Navigation und Service des Schleswig-Holsteinischen Landtags

Springe direkt zu:

Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.

Datenschutzerklärung

Pressefilter

Zurücksetzen
20.07.16
10:27 Uhr
SSW

Lars Harms: Die EU als bürgernahes und nachhaltiges Projekt entwickeln

Presseinformation Kiel, den 20.07.2016

Es gilt das gesprochene Wort



Lars Harms TOP 40 Nach dem Referendum Großbritanniens – Schleswig-Holstein in der EU Drs. 18/4401

„Der Ruf von Sigmar Gabriel und Martin Schulz nach einem europäischen
Superstaat ist genau der falsche Weg. Denn dieser Weg führt an den
Bedenken der Bevölkerungen vollständig vorbei.“


Bei einer Diskussion über die Brexit-Abstimmung ist dem SSW eines besonders wichtig: Die
Abstimmung ist ohne Wenn und Aber anzuerkennen! Die Abstimmung gibt die Haltung in
breiten Teilen der Bevölkerung Europas wider. Wir diskutieren daher nicht nur, wie die
europäische Zusammenarbeit gestaltet werden kann, sondern auch, ob die EU so noch eine
Zukunft hat. Das ist jedenfalls nach unserer Auffassung die ehrliche Frage, die wir uns stellen
müssen. Und dazu kann ich im Namen des SSW sagen, dass die EU durchaus eine Zukunft hat,
wenn sie sich zu einem bürgernahen und nachhaltigen Projekt entwickelt. Dabei muss man
immer wieder auf eines Rücksicht nehmen: Es gibt kein einheitliches Europa und es wird auch
nie ein einheitliches Europa geben. Europa ist Vielfalt – und das wissen wir als Minderheiten 2
nur zu genau! Es gibt deshalb auch große Unterschiede im Wertekanon in den einzelnen
Staaten und den einzelnen Kulturen. Und die Lösung ist, dass wir andere verstehen lernen!
Helmut Schmidt hat einmal gesagt: „Heutzutage ist das wichtigste zu lernen, wie man andere
Völker versteht. Nur dann können sich die Nationen untereinander verstehen.“ Genau so ist es!
Polen, Litauer, Tschechen oder Ungern ticken aufgrund ihrer Geschichte und Traditionen
anders als Deutsche oder Franzosen. Südeuropäer oder Skandinavier ticken wieder anders. Es
gibt dabei kein gut oder schlecht. Wir müssen unterschiedliche Kulturen respektieren, um
zueinander finden zu können. Die Europäische Einigung ist wichtig. Wichtiger ist aber, dass
Identitäten und Kulturen erhalten bleiben können. Das geht nur mit Dezentralisierung und
Deregulierung.



Deswegen ist der Ruf von Sigmar Gabriel und Martin Schulz nach einem europäischen
Superstaat genau der falsche Weg. Denn dieser Weg führt an den Bedenken der Bevölkerungen
vollständig vorbei. Wer sagt, die Europäische Kommission soll zu einer wahren europäischen
Regierung umgebaut werden und die einzelnen Nationalstaaten sollen nur noch in einer 2.
Kammer ein parlamentarisches Mitspracherecht haben, der leistet jedweden Ressentiments
Vorschub und bestätigt diese kritischen Haltungen sogar. Der Weg der beiden Granden der
Sozialdemokratie schafft nicht mehr Europa, sondern im Gegenteil – ich glaube sogar, das wäre
das Todesurteil für die vertiefte europäische Zusammenarbeit.



Die einzelnen Staaten und Regionen müssen wieder mehr Einflussmöglichkeiten bekommen.
Nationalstaat ist nicht mit Nationalismus gleichzusetzen. Europa besteht aus
unterschiedlichen Nationen und Regionen und deshalb ist es wichtig, diesen Nationen und
Regionen weite Spielräume zu lassen, damit Gesetzgebung und Rechtsprechung in den
regionalen und nationalen Traditionen ablaufen können. Es ist doch für uns zum Beispiel nicht
verständlich, warum europäisches Recht öffentlich-rechtliche Sparkassen unmöglich machen 3
soll. Das, obwohl wir inzwischen jahrhundertelange gute Erfahrungen mit öffentlichen
Sparkassen gemacht haben. Eine solche Überregulierung braucht niemand und deshalb muss
sich die EU hier und in vielen anderen Bereichen ändern.



Ich sage dies auch vor dem Hintergrund immer stärker werdender rechtspopulistischer
Bewegungen. Sie nutzen es aus, wenn regionale und nationale Gepflogenheiten in einer
gleichmacherischen EU keine Chance mehr haben. Und genau das gilt es zu verhindern. Und
deshalb müssen auch wir Demokraten nationale und regionale Besonderheiten verteidigen.
Das fängt in der Strukturpolitik an, zieht sich über die Sozialpolitik bis hin zur Minderheiten-
und Sprachenpolitik. Überall muss Platz für nationale und regionale Lösungen sein!



Wenn es wirklich darum gehen soll, die EU zukunftsfähiger und attraktiver zu machen, dann
geht es eher darum, wie sie wirtschaftlich weiterentwickelt wird und vor allem wie sie sich in
Zukunft sozialpolitisch aufstellt. Noch einmal Helmut Schmidt, der sagte: „Ich weiß, dass es
uns Deutschen nicht gut gehen kann, wenn es anderen europäischen Nationen schlechter
geht.“ Aber genau das ist der Fall. Wir haben Staaten wie Griechenland oder Portugal, die kurz
vor dem Kollaps stehen und die bis heute keine richtige Perspektive – außer Rentenkürzungen
für die ganz Armen – bekommen haben. Und betrachtet man die Jugendarbeitslosigkeit in Süd-
und Osteuropa, dann kann man nur von einem Skandal sprechen. Für die gemeinsame
Agrarpolitik wird immer noch mehr als 35% des Budgets der EU verwandt. Aber Maßnahmen
zur Reduzierung der Jugendarbeitslosigkeit scheinen immer noch nicht möglich zu sein. Hier
muss sich die EU selbst neu aufstellen. Was wir brauchen, ist ein soziales Europa, das
Freizügigkeit garantiert und endlich dafür sorgt, dass Süd- und Osteuropa wirtschaftlich
gestärkt werden. Nur dann hält die EU! 4
Wir brauchen keinen Superstaat und keine europäische Zentralregierung. Wir brauchen
Demokratie, Rechtsstaat, Dezentralisierung, Bürgernähe und wirtschaftliches Wachstum. Hier
gibt es viel zu tun. Zentralstaatsphantasien sind gegen die Menschen gerichtet und helfen bei
der europäischen Zusammenarbeit überhaupt nicht. Das sind für uns die Lehren aus dem
Brexit!



Hinweis: Diese Rede kann hier ab den folgenden Tag als Video abgerufen werden:
http://www.landtag.ltsh.de/aktuell/mediathek/index.html