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22.01.16
12:03 Uhr
SSW

Flemming Meyer: Die Novelle löst nicht einmal Ansatzweise den Rückzug der Ärzte aus dem ländlichen Raum"

Presseinformation Kiel, den 22. 1. 2016

Es gilt das gesprochene Wort



Flemming Meyer TOP 19 Novelle der Gebührenordnung für Ärzte zügig umsetzen Drs. 18/3733

„Die Novelle löst nicht einmal Ansatzweise den Rückzug der Ärzte aus dem ländlichen Raum“

Die Ärzte Zeitung, die überwiegend die Interessen der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte
vertritt, vermeldete am letzten Wochenende, dass die FDP-Fraktion in Schleswig-Holstein die
Umsetzung der Novelle der Gebührenordnung forcieren möchte. Die Ärzte Zeitung gehört zu den
Befürwortern der neuen Gebührenordnung, die die Ärzte-Funktionäre mit den
Privatversicherungen und dem Gesundheitsminister ausgehandelt hat. Der Konsens innerhalb
der Ärzteschaft bröckelt allerdings gewaltig, so dass jede kleine Meldung gerade recht kommt;
auch aus Schleswig-Holstein.
Auf den Kommentarseiten der gleichen Zeitung wird seit Monaten gegen den Betrug durch die
Bundesregierung mittels der Novelle gewettert. Viele Ärzte sind nämlich überhaupt nicht
zufrieden mit dem, was ihre Standesvertreter in jahrelangen Verhandlungen ausgehandelt
haben. Einige Ärzte sind regelrecht auf den Barrikaden, weil sie sehen, wie Kollegen nur wenige 2
Kilometer weiter in einem anderen Kammerbezirk viel höhere Honorare bekommen als sie; und
das genau für die gleiche Leistung. Die Ärzte kritisieren darüber hinaus, dass Labormediziner oder
Radiologen sich eine goldene Nase verdienen können, während Ärztegruppen ohne große
Apparate wie Hausärzte oder Kinderärzte in die Röhre gucken.
Die Wogen gehen also hoch.
Die Öffentlichkeit soll diese Auseinandersetzungen nicht mitbekommen. Die Ärztevertreter
versuchen so weit es geht, die Konflikte unter der Decke zu halten. Viele
Einkommensunterschiede zwischen Regionen und Ärztegruppen sind durchaus hausgemacht.
Daraus keimende Konflikte wurden in der Vergangenheit klein gehalten, indem für alle Ärzte
Einkommenssteigerungen verhandelt wurden. Mit diesem Wachstum ist jetzt allerdings Schluss.
Bei den Einkommensverbesserungen über IGEL ist beispielsweise langsam das Ende der
Möglichkeiten erreicht. Diese so genannten Zusatzleistungen, die ein Arzt erbringt, aber die
Krankenkassen nicht zahlen, sondern die Patienten, hat sich zu einem florierenden
Geschäftszweig der Ärzte gemausert. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung meldete in
ihrer letzten Ausgabe, dass die Patienten jährlich mehr als eine Milliarde Euro für 18 Millionen
individuelle Gesundheitsleistungen an ihren Arzt gezahlt haben; das sind im Durchschnitt mehr
als 55 Euro pro Leistung. Damit ist das Ende der Fahnenstange erreicht: viel mehr ist aus den
Patienten nicht heraus zu leiern.
Das ist auch der Grund für die Ärzte, die Gebührenordnung zu verändern. Sie sehen sich
gezwungen, auf anderen Wegen ihre Einkommen erhöhen zu können. Nach den goldenen
1990er Jahren schmilzt nämlich der Einkommensabstand der Ärzte zum Rest der freien Berufe.
Fakt ist, dass die Gebührenordnung überholt ist. Sie kennt seit 1984 keinen Inflationsausgleich,
was dazu führt, dass die Mengenausweitung die einzige Möglichkeit des Zuwachses ist. Die
Kosten für Praxismiete und die Tarife des Praxisteams steigen ja in jedem Jahr; was über eine
Mengenausweitung der ärztlichen Leistungen ausgeglichen wird. Die Gebührenordnung ist
nämlich so gestaltet, dass sie jeden Handgriff eines Arztes mit einem Geldbetrag hinterlegt. 3
Aufgrund neuer Krankheitsbilder und neuer Behandlungsmethoden hat die Gebührenordnung
aber inzwischen so viele Zusätze und Ergänzungen erfahren, dass eine gründliche Überholung
dringend angezeigt ist. In dem eben angeführten Artikel wird Klaus Reinhardt vom
Hartmannbund mit folgenden Worten zitiert: „Wie ein ärztliches Honorar zustande kommt, ist
für die meisten Kollegen nicht mehr durchschaubar.“ Das System ist überkomplex, zu teuer und
vernachlässigt systematisch qualitätssichernde Faktoren. Die medizinische Handlungen und
Maßnahmen werden nämlich bezahlt, ohne dass irgendeine Instanz schaut, ob die Behandlung
sachgemäß oder angemessen gewesen ist. Die alte Gebührenordnung ist also unzeitgemäß.
Die neue Gebührenordnung stellt allerdings in keinem dieser Punkte eine wirkliche Verbesserung
dar. Die Honorarverteilung wird nicht weniger kompliziert, sondern nur geringfügig geändert.
Damit wird eine Chance auf eine nachhaltige Neuregelung vertan.
Wir haben es gerade in Schleswig-Holstein in einem Flächenland mit Herausforderungen zu tun,
wie dem Rückzug der Ärzte aus dem ländlichen Raum und deren Konzentration in den größeren
Städten, die mit der Novelle nicht einmal ansatzweise gelöst werden. Dass Arztpraxen ohne
einen Mindestanteil von Privatversicherten kaum über die Runden kommen, ist ein schlimmer
Systemfehler, der zum Beispiel verhindert, dass sich Kinderärzte in kinderreichen, aber soziale
schwachen Stadtteilen niederlassen. Das ist doch ein Skandal!
Allerdings ist der Novelle zugute zu halten, dass sie den Wildwuchs bei der Hebelung der
Gebührensätze einschränken will. Viele Ärzte erklären nämlich Behandlungen bei
Privatversicherten als besonders kompliziert, um den Hebesatz zu erhöhen. Die Privatversicherer
wollen diesem Abrechnungsgebaren und der damit verbundenen Willkür einen Riegel
vorschieben. Wie bei den gesetzlich Versicherten sieht die Novelle ein gemeinsames Gremium
vor: die Gemeinsame Kommission. Bei AOK und Co. hilft der Bundesausschuss bei der
Kostenbegrenzung. Hier ist also eine überfällige Strukturveränderung vorgesehen.
Aber ich hätte mir mehr Mut gewünscht. 4
Sollte die Novelle tatsächlich noch in diesem Jahr in Berlin verabschiedet werden, haben wir in
Schleswig-Holstein noch einmal die Gelegenheit zur Debatte, weil die Landesregierung dem
Vorhaben zustimmen muss, bevor es umgesetzt werden kann.



Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden:
http://www.landtag.ltsh.de/aktuell/mediathek/index.html