Jette Waldinger-Thiering: Nein heißt nein - Immer und überall!
Presseinformation Kiel, den 11. 3. 2016 Es gilt das gesprochene WortJette Waldinger-ThieringTOP 17 u. 20 Nein heißt Nein Drs. 18/3938 Nein heißt nein - Immer und überall!Zur Stunde, jetzt, in diesem Moment, werden Frauen belästigt, begrabscht, herabgewürdigtund vergewaltigt. Die Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung der Frauen finden sich rundum den Globus, in allen Gesellschaftsschichten und in allen Altersgruppen.Wenn es uns schon nicht gelingt, diese Taten zu verhindern, dann muss es darum gehen, dassdie Frauen nach der Tat nicht noch einmal traumatisiert werden. Die Wochenzeitung „Die Zeit“meldete 2014, dass es in nur 8,4 Prozent aller angezeigten Vergewaltigungen zu einerVerurteilung kommt. Oftmals fehlt es schlicht und ergreifend an psychosozialerProzessbegleitung, die den vergewaltigten Frauen das Durchhalten ermöglicht. Wir müssen dieOpfer sexueller Gewalt ernster nehmen und die Taten nicht als Kavaliersdelikte verharmlosen.Dabei gibt es Abhilfe: die Wegweisung gewalttätiger Männer aus dem Familienhaushalt,Opfertelefone oder die Möglichkeit anonymer Spurensicherung. Andere Vorhaben werden aber 2nicht umgesetzt. Das macht mich als Frau wütend. Sowohl Vorschläge als auch konkreteMaßnahmen sind verabschiedungsreif, finden aber offenbar keine politische Mehrheit inBerlin. Warum ratifiziert Deutschland nicht die Istanbul Konvention zur Verhütung undBekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt? Das ist überfällig. Nach dieserKonvention des Europarats werden alle sexuellen Akte bestraft, die ohne das Einverständnisder Beteiligten erfolgen. Aus dem Bundesjustizministerium hört man, dass das ja inDeutschland sowieso schon gelte. Dabei muss gerade diese Regelung im Strafrecht dringendreformiert werden. Warum konnte sich der Bundesrat vor wenigen Tagen nur zu einerallgemeinen Formulierung, aber nicht zu einer Strafrechtsreform des § 177 durchringen?Warum muss eine Frau bluten, damit Polizei und Staatsanwaltschaft ihr eine Vergewaltigungüberhaupt abnehmen? Ein deutliches Nein reicht in Deutschland nicht als Qualifizierung einerVergewaltigung, obwohl Frauenverbände gerade das seit vielen Jahren fordern. Warum gehtgegen diese bornierte Haltung kein Aufschrei durchs Land? Warum belässt es dieBundesregierung bei Zwischenschritten und Willenserklärungen zur Bekämpfung sexuellerGewalt in den Familien?Die Täter lachen sich ins Fäustchen. Sie basteln weiter an ihren Ausflüchten und konstruierenGeschichten, die die Frauen zu Komplizen machen sollen.Dabei ist klar: Gewalt gegen Frauen hat nichts mit Sexualität zu tun, sondern mit Macht.Vergewaltigungen sind nicht zufällig eine Waffe im Krieg: in Bosnien, in Syrien und demKongo. Vergewaltiger zielen auf die psychische Zerstörung des Opfers.Ich bin, zugegebenermaßen, parteiisch. Die Strafverfolgungspraxis muss dagegen sachlichunabhängig sein. Staatsanwälte und Staatsanwältinnen sind durch das Prinzip eines fairenVerfahrens angehalten, nicht nur das Opfer zu würdigen, sondern auch die Interessen vonBeschuldigten zu beachten. Gerade darum muss die gesetzliche Grundlage, die wir denStrafverfolgungsbehörden an die Hand geben, dringend reformiert werden, damit, sozusagen,Waffengleichheit herrscht. 3Strafrecht soll Opfer schützen. Damit es das kann, müssen wir es entsprechend ertüchtigen.Aber auch auf uns wartet eine Riesenaufgabe: Die Gesellschaft muss sexualisierte Gewaltächten. Diese ist alltäglich, wie die Statistiken belegen. So gab jeder zweite Beschäftigtegegenüber der Antidiskriminierungsstelle des Bundes an, anzügliche Witze hören zu müssenoder unsittliche Berührungen ertragen zu müssen. Das muss aufhören.Aus einer statistischen Umfrage der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte 2014geht hervor, dass eine von drei Europäerinnen seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche odersexuelle Gewalt erfahren hat, die Hälfte aller Frauen ist schon sexuell belästigt worden.In Deutschland hat rund ein Drittel der Frauen schon ein- oder mehrmals sexuelle Gewalterleben müssen. Solche Zahlen muss man sich erst einmal bewusstmachen.Gewalt gegen Frauen wird dabei überwiegend durch Partner oder Expartner und im häuslichenBereich verübt.Sexualisierte Gewalt darf nicht nur dann thematisiert werden, wenn sie Stereotype, Vorurteileund Rassismen bedient.Sie muss immer geächtet werden. Dabei ist es vollkommen egal, welche Nationalität oderHautfarbe die Täter haben. Gewalt gegen Frauen findet überall statt und wir können undwollen dazu nicht mehr schweigen.Nein heißt nein! Immer und überall!Hinweis: Diese Rede kann hier ab dem Folgetag als Video abgerufen werden:http://www.landtag.ltsh.de/aktuell/mediathek/index.html