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08.06.16
11:55 Uhr
SPD

Dr. Ralf Stegner zu TOP 1A,29+37: Im Dialog die Energiewende umsetzen

Es gilt das gesprochene Wort!


Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden: http://www.landtag.ltsh.de/aktuell/mediathek/index.html



Kiel, 8. Juni 2016


TOP 1A, 29 + 37: Regierungserklärung zur Energiepolitik in Schleswig-Holstein / Dynamische Abstandsregelungen für Windenergieanlagen / Windkraft mit den Menschen ausbauen (Drs. 18/4249neu, 18/4271neu, 18/4297)



Dr. Ralf Stegner:
Im Dialog die Energiewende umsetzen


Es mag sein, dass die Opposition es nicht mehr hören kann: Aber wir befinden uns einmal mehr mitten im Dialog. Und wenn Sie das ablehnen, sehr geehrte Damen und Herren von CDU und FDP, oder es Sie zum Lachen bringt, dann zeigt das wiederum nur einmal mehr den wohltuenden Unterschied zwischen uns.
Diese Landesregierung weiß, dass der Dialog zum guten Regieren dazu gehört. Die Fragen der Landesplanung und vor allem des Ausbaus von Windkraftanlagen in Schleswig-Holstein sind nur ein weiteres gutes Beispiel dafür. Ich danke unserem Ministerpräsidenten Torsten Albig für seine klare Regierungserklärung.
Torsten Albig hat sehr genau beschrieben, was im Interesse des Landes ist. Leider stimmt dieses Interesse nicht immer mit den Beschlüssen auf Bundesebene überein. Wichtig ist doch aber vorrangig, dass Schleswig-Holstein seiner Verantwortung für die Umsetzung der Energiewende gerecht wird. 2



Ein solcher Dialog – auf Bundesebene wie auch mit Bürgerinnen und Bürgern im Land – fällt nicht immer leicht. Leichtigkeit ist aber auch nicht das Ziel eines Austausches von Argumenten. Besonders dann nicht, wenn wir einander ernst nehmen. Mein Dank gilt unserem Ministerpräsidenten Torsten Albig und seinem Team, aber auch dem Energieminister Robert Habeck dafür, dass sie nicht müde werden, dies immer und immer wieder zu praktizieren.
Schleswig-Holstein ist das Energiewende-Land. Wir sind und bleiben bundesweit Spitze beim Ausbau der Windkraft und bei der Versorgungsquote mit Strom aus erneuerbaren Energien. Das ist nicht nur mit Blick auf den wichtigen Dreiklang: Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Nachhaltigkeit bzw. Klimaschutz entscheidend. Es ist auch ein wichtiger Antriebsmotor für unsere Wirtschaft und damit für die Schaffung von Arbeitsplätzen in Schleswig-Holstein.
Die Balance zwischen den Interessen von Umwelt und Wirtschaft einerseits, aber eben auch die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger für den Ausbau der Windenergie ist und bleibt die Grundlage für eine erfolgreiche Energiewende. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass Windenergie dem Betrachter ins Auge springt, während die Folgen von Atomkraft und fossilen Energieträgern oft nicht sichtbar, aber extrem schädlich für die Umwelt und die Gesundheit von Menschen und Tieren sind. Mal ganz abgesehen von ihrem Gefahrenpotential!
Mit der Herausforderung durch das Urteil des Oberverwaltungsgerichts sind wir im vergangenen Jahr – gemeinsam – gut umgegangen und haben feststellen können: Energiewende geht nur mit den Bürgerinnen und Bürgern – nicht gegen sie:
 Die Energiewende muss konsequent umgesetzt werden, aber im Dialog mit allen Beteiligten, um die Akzeptanz zu sichern.  Ein Wildwuchs und eine Komplett-Verspargelung unserer Landschaft kommen für uns nicht in Betracht. Es braucht also entsprechende landesplanerische Regelungen. Im Zuge des laufenden Verfahrens sind wir bereit, einen gemeinsamen Weg zu entwickeln.
In den nächsten zehn Jahren kann Schleswig-Holstein den Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch auf mindestens 300 Prozent steigern. Ob dieses Ziel weiterhin sinnvoll ist, haben wir in Frage gestellt, wir haben lange 2020 angestrebt, wie auch CDU und FDP, haben dann schon darauf gesetzt, 2025 zu erreichen, jetzt glauben wir, dass 2030 realistisch ist, wenn man sowohl die Ziele der Energiewende erreichen will als auch den Ausbau der erneuerbaren 3



Energien behutsam und im größtmöglichen Einvernehmen mit den Bürgerinnen und Bürgern vorantreiben will. Und wir werden auch bei anderen Fragen zuhören. Es bleibt dabei:
Wir wollen die Energiewende UND eine behutsame Gestaltung unserer Umwelt.
Wir wollen High-Tech UND Natur- und Artenschutz.
Wir wollen wirtschaftlichen Erfolg UND Akzeptanz durch die Menschen in unserem Land.
Die Energiewende birgt außerdem enorme Chancen für die Industrie und ist das größte industriepolitische Projekt Schleswig-Holsteins. Chemieunternehmen profitieren beispielsweise vom Ausbau von Solarzellen, Kabelunternehmen sind stärker gefragt und auch die Baubranche kann von einem Nachfrageimpuls bei der Umsetzung von der Energiewende profitieren.
Und Torsten Albig hat mit Recht darauf hingewiesen: Mit dem Projekt „New 4.0- Norddeutsche Energiewende“ wollen wir in Schleswig-Holstein gemeinsam mit Hamburg eine nachhaltige Energieversorgung umsetzen und damit die Zukunftsfähigkeit der Region stärken. Die Energiewende und die Industrie leben von Innovation. Das heißt, auch der Hochschulstandort Schleswig-Holstein wird gestärkt.
Die Energiewende bleibt eine große, aber auch notwendige Herausforderung für unsere Gesellschaft. Eine gesellschaftliche Aufgabe, für die es keine Blaupausen gibt. Eine gesellschaftliche Aufgabe, die es in drei Aspekten umzusetzen gilt: Durch den Ausbau der erneuerbaren Energien, durch mehr Energieeffizienz und Einsparung sowie durch Fortschritte bei Energiespeichern.
Doch fast drei Jahre Schwarz-Gelb sind nicht spurlos vorübergegangen. Wir haben viel Zeit verloren: Brokdorf, Krümmel, Brunsbüttel, Kohleneubau oder nicht, CCS-Verpressung. Die Politik der schwarz-gelben Landesregierung zwang uns den Streit über diese Themen auf. Am Ende setzten sich unsere Positionen durch. Wir wissen: Die Energiewende bedeutet Fortschritt für unser Land! Sie bietet eine Perspektive für unser Land, die Ökologie, Ökonomie und sozio- kulturelle Aspekte in Einklang bringen kann.
Die Energiewende ist umfassend. Sie meint viel mehr als nur Umbau des Stromsektors. Es geht auch um Wohnen und Mobilität. Sie bezieht den Wärme-, Transport- und Verkehrssektor mit ein, alle Wirtschaftsbranchen, unseren Alltag, unsere Gebäude. 4



Die Landesregierung hat deshalb auch Sanierungsprogramme, etwa bei Gebäuden zur Senkung von Nebenkosten, EU-Förderungen, Bildungsangebote und Verbraucherpreise im Blick. Da gehören dezentrale Energieerzeugung und Verteilung dazu, um nicht mehr so sehr von irgendwelchen fremddefinierten Konzernzielen großer Energieunternehmen abhängig zu sein, sowie die Speichertechnologie, die neben dem Netzausbau ein Schlüssel der Energiewende sein wird. Wie überhaupt Forschung und Technologietransfer wichtige Bestandteile all‘ dessen sind, was wir zu tun haben.
Ein zentraler Eckpfeiler für die Energiewende ist und bleibt die Erzeugung von Strom mit regenerativen Energien. Da haben wir von 1988 bis 2005 gegen alle Unkenrufe der Konser- vativen unter sozialdemokratischer Führung in Schleswig-Holstein Mustergültiges geleistet, als wir den Anteil erneuerbarer Energien in der Stromerzeugung von 0,05 % in Richtung 40 % gesteigert haben. Für 2015 gehen wir davon aus, dass wir unseren Strombedarf rechnerisch zu 100% aus erneuerbaren Trägern decken können. 2013 haben fast 16.000 Menschen im Bereich der erneuerbaren Energien gearbeitet.
Schleswig-Holstein kann und muss von der Energiewende profitieren. Wir sollten das Land zwischen den Meeren, das Vorzeigeland, das Musterland, das Vorbild für die Energiewende werden. Wir sind doch, wenn wir es richtig anfangen, der Energieversorger der Republik. Mit sauberer erneuerbarer Energie, mit Wertschöpfung vor Ort, mit innovativen Kleinunternehmen (bei denen geht in Sachen Mitarbeitermitbestimmung noch etwas), aber auch durchaus mit neuen Chancen für unsere Werften und ihre hochqualifizierten Belegschaften, mit Speichertechnik auf Weltklasseniveau, mit Bürgerbeteiligung.
Vorschläge und Kriterien sind zur Diskussion gestellt. Manche müssen sich noch daran gewöhnen, dass es gut ist, wenn wir zwar mit einem Vorschlag in den Dialog gehen, aber tatsächlich auch offen für Argumente sind. Das hat dann nichts mit „zurückrudern“ zu tun, sondern mit „zuhören“. CDU und FDP mögen über die Köpfe der Menschen hinweg handeln, wir tun genau das nicht.
Ein paar Aspekte, die mir dabei besonders wichtig sind:
 Wir dürfen gegenüber dem Bund nicht müde werden, auf Fragen der Effizienz hinzuweisen. Im Norden weht der Wind. Hier ist ein Ausbau wirklich sinnvoll. 5



Am Ende der Diskussion standen 2.800 Megawatt (brutto). Das ist ein Erfolg auch unseres Ministerpräsidenten. Wir wollten zwar 3.000 Megawatt, aber das Ergebnis ist doch deutlich höher als die von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gewollten 1.500 Megawatt, die faktisch den Rückbau der Windenergie bedeutet hätten. Dazu haben wir von den CDU-Bundestagsabgeordneten aus dem Land leider auch nichts anderes gehört. Das galt auch für ihren Landesvorsitzenden, den Kollegen Liebing, der ansonsten selbst viel Wind erzeugt, wenn man das „Backenaufpusten“ so nennen möchte. Das zumindest passt zur Politik der CDU-Landtagsfraktion: Beide wollen den Ausbau der Windkraft letztlich nicht.  Wir müssen die unterschiedlichen Kriterien sorgfältig abwägen und miteinander in Einklang bringen. Natürlich geht es oftmals auch um Abstand. Aber: Eine reine Debatte über die Abstandsregelungen – wie CDU und FDP mit ihren Anträgen nahelegen – halte ich nicht für sinnvoll. Oder ist dies gleichzeitig eine Absage an alle anderen Kriterien? Wie stehen Sie zur besonderen Situation an den Küsten oder in Naturschutzgebieten? Zumal der CDU-Vorschlag sich selbst auch noch widerspricht. Sie wollen am 300%-Ziel festhalten, fordern aber gleichzeitig durch massive Erhöhung der Abstände zu Wohnbebauung de facto einen Rückbau von Anlagen. Und beides in einem Antrag. Um diesen offensichtlichen Schwachpunkt auszugleichen, soll auf andere Kriterien verzichtet werden. Gemeint sein können nur Natur-, Arten-, Landschafts- und Denkmalschutz. Mehr blanker Populismus geht nicht. Gute Führung heißt nämlich, dass man beim Segeln gelegentlich auch gegen den Wind kreuzen muss. Bei der FDP müssten die Mathematiker noch einmal ran. Wie Sie Ihre Pläne auf der Landesfläche Schleswig-Holsteins umsetzen wollen, erschließt sich nicht. Entweder stimmt da etwas mit den Grundrechenarten nicht oder Sie denken insgeheim über eine Ausweitung der Landesfläche nach. Da müssten wir dann aber wissen, ob sich die Nachbarn in Niedersachsen oder Mecklenburg-Vorpommern Sorgen machen müssten. Ich weise übrigens auch darauf hin, dass rund 2% Landesfläche für Wind auch bedeuten, dass 98% der Fläche davon nicht betroffen sind!  Wir haben sehr gute Erfahrungen mit direkter Beteiligung der Menschen an Bürgerwindparks gemacht. Die anstehenden Ausschreibungen werden das nicht leichter machen. Wir sollten prüfen, wie wir die Chancen auf Bürgerbeteiligung besonders hoch halten und auch die 6



Erfahrungen aus Mecklenburg-Vorpommern einbeziehen, wo es aus meiner Sicht eine sehr interessante gesetzliche Vorgabe zur Beteiligung an Windkraftanlagen gibt. Das Gesetz wurde dort im Frühjahr beschlossen und ist kürzlich in Kraft getreten. Für die Sozialdemokratie kann ich sagen, dass wir sehr offen für entsprechende Maßnahmen sind.  Wir müssen Fragen des Repowering genau einbeziehen. Die Forschung schreitet beständig voran und gibt uns neue Möglichkeiten einer effizienteren Nutzung. Übrigens sind die Kosten der Energiewende auch ein Beispiel für die Solidarität zwischen den Generationen. Heute zahlen wir mehr, damit künftige Generationen günstig leben können. Sie werden profitieren. Dadurch wird die Energiewende aber auch zu einer stärkeren politischen Herausforderung. Ich habe es schon oft gesagt und es bleibt meine Überzeugung: Die Energiewende ist eine Jahrhundertchance für Schleswig-Holstein, wir sollten sie beherzt ergreifen. Das ist die Verantwortung, die wir übernehmen wollen und müssen. Mit Standfestigkeit und Dialogbereitschaft – all dies geht nur mit klarem Kurs und nicht mit der Oppositionshaltung, jedem Recht zu geben und Unvereinbares gleichzeitig zu fordern.
Oder um es etwas poetischer auszudrücken – ich zitiere aus Wilhelm Müllers Gedichten zu Schuberts Winterreise:
„Die harten Winde bliesen
mir grad` in´s Angesicht.
Der Hut flog mir vom Kopfe,
ich wendete mich nicht.“