Lars Harms: Wir brauchen europäische Regelungen im Asylbereich
Presseinformation Kiel, den 09. Juni 2016Es gilt das gesprochene WortLars Harms TOP 31 & 34 Einstufung von Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten Drs. 18/4251 & 18/4259„Wir brauchen im Asylrecht mehr europäische Regelungen, weil europäische Solidarität genauso gefragt ist wie europäische Rechtsstaatlichkeit.“Die Einteilung von bestimmten Ländern in die Kategorie sicherer Herkunftsstaatbedeutet nicht, dass in diesen Ländern nach unseren Wertvorstellungen alles zumBesten steht. Das ist auch gar nicht Ziel dieser Einteilung. Schon der Begriff ist eigentlichin der Diskussion irreführend, weil er genau diese heile Welt in diesen Ländernsuggeriert. Besser wäre es, einen anderen Begriff zu nehmen; zum Beispiel dem einesLandes mit vergleichsweise geringen Anerkennungschancen im Asylverfahren. Denndarum geht es nämlich eigentlich. 2Das Asylrecht ist ein individuelles Recht. Und auch vor dem Hintergrund vonschwerwiegenden Einschränkungen der Menschenrechte - also zum Beispiel derallgemeinen Verfolgung von Homosexualität, der Benachteiligung von Frauen oder derVerfolgung von Minderheiten – muss immer im Einzelfall abgeklärt werden, ob einepersönliche Verfolgung aus politischen Gründen vorliegt. Auch in Staaten, die nichtunseren Wertevorstellungen entsprechen, kann es Menschen geben, die trotzdem nichtverfolgt werden. Und das sind nicht nur Mitläufer des Systems, sondern oft auch großeTeile der Bevölkerung.Die Maghreb-Staaten zeigen dieses Paradoxon sehr deutlich. Auf der einen Seite gibt esextreme Benachteiligungen bestimmter Bevölkerungsgruppen und auf der anderenSeite sind diese Länder sogar beliebte Reiseziele deutscher Touristen. Betrachtet man dieAnerkennungsquoten nach Durchlaufen des Asylverfahrens, muss man feststellen, dassQuoten von 2,29 % für Marokko, 0,98 % für Algerien und sogar nur 0% für Tunesien, denSchluss zulassen, dass vergleichsweise wenig Menschen in diesen Ländern konkretpolitisch verfolgt werden. Nur wenn man das Anerkennungsverfahren und dessenRechtsstaatlichkeit an sich bezweifelt, mag man zu einem anderen Schluss kommen.Und trotzdem ist es ja so, dass jeder der Asyl beantragt, natürlich auch konkrete Punkteanführen kann, die für eine konkrete politische Verfolgung sprechen. Dann hat diejeweilige Person auch Chancen auf Asyl. Dabei bleibt es; auch wenn man aus einemformal sicheren Herkunftsstaat kommt. Im Übrigen verändert sich ja auch nichts für dieBetroffenen. Auch sie haben vorher eine Ablehnungsquote zwischen 98 und 100 %gehabt. Der Unterschied war nur, dass man sich in Deutschland zur Klärung des Falls 3länger aufhalten konnte. Dieses Aufenthaltsrecht wird jetzt eingeschränkt – nicht dasAsylrecht.Trotzdem ist natürlich zu kritisieren, dass über die sicheren Herkunftsländer immer dannerst gesprochen wird, wenn aus bestimmten Ländern besonders viele Menschenkommen. Zusätzlich haben dann auch noch die Vorfälle in der Silvesternacht in Köln dieDiskussion angefacht. Das ist eigentlich keine vernünftige Grundlage für einevernünftige Diskussion. Denn eigentlich muss es doch darum gehen, losgelöst vonEinwanderungswellen und einzelnen Ereignissen, im Vorwege zu definieren, welcherStaat als Staat mit geringen Anerkennungschancen gilt und welcher nicht. Dazu kanneine unabhängige Lageabschätzung genauso beitragen, wie die Berücksichtigung derAnerkennungsquote als Kriterium.Fast alle Länder der EU nutzen im Asylverfahren Listen, in denen sie Länder als sichereHerkunftsstaaten definieren. Die Länderlisten sind aber höchst unterschiedlich und esmüsste eigentlich darum gehen, eine einheitliche europäische Auflistung von Staatenhinzubekommen, deren Bürger eine vergleichsweise geringe Anerkennungschancen imAsylverfahren haben. Diese Harmonisierung des Asylrechts auf europäischer Ebene ist jaauch schon angestoßen worden. Es gibt eine europäische Asylverfahrensrichtlinie, nachder eine EU-weite Liste erstellt werden kann, die dann noch um nationale Listen ergänztwerden kann. Es ist also schon etwas angestoßen worden und es würde Sinn machen,hier weitere Schritte auf EU-Ebene zu gehen. 4Die Listen der sicheren Herkunftsstaaten in den europäischen Ländern sollen dazubeitragen, dass Asylverfahren beschleunigt bearbeitet werden können, ohne dass dasAsylrecht selbst eingeschränkt wird. Wir haben darüber hinaus die Möglichkeit,subsidiären Schutz zu gewähren und wir können feststellen, dass sowohl dieAsylanerkennungsquote von knapp über 5% aller Asylsuchenden am Anfang diesesJahrtausends auf über 30 % angestiegen ist. Und darüber hinaus besteht dieMöglichkeit, subsidiären Schutz zu gewähren. Gerade die Flüchtlinge aus Syrien unddem Irak profitieren mit Recht von diesen Regelungen. Am Ende benötigen wir aber auchim Asylrecht mehr europäische Regelungen, schon alleine auch deshalb, weil in dieserFrage europäische Solidarität genauso gefragt ist wie europäische Rechtsstaatlichkeit.Hinweis: Diese Rede kann hier ab den folgenden Tag als Video abgerufen werden:http://www.landtag.ltsh.de/aktuell/mediathek/index.html