Jette Waldinger-Thiering: Eine Freihandelszone darf nicht durch die Hintertür Standards aushebeln
Presseinformation Kiel, den 20.07.2016Es gilt das gesprochene WortJette Waldinger-ThieringTOP 22+25 a) Transatlantisches Handels- und Investitionsabkommen (TTIP), b) Fairer Freihandel auf Grundlage hoher Umwelt- und Sozialstandards, Investorenklagen verhindern, demokratisches Selbstbestimmungsrecht bewahren – CETA stoppen Drs. 18/4165, 18/4253 und 18/4299 (neu) „Arbeitnehmerstandards sind keine Verhandlungsmasse. Diese Sozialstandards sind bei den Berichten über Chlorhühner und genmanipulierte Lebensmittel leider völlig untergegangen.“Die europäische Idee eines gemeinsamen Zusammenlebens steckt in einer tiefenVertrauenskrise. Die Europäerinnen und Europäer misstrauen einer europäischen Verwaltung,die sie nicht verstehen und die sie - das war der Geburtsfehler der EU - nicht kontrollierenkönnen. Für das Friedensbündnis Europa ist die abnehmende Zustimmung einelebensbedrohliche Krise. Die Menschen in Europa wenden sich stattdessen Parteien zu, denenEuropa bestenfalls egal ist. 2Europa ist ganz ohne Zweifel in Bewegung. Deshalb erhalten immer häufiger ParteienZuspruch, die in ihren Parteiprogrammen ganz klar die Abschaffung der Europäischen Unionfordern. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern. Das sind alles Symptomeeiner massiven Vertrauenskrise! Der Brexit in Großbritannien ist das jüngste und wohl auchdas eindeutigste Signal gegen das Friedensbündnis Europa.Man sollte meinen, dass diese Krisenphänomene sowohl in Brüssel wie auch in den 27Mitgliedsstaaten massive Gegenmaßnahmen heraufbeschwören würden. Dass dieRegierungen also verstärkte Anstrengungen unternehmen, um für die europäische Idee zuwerben. Ich kann bisher leider wenig in dieser Richtung erkennen.Seit letzter Woche gibt es nun bekanntlich die Möglichkeit, das sehr umfangreiche und nichtbarrierefreie Verhandlungspapier zu CETA im Netz zu lesen. Intransparenter gehts nimmer.Genau deshalb entzündet sich an den Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA ein sonachhaltiger Protest, weil die Menschen meinen, dass sie ansonsten gar nicht wahrgenommenwerden. Die großen Demonstrationen bekommen einen breiten Zuspruch inNichtregierungsorganisationen, wir werden einen bundesweiten Proteststurm erleben. Da binich mir ganz sicher.Ich halte die Unterstützung des transatlantischen Handels prinzipiell für eine gute Sache. Wirstreiten hier allerdings zu Recht um das Wie, also um die Rahmenbedingungen. EineFreihandelszone darf natürlich nicht durch die Hintertür Standards aushebeln. Dafür einBeispiel: Ein Teppich, der in Afghanistan von Kindern geknüpft wurde, darf nicht durch denUmweg über die USA sozial reingewaschen werden. Er wurde in Kinderarbeit produziert unddarf deswegen innerhalb der Europäischen Union weder gekauft noch verkauft werden. Wirsind uns in Europa einig: Wir unterstützen keine ausbeuterischen Arbeitsbedingungen, dieKinder vom Schulbesuch ausschließen. Punkt. Was ich damit sagen möchte: 3Arbeitnehmerstandards sind keine Verhandlungsmasse. Diese Sozialstandards sind bei denBerichten über Chlorhühner und genmanipulierte Lebensmittel leider völlig untergegangen.Investorenrechte sind dagegen in aller Munde. Sie können sich bekanntlich mit TTIP -unabhängig von europäischen Strukturen - entgangene Marktchancen erklagen oderSchadenersatz geltend machen. Dass diese Nebengerichtsbarkeit in Europa auf breiteAblehnung stieß, spielte bei den weiteren Verhandlungen allerdings keine Rolle. UndArbeitnehmerrechte wurden gar nicht erst als Verhandlungsgegenstand festgelegt. In meinenAugen ein weiterer Fehler in der langen Verhandlungsgeschichte.Wenn schon die Aufnahme der Verhandlungen nicht demokratisch legitimiert, offen undtransparent vonstattenging, muss das bei Vertragsabschluss nachgeholt werden. DieFreihandels-Verhandlungen berühren europäische Grundlagen und müssen daher von allenEuropäern abgestimmt werden. TTIP ist ein Gradmesser für die europäische Idee. EinigeEurokraten scheinen zu glauben, dass das Ganze zu kompliziert sei und damit zwangsläufigvon Fachleuten entschieden werden muss. Das ist falsch! Wer das glaubt, redet Technokratiendas Wort, die ohne Menschen auskommen.Demokratie lebt bekanntlich vom Mitmachen. Im Fall von TTIP bedeutet das, dass dieEuropäerinnen und Europäer in die Entscheidungen um die Freihandelszone mit eingebundenwerden müssen. Dazu gibt es keine Alternative. Die Menschen haben ein Recht aufunmittelbare Teilhabe. Die größte Freihandelszone der Welt wird nämlich nicht nur die globaleWirtschaft beeinflussen, sondern auch das Leben der Europäerinnen und Europäer verändern.Gerade darum ist eine wirklich demokratische Auseinandersetzung unumgänglich.Hinweis: Diese Rede kann hier ab den folgenden Tag als Video abgerufen werden: 4http://www.landtag.ltsh.de/aktuell/mediathek/index.html