Eka von Kalben zur Einstufung der Maghreb-Staaten als Sichere Herkunftsstaaten
Presseinformation Landtagsfraktion Schleswig-Holstein Pressesprecherin Es gilt das gesprochene Wort! Claudia Jacob Landeshaus TOP 31 + 34 – Einstufung der Maghreb-Staaten Düsternbrooker Weg 70 als Sichere Herkunftsstaaten 24105 Kiel Zentrale: 0431 / 988 – 1500 Dazu sagt die Vorsitzende der Durchwahl: 0431 / 988 - 1503 Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Mobil: 0172 / 541 83 53 presse@gruene.ltsh.de Eka von Kalben: www.sh.gruene-fraktion.de Nr. 268.16 / 09.06.2016Es geht um Abschreckung und leichtere AblehnungFrau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren.Gemäß Artikel 16a des Grundgesetzes genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Nach Absatz 3 können durch Gesetz Staaten bestimmt werden, „bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse ge- währleistet erscheint, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet“. Das sind die sogenannten „si- cheren Herkunftsstaaten“.Aber, meine Damen und Herren, diese Voraussetzungen sind in Algerien, Marokko und Tunesien klar nicht erfüllt, und wir Grünen sind alles andere als überzeugt von der ver- meintlich „sorgfältigen Prüfung“ der Bundesregierung.Die Beurteilung der Menschenrechtssituation würde zunächst einmal ein vernünftiges Monitoring voraussetzen. Dies wird dadurch ziemlich erschwert, dass etwa in Algerien für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Amnesty International seit zehn Jahren Einrei- severbot herrscht. Ähnliche Restriktionen gibt es u. a. auch für UN-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.Das Bundesverfassungsgericht sagt dazu übrigens, dass allein schon die Zutrittsge- währung für internationale Menschenrechtsorganisationen ein Indiz für die Einhaltung der Voraussetzungen der menschenrechtlichen Standards ist. Wenn man danach geht, sieht es schon mal düster aus. Was aber wissen wir von diesen Ländern? Seite 1 von 3 Wir wissen, dass in allen drei Staaten gleichgeschlechtliche Handlungen strafbar sind und von teils hohen Gefängnisstrafen bedroht sind. Wir wissen, dass Lesben, Schwule, Bi-, Trans- und Intersexuelle im Alltag Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt sind, oh- ne auf den Schutz der staatlichen Behörden vertrauen zu können.Doch damit nicht genug: Die Repression der Minderheit hat einen breiten gesellschaftli- chen Rückhalt! Z. B. finden rund 65 Prozent der Tunesier, dass Homosexualität bestraft werden muss. Dort gibt es auch eine aktuelle Debatte, ob Homosexualität gegen die Verfassung verstößt.Der IS forderte jüngst in einer Kampagne in sozialen Netzwerken dazu auf, alle tunesi- schen Schwulen zu verbrennen oder ihnen die Kehle durch zu schneiden. Es gibt Wel- len von „hate crimes“. Darüber hinaus gibt es aktuell einen Trend, in Geschäften oder auch Taxen Schilder aufzustellen mit Aufschriften wie „no homosexuals“.Meine Damen und Herren, wenn all das nicht ausreicht für eine „systematische Verfol- gung“ dieser Minderheit, wie muss man sich denn dann „systematische Verfolgung“ vorstellen?Auch Frauen werden durch die Rechtsordnung von den Behörden und im Alltag diskri- miniert und von der Partizipation am politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Le- ben ausgeschlossen. Zwangsverheiratungen sind keine Seltenheit, auch von Minder- jährigen. Überhaupt gibt es beispielsweise in Marokko eine Reihe weiterer kinderspezi- fischer Fluchtgründe. Laut UNICEF-Bericht 2015 sind dort etwa 30.000 Straßenkinder Gewalt und Misshandlungen ausgesetzt.Kommen wir zu den Folgen. Es wird immer gern betont, dass ja trotz der Einstufung als sicheres Herkunftsland für jeden eine Einzelfallprüfung möglich bleibe. In Artikel 16a steht ja auch nur, dass vermutet wird, dass Menschen aus diesen Ländern nicht ver- folgt werden.Das Präjudiz, das in der täglichen Praxis mit einer solchen Vermutung verbunden ist, ist aber erheblich. Liebe Kolleginnen und Kollegen, versuchen Sie mal, jemandem Ihre Verfolgung glaubhaft zu machen, wenn offiziell festgestellt ist, dass es in Ihrem Heimat- land sicher ist. Dass da vollkommen unvoreingenommen geprüft wird, ist kaum anzu- nehmen.Und: Wie soll sich eine solche Prüfung überhaupt mit der Beschleunigung der Asylver- fahren, insbesondere mit den 48-Stunden-Verfahren, vertragen? Wie soll in so kurzer Zeit ausgeschlossen oder bestätigt werden, ob ein Mensch in seinem Heimatland ver- folgt wird?Und überhaupt, wozu bräuchten wir denn diese Einstufung, wenn doch jeder Einzelfall geprüft würde? Die Antwort kennen wir: Weil es der Bundesregierung nicht um ordentli- che Verfahren, sondern einzig und allein um Abschreckung und erleichterte Ablehnung geht.Fest steht, dass eine unabhängige Verfahrensberatung für diese Menschen umso wich- tiger sein wird. Wir gehen aber fest davon aus, dass unser Innenministerium, das sich in solchen Fragen immer sehr umsichtig gezeigt hat, das in dem weiteren Prozess im Blick hat! 2 Unabhängig davon dürfte aber unsere Grüne Haltung klar sein: Wir lehnen das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten ab, und werden dem im Bundesrat nicht zustimmen. Da- her lehnen wir auch sowohl den CDU- als auch den FDP-Antrag selbstverständlich ab.Vielen Dank. *** 3