Burkhard Peters zum Verfassungsschutzbericht 2015
Presseinformation Landtagsfraktion Schleswig-Holstein Es gilt das gesprochene Wort! Pressesprecherin Claudia Jacob TOP 60 – Verfassungsschutzbericht 2015 Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 Dazu sagt der innenpolitische Sprecher 24105 Kiel der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Zentrale: 0431 / 988 – 1500 Durchwahl: 0431 / 988 - 1503 Burkhard Peters: Mobil: 0172 / 541 83 53 presse@gruene.ltsh.de www.sh.gruene-fraktion.de Nr. 277.16 / 10.06.2016Wiederholtes Muster Sehr geehrte Damen und Herren, die Debatten um den Verfassungsschutzbericht laufen nach einem Muster ab, das sich jährlich wiederholt.Je nach Parteicouleur wird entweder die eine oder die andere der drei Hauptbestrebungen – rechts, links, religiös motiviert – als besonders gefährlich akzentuiert. Nicht selten wird der Vorwurf erhoben, die einen seien auf dem rechten Auge blind, die anderen auf dem linken und die Gefahren eines politischen Islamismus würden aus falscher Rücksichtnahme oh- nehin sträflich verharmlost.Es wird munter heruminterpretiert und spekuliert, Schlüsse gezogen, Patentrezepte ausge- tauscht, Forderungen nach mehr Personal, Material und mehr Datenaustausch erhoben. Die Regierung würde falsche Schwerpunkte in der Präventionsarbeit legen, die Opposition schätze die Gefahren des Einflusses der Rechtsradikalen auf die sogenannte gesellschaft- liche Mitte falsch ein.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muss zugeben, dass ich dieses Ritual zunehmend als unbefriedigend empfinde.Was uns die Berichte tatsächlich über die Lage in SH verraten, auf welcher Faktengrundla- ge sie beruhen, ob man für die vorliegende Ansammlung von Erkenntnissen wirklich 120 Leute braucht, was die da genau machen, was aus Geheimschutzgründen alles nicht im Bericht steht, in welchem Verhältnis die allgemeine Recherchearbeit aus öffentlich zugäng- lichen Quellen einerseits und die Arbeit mit nachrichtendienstlicher Mittel andererseits steht, welche Rolle V-Leute spielen - all das bleibt bei unseren jährlichen Betrachtungen merk- würdig unterbelichtet.Dies ist umso bemerkenswerter, als es nach dem Aufdecken des NSU im November 2011 eigentlich eine gravierende Zäsur hätte geben müssen. Denn es war Konsens des Ab- schlussberichts im August 2013 des entsprechenden Untersuchungsausschuss des Bun- Seite 1 von 2 destags – parteiübergreifend von den Linken bis zur CDU/CSU –, dass es seitens der Ver- fassungsschutzbehörden in Bund und Ländern ein „unbestreitbares Versagen“ gegeben habe. Die Analysen seien „falsch und grob verharmlosend“ gewesen mit „fataler Unter- schätzung und Bagatellisierung des Gefahrenpotenzials“ des Trios.Die Forderungen aus dem gemeinsamen Abschlussbericht aller Fraktionen - bezogen auf den Verfassungsschutz - lauteten:1. Informationen sollten „zentral zusammengeführt und auch tatsächlich gründlich ausge- wertet werden“. 2. „In den Verfassungsschutzbehörden wird ein umfassender Mentalitätswechsel und ein neues Selbstverständnis der Offenheit gebraucht – und keine ‚Schlapphut-Haltung‘ der Ab- schottung“. 3. „Klare Vorgaben hinsichtlich der Auswahl und Eignung von Vertrauensleuten“ mit regel- mäßigem Wechsel. 4. Bessere Kontrolle über den Verfassungsschutz durch parlamentarische Kontrollgremien.Von alledem lese ich in den Verfassungsschutzberichten der letzten Jahre, und auch in diesem für das Jahr 2015, wenig bis gar nichts. Es scheint, als sollte die dringend nötige Grundsatzdiskussion über Rolle, Aufgaben und Instrumente einer Verfassungsschutzbe- hörde nicht nur hier, sondern auch in anderen Bundesländern und im Bund ausgesessen werden.Lassen Sie mich daher über ein Eckpunktepapier der grünen Bundestagsfraktion vom 10.05.2016 unter dem Titel „Mehr Sicherheit durch Rechtsstaatlichkeit“ sprechen. Er befasst sich umfassend mit Polizei, Nachrichtendiensten und selbstverständlich auch mit den Verfassungsschutzbehörden. Es zieht in einer zunächst als radikal anmutenden Lö- sung die Konsequenzen auch aus den Erfahrungen der diversen Untersuchungsausschüs- se zum NSU in Bund und Ländern: Es fordert eine echte Zäsur beim Verfassungsschutz. Anstelle dessen soll ein neues unabhängiges Institut zum Schutz der Verfassung demokra- tie- und menschenfeindliche Bestrebungen beobachten und analysieren.Denn gerade beim Beispiel Rechtsextremismus sind Wissenschaft und engagierte Zivilge- sellschaft regelmäßig viel besser über die Entwicklungen informiert als das Bundesamt. Gegenüber der Polizeiarbeit klar begrenzte Aufgaben mit Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel sollen in ein neues Bundesamt zur Gefahren- und Spionageabwehr überführt werden. Kurz zusammengefasst: Die Analyse der öffentlich zugänglichen Quellen soll durch Wis- senschaftler an einem unabhängigen Institut geschehen, Terrorismusbekämpfung soll die Polizei machen und Spionageabwehr und sonstige noch denkbare Aufgaben wie Sicher- heitsüberprüfungen bleiben einer kleinen Sicherheitsbehörde vorbehalten.Die Idee ist keineswegs neu und revolutionär. Hans-Peter Bull, Innenminister in Schleswig- Holstein von 1988 bis 1995, genießt in diesem Hohen Haus zu Recht, einen sehr guten Ruf. Er hat schon im September 2013 einen radikalen Reform-Vorschlag vorgelegt: „Die Ämter von Bund und Ländern sollen zu einem wissenschaftlichen Institut schrumpfen und ihre operativen Aufgaben an die Polizei abgeben“, schrieb die Süddeutsche Zeitung schon im September 2013.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ob und wie diese Ideen auch für Schleswig-Holstein fruchtbar gemacht werden können, damit sollten wir uns beschäftigen. Wir Grünen werden am Ball bleiben. *** 2