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28.04.16
11:35 Uhr
SPD

Dr. Ralf Stegner zu TOP 20: Für freie Meinungsäußerungen - und kritische Diskurse

Es gilt das gesprochene Wort!


Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden: http://www.landtag.ltsh.de/aktuell/mediathek/index.html



Kiel, 28. April 2016


TOP 20: Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit sind nicht verhandelbar (Drs. 18/4069, 18/4115, 18/4132)



Dr. Ralf Stegner:
Für freie Meinungsäußerungen – und kritische Diskurse


Ja, Satire ist wichtiger Bestandteil der freien Meinungsäußerung in Deutschland. Daran darf es keinen Zweifel geben. Und deshalb bin ich froh, dass die SPD-Ministerinnen und -Minister dies auch im Bundeskabinett deutlich gemacht haben. Es war ein großer Fehler von Bundeskanzlerin Merkel, aus der Satire von Herrn Böhmermann eine Staatsaffäre gegenüber der Türkei zu machen; das hat sie offenbar inzwischen mehr oder weniger selbst eingesehen. Sich bei ausländischen Potentaten für eine ZDF-Satire zu entschuldigen, ist vollständig unangebracht. Ich finde es übrigens nicht so erstaunlich, dass in Satiresendungen Satire gemacht wird!
Wir sollten den §103 StGB ersatzlos abschaffen. Die Landesregierungen von Schleswig-Holstein und Hamburg haben sich im Bundesrat gemeinsam auf den Weg dazu gemacht. Weitere Paragrafen wie der § 90 gehören aus meiner Sicht auf den Prüfstand. Ich finde, das alles passt nicht mehr in diese Zeit.
„Majestätsbeleidigung“ ist ein Delikt und auch ein Relikt aus längst vergangenen feudalen Zeiten. Auch wenn viele Funde aus der Antike und dem Mittelalter erhaltenswert sind, möchte 2



ich bei der ‚crimen laesae maiestatis‘ Abstriche machen. Noch im Verständnis des Absolutismus herrschten die Monarchen von Gottes Gnaden und die Majestätsbeleidigung kam demnach der Aberkennung der vom Gesetz und Gott gegebenen Ordnung gleich. Ein Staatsverbrechen, dem häufig die Todesstrafe folgte und in dessen Nähe sich jeder begab, der es wagte, Kritik an Herrn und Herrschaft zu üben. Im Deutschen Kaiserreich gab es dafür noch die Zuchthausstrafe.
Aber auch die Geschichte der Bundesrepublik kennt entsprechende Verfahren: Bekannt wurde die Bestimmung 1964 als „Schah-Paragraf“, als sich Schah Mohammad Reza Pahlavi durch eine karikierende Fotomontage im Kölner-Stadt-Anzeiger beleidigt fühlte. Eine weitere entsprechende Rechtsstreitigkeit wurde 1977 vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfahlen zu Gunsten des Pinochet-Regimes in Chile geklärt. (Der chilenische Botschafter hatte sich durch ein Transparent mit der Aufschrift „Mörderbande“ beleidigt gefühlt.) Ich bin mir nicht sicher, ob der türkische Staatspräsident überhaupt weiß, in welcher Tradition er da steht.
So oder so, es gibt aus meiner Sicht keinen erkennbaren Grund, Staatschefs besser zu stellen als andere Menschen. Beleidigungen allerdings bleiben eindeutig strafbar – aber doch in Verantwortung der Justiz, nicht der Politik. Und in diese Justiz haben wir das Vertrauen, dass sie diese Fälle angemessen behandelt und urteilt.
Dass wir Rekordhalter sind, was die Anzahl der Nachbarschafts- und Beleidigungsklagen angeht, ist kein Grund für Nationalstolz. Mehr Gelassenheit, was freie Meinungsäußerung, die Freiheit von Kunst und Kultur sowie die Pressefreiheit angeht, wäre gut, so lange nicht Straftatbestände wie rechtsextremistische Hetze berührt werden.
Im übrigen ist es in der Rechtsordnung eines Staates wie dem unseren – in dem die Unabhängigkeit der Justiz in der Verfassung garantiert ist – geradezu ein Fremdkörper, dass die Regierung, aus welchen Gründen auch immer, darüber zu entscheiden hat, ob die Justiz wegen einer Straftat ermittelt oder nicht. In der Praxis gerät die Bundesregierung damit zwangsläufig in das Spannungsfeld zwischen Meinungsfreiheit und dem Schutz der Ehre ausländischer Würdenträger, in dem politisch motivierte Entscheidungen nur fehlerhaft sein können. Aus gutem Grund ist das bei „normalen“ Menschen Staatsanwaltschaften und Gerichten vorbehalten.
In der Sache gehört zur freien Meinungsäußerung eindeutig auch der kritische Diskurs. Da darf man auch klare Kante zeigen und alles kritisieren. Diese Satire von Herrn Böhmermann finde ich 3



eher geschmacklos und sie trifft auch nicht meinen Humor. Schon gar nicht in der Wortwahl und der Verwendung absolut grenzwertiger Klischees, die ich hier nicht wiederholen möchte. Aber darum geht es nicht.
Aber mir gefällt auch nicht alles, was Herr Kubicki hier im Hause sagt. Verbieten möchte ich ihm das dennoch nicht. Getreu dem Satz, den Voltaire-Biografin Evelyn Beatrice Hall über dessen Überzeugung schrieb, gilt hier: „Ich lehne ab, was Sie sagen, aber ich werde bis auf den Tod Ihr Recht verteidigen, es zu sagen.“
Das ist die Haltung, die in einen demokratischen Rechtsstaat des Jahres 2016 gehört!