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20.07.16
12:14 Uhr
SSW

Jette Waldinger-Thiering: Eine Freihandelszone darf nicht durch die Hintertür Standards aushebeln

Presseinformation Kiel, den 20.07.2016

Es gilt das gesprochene Wort



Jette Waldinger-Thiering
TOP 22+25 a) Transatlantisches Handels- und Investitionsabkommen (TTIP), b) Fairer Freihandel auf Grundlage hoher Umwelt- und Sozialstandards, Investorenklagen verhindern, demokratisches Selbstbestimmungsrecht bewahren – CETA stoppen Drs. 18/4165, 18/4253 und 18/4299 (neu)

„Arbeitnehmerstandards sind keine Verhandlungsmasse. Diese Sozialstandards sind bei den Berichten über Chlorhühner und genmanipulierte Lebensmittel leider völlig untergegangen.“

Die europäische Idee eines gemeinsamen Zusammenlebens steckt in einer tiefen
Vertrauenskrise. Die Europäerinnen und Europäer misstrauen einer europäischen Verwaltung,
die sie nicht verstehen und die sie - das war der Geburtsfehler der EU - nicht kontrollieren
können. Für das Friedensbündnis Europa ist die abnehmende Zustimmung eine
lebensbedrohliche Krise. Die Menschen in Europa wenden sich stattdessen Parteien zu, denen
Europa bestenfalls egal ist. 2
Europa ist ganz ohne Zweifel in Bewegung. Deshalb erhalten immer häufiger Parteien
Zuspruch, die in ihren Parteiprogrammen ganz klar die Abschaffung der Europäischen Union
fordern. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern. Das sind alles Symptome
einer massiven Vertrauenskrise! Der Brexit in Großbritannien ist das jüngste und wohl auch
das eindeutigste Signal gegen das Friedensbündnis Europa.
Man sollte meinen, dass diese Krisenphänomene sowohl in Brüssel wie auch in den 27
Mitgliedsstaaten massive Gegenmaßnahmen heraufbeschwören würden. Dass die
Regierungen also verstärkte Anstrengungen unternehmen, um für die europäische Idee zu
werben. Ich kann bisher leider wenig in dieser Richtung erkennen.



Seit letzter Woche gibt es nun bekanntlich die Möglichkeit, das sehr umfangreiche und nicht
barrierefreie Verhandlungspapier zu CETA im Netz zu lesen. Intransparenter gehts nimmer.
Genau deshalb entzündet sich an den Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA ein so
nachhaltiger Protest, weil die Menschen meinen, dass sie ansonsten gar nicht wahrgenommen
werden. Die großen Demonstrationen bekommen einen breiten Zuspruch in
Nichtregierungsorganisationen, wir werden einen bundesweiten Proteststurm erleben. Da bin
ich mir ganz sicher.



Ich halte die Unterstützung des transatlantischen Handels prinzipiell für eine gute Sache. Wir
streiten hier allerdings zu Recht um das Wie, also um die Rahmenbedingungen. Eine
Freihandelszone darf natürlich nicht durch die Hintertür Standards aushebeln. Dafür ein
Beispiel: Ein Teppich, der in Afghanistan von Kindern geknüpft wurde, darf nicht durch den
Umweg über die USA sozial reingewaschen werden. Er wurde in Kinderarbeit produziert und
darf deswegen innerhalb der Europäischen Union weder gekauft noch verkauft werden. Wir
sind uns in Europa einig: Wir unterstützen keine ausbeuterischen Arbeitsbedingungen, die
Kinder vom Schulbesuch ausschließen. Punkt. Was ich damit sagen möchte: 3
Arbeitnehmerstandards sind keine Verhandlungsmasse. Diese Sozialstandards sind bei den
Berichten über Chlorhühner und genmanipulierte Lebensmittel leider völlig untergegangen.



Investorenrechte sind dagegen in aller Munde. Sie können sich bekanntlich mit TTIP -
unabhängig von europäischen Strukturen - entgangene Marktchancen erklagen oder
Schadenersatz geltend machen. Dass diese Nebengerichtsbarkeit in Europa auf breite
Ablehnung stieß, spielte bei den weiteren Verhandlungen allerdings keine Rolle. Und
Arbeitnehmerrechte wurden gar nicht erst als Verhandlungsgegenstand festgelegt. In meinen
Augen ein weiterer Fehler in der langen Verhandlungsgeschichte.



Wenn schon die Aufnahme der Verhandlungen nicht demokratisch legitimiert, offen und
transparent vonstattenging, muss das bei Vertragsabschluss nachgeholt werden. Die
Freihandels-Verhandlungen berühren europäische Grundlagen und müssen daher von allen
Europäern abgestimmt werden. TTIP ist ein Gradmesser für die europäische Idee. Einige
Eurokraten scheinen zu glauben, dass das Ganze zu kompliziert sei und damit zwangsläufig
von Fachleuten entschieden werden muss. Das ist falsch! Wer das glaubt, redet Technokratien
das Wort, die ohne Menschen auskommen.



Demokratie lebt bekanntlich vom Mitmachen. Im Fall von TTIP bedeutet das, dass die
Europäerinnen und Europäer in die Entscheidungen um die Freihandelszone mit eingebunden
werden müssen. Dazu gibt es keine Alternative. Die Menschen haben ein Recht auf
unmittelbare Teilhabe. Die größte Freihandelszone der Welt wird nämlich nicht nur die globale
Wirtschaft beeinflussen, sondern auch das Leben der Europäerinnen und Europäer verändern.
Gerade darum ist eine wirklich demokratische Auseinandersetzung unumgänglich.



Hinweis: Diese Rede kann hier ab den folgenden Tag als Video abgerufen werden: 4
http://www.landtag.ltsh.de/aktuell/mediathek/index.html