, am besten vom ersten Tag an. Dass für Sie aber Ausländer, egal wie lange sie hier sind und wie sehr sie sich auch um Integration bemüht haben, immer nur „Gäste“ in diesem Land sein sollen, zeigt auch, dass Sie noch einen weiten Weg vor sich haben. Diese Sorte Gastfreundschaft ist nicht die unsere.
Auch über die handwerkliche Qualität ihres Entwurfes lässt sich viel sagen. Vieles von dem, was in dem Gesetzentwurf gefordert wird, ist bereits geltendes Recht, anderes hat in einem Gesetzestext schlicht nichts zu suchen und dass es in Schleswig-Holstein ein 5



Kindertagesstättengesetz gibt, das die Aufgaben der frühkindlichen Bildung und die Anforderungen an das Personal regelt, scheint Ihnen offensichtlich nicht bekannt zu sein. Oder liegt das vielleicht daran, dass Sie Anleihen bei Ihrer bayerischen Schwesterpartei gemacht haben, die die Verhältnisse im Norden natürlich nicht so genau kennt?
Wo bleibt das Positive? Viele Ihrer Forderungen im Bildungsbereich sind bereits gesetzliche Realität. Das ist übrigens auch gut so, weil manches doch nicht nur für Flüchtlinge, sondern eben auch für alle Menschen wichtig ist. Wir machen Politik für alle Menschen! Nicht nur für Flüchtlingskinder, sondern für alle Kinder in Deutschland.
Das gerade Gesagte gilt ganz besonders für diejenigen Ihrer Vorschläge, die bereits über das Schulgesetz und gerade auch unser neues Lehrkräftebildungsgesetz – das Sie bis vor kurzem noch bekämpften und das Ihr Spitzenkandidat zurücknehmen wollte – bereits abgedeckt sind. Schön, dass Sie sich auch hier gegen Ihren Kandidaten und für den Schulfrieden entscheiden, Herr Kollege Günther. Es ist immer wieder spannend, den Wasserstand zwischen Eckernförde und Sylt zu beobachten.
Sprache ist eine wichtige Voraussetzung für Teilhabe, keine Frage, und damit sehr wichtig für eine erfolgreiche Integration. Deshalb fördert das Land auch über die Programme des Bundes hinaus Sprachkurse für Flüchtlinge. Dennoch: Es fehlen bundesweit 120.000 Plätze. Sie wollen unter Androhung von Sanktionen zum Teil deutsche Staatsbürger zur Teilnahme an solchen Kursen verpflichten, dabei gibt es schon für die Flüchtlinge nicht genug Plätze. Außerdem wollen Sie einen Sprachkurs-Inkassodienst einrichten. Wie soll das gehen? Wer soll das kontrollieren? Was für einen Staat stellen Sie sich eigentlich vor?
Werben Sie lieber bei Ihrem Parteikollegen, dem Innenminister de Maiziere, dafür, endlich für eine Aufstockung der Kontingente zu sorgen. Die SPD steht an Ihrer Seite, hat sich aber – das muss ich leider zugeben – an ihm und dem Finanzminister Schäuble bisher die Zähne ausgebissen.
Neben dem, was wir alles schon machen, wo Sie also Dinge fordern, von denen Sie wissen könnten, dass sie längst Realität sind, gibt es aber auch klar Trennendes zwischen der Regierungskoalition und der CDU. Abschiebungshaft kommt für uns nicht in Frage. Flüchtlinge haben nichts verbrochen und gehören nicht in Haft, wenn sie keine Straftaten begangen haben. 6



Und klar ist für uns auch: Der Flüchtlingsbeauftragte bleibt ein unabhängiger Beauftragter des Landtages und damit zuständig für alle Flüchtlinge, Asylsuchenden und Zuwanderer und nicht nur für solche mit gesichertem Aufenthaltsstatus, wie Sie das wollen. Und er wird auch künftig nicht nur die Integration von Menschen mit gesichertem Aufenthalt fördern, sondern weiterhin die Belange aller Flüchtlinge wahren, was Sie ja abschaffen wollen.
Sie wollen an dieser bewährten Institution deutliche Einschränkungen vornehmen, die wir ausdrücklich nicht teilen. Das ist alles aus der Mottenkiste rechtskonservativer Regierungen. Im Gegenteil: Ich möchte Stefan Schmidt und seinem Team an dieser Stelle einmal herzlich für ihre Arbeit danken!
Und so hat Herr Kollege Kubicki dieses Mal tatsächlich recht: Juristisch nicht bedeutsam, viele Ziele, aber wenige Maßnahmen, keine Lösungen, nur Scheinlösungen gegen sogenannte Integrationsverweigerer. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist für ein Integrationsgesetz und für eine Volkspartei allemal schlicht zu wenig. Das ist reiner Populismus.
Vielleicht sollten Sie sich künftig etwas weniger an den bayerischen Ideen Ihrer CSU-Schwester orientieren und statt Papiere aus der Bayerischen Staatskanzlei abzukupfern, sollten Sie sich stattdessen Ihrer humanitären Verantwortung stellen. In diesem Punkte hat die Bundeskanzlerin ausdrücklich meinen Respekt. Bei aller Kritik, die ihre Politik sonst verdient, gerade was Finanzhilfen für Länder und Kommunen angeht, an der Stelle muss man Angela Merkel gegen ihre Parteifreunde aus der Union in Schutz nehmen.
Eine humanitäre Migrationspolitik steht für uns weiterhin im Vordergrund. Das schulden wir den vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern, die einen großartigen Einsatz in der Flüchtlingshilfe leisten. Dieses Anliegen hat uns zu unserem Antrag bewegt.
Die zunehmende Praxis, syrischen Flüchtlingen lediglich subsidiären Schutz zu gewähren, besorgt uns sehr. Darum ging die Auseinandersetzung zwischen Sigmar Gabriel und Thomas de Maiziere. Ich frage Sie, was daran christlich ist. Denken Sie an das „C“ im Namen Ihrer Partei und überlegen Sie, ob und wenn ja welche Bedeutung für Sie Familienzusammenführung von Eltern und minderjährigen Kindern noch hat. Wie können Sie daran Freude haben, diese einzuschränken? Leider ist jeder Fortschritt, den die SPD der Union etwa bei der Bleibeperspektive für in Ausbildung befindliche jugendliche Flüchtlinge abgerungen hat, nur um 7



den Preis von Schikanen an anderer Stelle zu haben. Ein beklagenswertes Beispiel dafür sind eben diese Einschränkungen beim Familiennachzug.
Humanität und Menschlichkeit gehören übrigens auch zu den Grundwerten unserer Gesellschaft, auf die Sie andere so gern verpflichten wollen. Dazu passen Debatten in Ihren Reihen über Koalitionsmöglichkeiten mit der AfD oder der Nazi-Jargon Ihrer sächsischen Bundestagskollegin, die von „Umvolkung“ gesprochen hat, überhaupt nicht.
Unser Leitbild bleibt klar: Wir wollen das friedliche Zusammenleben aller Menschen in einer offenen, freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft. Wir setzen auf sozialen Zusammenhalt und Politik für alle Menschen, für die, die hier sind und für die, die noch zu uns kommen. Dafür brauchen wir keinen Streit um eine folkloristische Leitkultur. Wir brauchen auch keine Vermittlung von landestypischer Gestik und Mimik per Landesgesetz. Es ist eine Selbstverständlichkeit, praktische Kenntnisse wie die, dass man bei Rot nicht über die Straße geht, in der Schule oder in Integrationskursen zu vermitteln.
Unsere Leitkultur aber sind die ersten 20 Artikel unseres Grundgesetzes. Die unveränderbaren Normen für Menschlichkeit, einen sozialen Rechtsstaat, Meinungs- und Religionsfreiheit, Gleichheit von Frau und Mann und über allem die Würde eines jeden Menschen in unserem Land. Vollkommen absurd, so zu tun, als stände dies zur Debatte.
Der Flüchtlingspakt unseres Ministerpräsidenten Torsten Albig mit vielen beteiligten Akteuren ist ein guter Ausgangspunkt für die Integrationsmaßnahmen, die jetzt auf uns zukommen. Darüber lassen Sie uns ernsthaft reden. Ich freue mich, dass die Landesregierung über viele dieser Aspekte nicht nur einen umfassenden Bericht vorgelegt hat, für den ich recht herzlich danke, sondern auch auf dem Gipfel im November beraten wird. Auf diese Weise kann Integration gelingen.
Albert Schweitzer hat gesagt: „Humanität besteht darin, dass niemals ein Mensch einem Zweck geopfert wird.“ Das ist so und muss so bleiben.
Auch wenn ich den parteipolitischen Zweck verstehen kann, dass Sie von der Union sich die Konkurrenz von rechts vom Leibe halten wollen, so kann dies nicht um den Preis geschehen, dass wir den demokratischen Konsens in diesem Hause dafür opfern. Wir dürfen nämlich nicht versagen vor der großen Herausforderung dieser Zeit – nämlich eine Integrationspolitik in 8



Schleswig-Holstein und in Deutschland voran zu bringen, die den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft sichert.