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10.06.16
14:35 Uhr
SPD

Dr. Kai Dolgner zu TOP 10 + 57: Änderungen im Wahlrecht: praktischer Fortschritt

Es gilt das gesprochene Wort!


Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden: http://www.landtag.ltsh.de/aktuell/mediathek/index.html



Kiel, 10. Juni 2016


TOP 10 + 57: Gesetzentwurf zur Änderung wahlrechtlicher Vorschriften / Änderung der Landesverfassung des Landesverfassungsgerichtsgesetzes / Einführung von Bürgerentscheiden in Angelegenheiten der Ämter / Demokratie lebt auch von Wahlbeteiligung (Drs. 18/3537, 18/3587, 18/3588, 18/3539, 18/3424, 18/3902)



Dr. Kai Dolgner:
Änderungen im Wahlrecht: praktischer Fortschritt


Wir beschließen heute über einen Katalog von Änderungen im Wahlrecht, die jede für sich dem einen oder anderen nicht sonderlich revolutionär vorkommen mag, aber in vielen Punkten einen praktischen Fortschritt darstellt. Da Wahlrechtsänderungen alle Parteien betreffen, ist es auch wichtig, dass der Gesetzentwurf nicht von der Regierung, sondern aus der Mitte des Parlaments erarbeitet wurde.
Natürlich sind die Wünsche unterschiedlich, wie es die hier vertretenen Parteien nun mal sind, und das ist auch gut so. Ich bin den Kolleginnen und Kollegen von der CDU dankbar, dass sie im Ausschuss eine Abstimmung zu den einzelnen Artikel angeregt haben, so dass transparent wurde, wer welchen Teil für zustimmungsfähig hält und welchen nicht. So gingen die Änderungen im Volksabstimmungsgesetz dem Kollegen Breyer erwartungsgemäß nicht weit genug, während sie der CDU schon zu weit gingen. 2



Umso bemerkenswerter ist es, dass bei der Schlussabstimmung SPD, Grüne, SSW und die Piraten die Änderungen mitgetragen haben und sich die CDU zumindest enthalten hat. So schlimm sind die Änderungen im Volksabstimmungsrecht nicht; der Kollege Breyer wird vermutlich gleich darstellen, dass sie geradezu harmlos sind und gar nichts ändern. Dann können Sie sich vielleicht doch noch einen Ruck geben.
Einzig die FDP konnte sich nicht durchringen, irgendeinem Punkt zuzustimmen, auch nicht dem uneingeschränkten aktiven Wahlrecht für Menschen mit Behinderung oder dass die Kommunen einen Kostenausgleich für die Mehraufwendungen bekommen sollen.
In Schleswig-Holstein und NRW wird diese Woche zum ersten Mal der pauschale Wahlrechtssauschluss von Menschen mit Behinderungen, die eine gesetzliche Betreuung in allen Angelegenheiten haben, gestrichen. Eigentlich hat sich Deutschland schon in der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) dazu verpflichtet. Seitdem wird auf Bundesebene endlos geprüft. Mit den Beschlüssen in den Landtagen von NRW und Schleswig-Holstein in dieser Woche wird, gegen alle Bedenkenträger, die BRK endlich umgesetzt. Die anderen Bundesländer und der Bund haben damit keine fachlichen Gründe mehr, das Wahlrecht weiter zu versagen.
Für Menschen, die keine oder nur eine eingeschränkte Lesefähigkeit haben, wird es zukünftig Logos bei der Listenstimme geben. Zudem werden die Wahlinformationen in leichter Sprache sowie den wichtigsten Migrantensprachen zur Verfügung gestellt.
Im Volksabstimmungsrecht wird es bei konkurrierenden Vorlagen die Möglichkeit geben, beiden zuzustimmen; wir ermöglichen Online-Eintragungen und wir ermöglichen die freie Straßensammlung.
Nun komme ich zum Bericht der Landesregierung: Wenn ich mir die Präsidentenwahl in Österreich ansehe, hätten wir den Antrag vielleicht besser überschrieben „Demokratie lebt auch von Briefwahlbeteiligung“, insofern ist es gut, dass wir die Hürden zur Briefwahl nochmal gesenkt haben.
Nicht nur der Blick nach Österreich, sondern auch auf die letzten beiden Landtagswahlen zeigt, dass wirklich „jede Stimme zählt“. Obwohl das objektiv richtig ist, so nehmen es immer mehr Bürgerinnen und Bürger trotzdem anders wahr. Wir sollten auch nicht so tun, 3



als ob wir die grundsätzlichen gesellschaftlichen Verwerfungen, die zur Wahlenthaltung, aber auch zum Fernbleiben bei Bürgerentscheiden, Volksentscheiden oder Bürgermeisterdirektwahlen führen, durch Änderungen im Wahlrecht beseitigen könnten.
Ich befürchte, die häufig dahinter stehenden soziologischen Fragestellungen werden wir auch heute nicht lösen und die wissenschaftlichen Befunde sind weder eindeutig noch homogen. So wird unterschieden in rational abwägende, konjunkturelle, periodische, grundsätzliche, bekennende und technische Nichtwähler.
Aus der Anhörung hat sich aber ergeben, dass die meisten messbaren Erfolge noch an den Schulen, z.B. bei den Juniorwahlen erzielt werden können, die wir zukünftig stärker fördern sollten.
Aber wir erleben immer wieder, dass in der politischen Bildung an den Schulen, durch die Massenmedien oder in den Wahlkämpfen bestimmte Fragen nicht so richtig vermittelt werden: Was kann Demokratie überhaupt leisten und was nicht, was wird auf der zu wählenden Ebene, wie Gemeinderat oder Landtag, entschieden und was halt auch nicht? Sind Kompromisse ein Verrat an den eigenen Wählern oder notwendiges Instrument zur Mehrheitsbildung? Gibt es nur die eine richtige Lösung und die Politik ist nur zu blind, diese zu erkennen? Ist jemand, der nicht meine Auffassung vertritt, dumm, inkompetent oder bösartig? Was steckt eigentlich hinter der Idee des Pluralismus?
Und hier kann einiges besser werden. Es gibt Schulen in unserem Land, die ein großes Interesse daran haben, dass die Schülerinnen und Schüler Gelegenheit haben, mit Politikerinnen und Politikern zu reden. Und es gibt leider auch die Bedenkenträger, die aus dem Neutralitätsgebot für die Schulen ableiten, dass Politiker hier außerhalb des lehrplanmäßigen Unterrichts nichts zu suchen haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Demokratie hat eine große Schwäche. Sie ist die einzige Regierungsform, die es ganz demokratisch den Nichtdemokraten ermöglicht, sie anzugreifen, sie zu verzerren oder sie so stark zu beschränken, dass nur noch die leblose Hülle übrigbleibt. Wir sollten es alle nicht so weit kommen lassen.